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"In Europa ist nicht alles so cool, wie wir es uns vorgestellt haben"

Nach fünf Monaten in Löbau ist die Lehrerin und Journalistin Ljubov Demjantschuk wieder in der Ukraine. Ein Gespräch über das Warum, die Normalität im Krieg und deutsche Bürokratie.

Von Anja Beutler
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Wieder vereint: Ljubov Demjantschuk (zweite von rechts) mit Mann Vitaly (links), Sohn und Tochter (rechts) bei der Ankunft in Khoroshiv.
Wieder vereint: Ljubov Demjantschuk (zweite von rechts) mit Mann Vitaly (links), Sohn und Tochter (rechts) bei der Ankunft in Khoroshiv. © privat/Demjantschuk

Ljubov Demjantschuk hat vom 6. März bis 2. August mit ihren Kindern in Löbau gelebt. Hier hat sie dank ihrer Deutschkenntnisse als Lehrerin am Gymnasium gearbeitet und als Journalistin Texte für die heimische Onlinezeitung geschrieben über das Leben in Deutschland. Jetzt ist sie wieder in die Ukraine zurückgekehrt. Ein Gespräch über Tränen, den Kriegsalltag und Wiedersehensfreude.

Wie sind Sie in Ihre Heimat zurückgekommen?

Ljubov Demjantschuk: Wir verließen Löbau am zweiten August und waren am 3. August bereits in der Ukraine zu Hause. Norbert und Kerstin Mosig aus Löbau, die uns aufgenommen hatten, fuhren uns von nach Prag. Auch dafür sind wir ihnen aufrichtig dankbar, weil es unsere Reise billiger gemacht hat. Der Bus von Prag nach Schytomyr war voll mit ukrainischen Frauen und Kindern, die nach Hause fuhren. Es war so aufregend, das Schild an der Grenze „Ukraine grüßt euch“ zu lesen. Alle weinten.

Wie war das, als sie nach Hause gekommen sind?

Der Bus brachte uns nach Schytomyr, dort holten uns Freunde ab und fuhren uns weitere 55 Kilometer bis zu unserem Haus nach Khoroshiv. Mein Ehemann Vitaly überraschte uns auch am Bahnhof. Wir haben uns fünf Monate nicht gesehen. Er bekam drei Tage Urlaub und zog wieder in den Krieg. Wir leben jetzt wieder zusammen mit meiner Mutter. Sie hat auf uns gewartet.

Drei Tage des Glücks: Ljubovs Ehemann Vitaly (links) hat drei Tage Urlaub bekommen, weil seine Familie zurückgekehrt ist. Nun lebt seine Frau (rechts) wieder mit den Kindern bei ihrer Mutter (Mitte).
Drei Tage des Glücks: Ljubovs Ehemann Vitaly (links) hat drei Tage Urlaub bekommen, weil seine Familie zurückgekehrt ist. Nun lebt seine Frau (rechts) wieder mit den Kindern bei ihrer Mutter (Mitte). © privat/Demjantschuk

Wie sieht ihr Zuhause aus - steht Ihre Stadt noch?

Unser Haus ist intakt, so wie es in der Stadt, in der wir leben, glücklicherweise alle Häuser sind. Nur bei einigen wurden die Fenster von einer Druckwelle zerstört. Aber in Schytomyr gibt es eine zerstörte Schule, ein Krankenhaus und zerstörte Wohngebäude. Das sahen wir sofort, als wir die Stadt betraten. Tränen und Schmerz umgeben dich, wenn du das siehst. Aber die Menschen leben, arbeiten, bauen wieder auf, beseitigen Trümmer, helfen Binnenvertriebenen, die völlig obdachlos geworden sind.

Sie haben immer gesagt, dass Sie zurückwollen. Aber warum jetzt?

Es gibt mehrere Gründe. Erstens: Die Situation in unserer Stadt hat sich wirklich verbessert. Explosionen sind nicht mehr zu hören, Flugzeuge fliegen nicht. Natürlich gibt es Sirenen, aber keine Explosionen mehr. Sehr selten hört man etwas aus der Ferne oder einfach nur, wie unsere Soldaten auf Übungsplätzen trainieren. Zweitens: wegen der Kinder. Deutsch war für meine Tochter schwierig und länger in Löbau zu bleiben hätte bedeutet, die Schule in der Ukraine zu schwänzen und keine qualitativ hochwertigen Kenntnisse zu erwerben. Drittens: Sehnsucht. In Deutschland war alles in Ordnung, aber unter solchen Umständen kann man das nicht genießen. Die Nachrichten aus meinem Land haben mich nicht normal schlafen lassen. Ich machte mir Sorgen um meine Mutter, meinen Mann, meine Familie und Freunde. Und ich verstand auch, dass ich, wenn ich länger bleibe, mein Leben im Ausland arrangieren müsste. Ich kann mir mein Leben ohne meinen Mann nicht vorstellen. Ich möchte in meiner Heimat leben.

Arbeiten Sie jetzt, verdienen Sie Geld?

Ich arbeite jetzt in der Schule. Ich bin für die Lehrer-Organisatorin zuständig. Und im Lyzeum, wo ich arbeite, wurde eine zweite Fremdsprache eingeführt - ich gebe jetzt noch ein paar Stunden Deutsch. Die Schule arbeitet in zwei Schichten und ich bin von 8 bis 19 Uhr in der Schule. Ich verdiene weniger als vor dem Krieg, etwa 300 Euro. Wir geben mehr aus. Alle Produkte sind teurer geworden. Die Preise haben die europäischen Preise bereits eingeholt. Jetzt geben wir es alles für den Lebensunterhalt und zur Unterstützung des Militärs aus.

Können Sie derzeit als Journalistin arbeiten?

Jetzt arbeite ich nur in der Schule. Leider verliert die Zeitung Abonnenten und Einnahmen und überlebt kaum. Ich befürchte, dass dies das letzte Jahr ihres Bestehens sein könnte, wenn die Dinge so weitergehen. Aber ich schreibe immer noch für die Zeitung und arbeite mit ihnen zusammen - unentgeltlich.

Wie kommen Sie da überhaupt zurecht?

Im Garten pflanzen wir derzeit viel Gemüse und Obst: Kartoffeln, Karotten, Rüben, Mais, Erbsen, verschiedene Früchte. Wir kochen ein, frieren frisch ein. So haben wir immer gelebt. Wir haben auch Hühner zu Hause, so bekommen wir Eier und Fleisch. Es gibt Familien in Khoroschiv, die Schweine und Kälber züchteten, mehr Kartoffeln pflanzten, weil sie wussten, dass der Winter hart werden würde. Unsere Familie bewirtschaftet immer viel Land. Jetzt ist es schwierig, alles zu bewältigen, weil mein Mann im Krieg ist und wir alles manuell bearbeiten oder für die Hilfe anderer bezahlen müssen.

Können Sie normal einkaufen gehen?

Die Geschäfte sind glücklicherweise intakt und jetzt gibt es alle Produkte. Nach Kriegsbeginn war das nicht so. Jetzt ist alles geregelt. Man kann alles kaufen, aber die Preise sind viel höher.

Wie leben Sie derzeit - gibt es Normalität?

Mein Mann wird bis Kriegsende bei der Armee sein. So wie wir leben, kann man es kaum als normales Leben bezeichnen. Aber wir leben. Wir beten jedes Mal, wenn ein Luftalarm ertönt. Gott sei Dank, wenn die Raketen nicht fliegen. Schulen und Kindergärten sind geöffnet. Eltern können wählen, ob ihre Kinder in der Schule oder online lernen sollen. Meine Tochter lernt aus der Ferne, weil der Luftschutzbunker weit von der Schule entfernt ist.

Sie haben fünf Monate in Deutschland – in Löbau – gelebt. Ist es Ihnen schwergefallen, zu gehen?

Diese fünf Monate waren sehr gut. Wir haben Freunde gefunden. Mit Familie Mosig ist es, als wären wir Verwandte und ihre Stadt ist auch Teil unseres Lebens geworden. Hier haben wir Hilfe und Obdach sowie echte Freunde gefunden.

Was mussten Sie erledigen, bevor Sie abgereist sind?

Ich war nicht beim Jobcenter gemeldet, daher hatte ich nicht viele Probleme mit Dokumenten. Aber alle Verfahren dauerten noch einige Zeit. In der Ukraine können wir alle diese Probleme schneller lösen – von Papieren bis zu Geld. Ich habe kürzlich eine Rückerstattung für Strom erhalten, weil wir mehr bezahlt haben, als wir verbraucht haben. Ich habe die Kartennummer meines Kollegen und Freundes aus der Ukraine eingegeben, der in Löbau geblieben ist. Weitere Rückzahlungen für die Wohnung erhalte ich Ende des Jahres. Für Leute aus der Ukraine ist es schwer zu verstehen, weil hier alles in ein paar Stunden gelöst ist. Auch jetzt, wo der Krieg weitergeht.

Vermissen Sie etwas aus dem Leben in Löbau?

In Löbau hatte ich eine Traumküche! Unsere Küche hier befindet sich in einem anderen Raum im Hof. Es ist ein bisschen unbequem. Aber wir haben alles, um normal zu leben. Vor dem Krieg haben wir Reparaturen durchgeführt und davon geträumt, die Küche auszustatten. Wir warten auf den Sieg und werden alles bauen. Für Kinder ist es schwer zu verstehen, warum ich mich weigere, Süßigkeiten oder Spielzeug zu kaufen. In Deutschland konnte ich es zulassen. Hier spare ich.

Ljubov Demjantschuk mit ihren Kindern vor ihrem Zuhause. Sie sind nach fünf Monaten in Löbau wieder in die Ukraine zurückgekehrt.
Ljubov Demjantschuk mit ihren Kindern vor ihrem Zuhause. Sie sind nach fünf Monaten in Löbau wieder in die Ukraine zurückgekehrt. © privat/Demjantschuk

Haben Sie es bereut, nach Löbau gekommen zu sein?

Nein, aber ich habe endlich verstanden, dass mein Land das beste ist! Dass unsere Leute stark und unbezwingbar sind! Ich war nicht nur in Deutschland zu Besuch, ich habe den Alltag kennengelernt: von der Kartenausgabe bei der Bank bis zur Anmietung einer Wohnung. All dies ist in der Ukraine viel einfacher zu bewerkstelligen. Zwar ist unser Einkommensniveau niedriger, wir arbeiteten körperlich mehr, aber wir entwickelten uns und steuerten auf ein besseres Leben zu. In Europa ist nicht alles so cool, wie wir es uns vorgestellt haben. Die Dinge zu Hause sind nicht so schlimm, wie wir dachten.

Wie haben Ihre deutschen und ukrainischen Bekannten auf Ihre Rückkehr reagiert?

Viele Leute haben meine Rückkehr in erster Linie wegen des Geldes nicht verstanden. Ich habe in Deutschland gearbeitet und dort mehr verdient als in der Ukraine. Aber Geld ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu Familie, Liebe und Freiheitsgefühl. Es ist gefährlich in der Ukraine, aber wir sind frei, weil wir unser normales Leben führen. Wir feiern unsere Feiertage, sprechen unsere Sprache, gehen in unsere Kirche. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedlich reagiert. Menschen, die mir nahestehen, verstehen, warum ich nach Hause ging. Das ist das Wichtigste.