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Menschen mit Handicap sparen jetzt mehr Steuern

Von den Neuregelungen profitieren nun auch Behinderte mit geringeren Einschränkungen. Doch viele nutzen das gar nicht.

Von Kornelia Noack
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Petra Wilde erlebte die Horrorvorstellung eines jeden Autofahrers. Sie war in der Nähe ihres Heimatortes Lohsa im Kreis Bautzen unterwegs, als ihr auf freier Strecke plötzlich ein Pkw entgegenkam. Beide Fahrzeuge stießen frontal zusammen. Die andere Fahrerin hatte einen Lastwagen überholen wollen und blieb wie durch ein Wunder unverletzt. Petra Wilde hatte nicht so viel Glück. Die Pflegeleiterin musste mehrfach operiert werden.

Weil sie unter starken Schmerzen litt und sehr eingeschränkt war, beantragte sie einen Grad der Behinderung (GdB). Anerkannt wurde ihr ein Grad von 20. Nur drei Jahre später ein weiterer Schicksalsschlag: Ärzte fanden bei Petra Wilde einen Tumor. Noch während der Reha beantragte sie die Höherstufung ihres GdB. Nun steht eine 60 auf ihrem Schwerbehindertenausweis. Merkzeichen sind keine registriert.

Nach wie vor arbeitet Petra Wilde Vollzeit. Mit ihrem Behindertengrad stehen ihr zumindest steuerliche Vergünstigungen zu. Für das laufende Jahr kann sie mit deutlich mehr rechnen, sagt Marika Adamiak vom Lohn- und Einkommensteuer Hilfe-Ring Deutschland in Königswartha. Der Hauptgrund: Das erste Mal seit 1975 hat der Gesetzgeber den sogenannten Behindertenpauschbetrag erhöht – sogar verdoppelt. Er kann erstmals in der Steuererklärung für 2021 angesetzt werden. Dazu kommen die Aufwendungen, die Petra Wilde ohnehin als Beschäftigte und alleinerziehende Mutter absetzen kann.

Als Schwerbehinderter Steuern sparen? Damit kennt sich Marika Adamiak (l.) vom Steuerring in Königswartha aus. Seit Jahren berät sie auch Petra Wilde
Als Schwerbehinderter Steuern sparen? Damit kennt sich Marika Adamiak (l.) vom Steuerring in Königswartha aus. Seit Jahren berät sie auch Petra Wilde © Thomas Kretschel

„Oft wird argumentiert, dass der Grad der Behinderung keine Vorteile bringe, deshalb reichen viele Menschen erst gar keinen Antrag auf Feststellung ein“, sagt Adamiak. Dabei seien die steuerlichen Auswirkungen nicht unerheblich. „Menschen mit schwerer Diabetes oder chronischen Erkrankungen haben nicht selten einen GdB von 50 und können somit von Freibeträgen profitieren“, sagt Adamiak. Besonders für Rentner könne sich ein Antrag lohnen, denn im Alter nehmen die körperlichen Einschränkungen zu. Durch den Behindertenpauschbetrag können Ältere ihre Steuernachzahlung reduzieren. „Wie viel am Ende herauskommt, hängt natürlich von den individuellen Lebensumständen ab.“

Ihre Erfahrungen versucht Petra Wilde auch ihren Patientinnen zu vermitteln. Sie arbeitet in der Tumorberatungsstelle des Hoyerswerdaer Klinikums und kennt die Vorbehalte vor allem jüngerer Frauen, einen Grad der Behinderung zu beantragen. „Man sollte sich nicht scheuen. Denn das Wort schwerbehindert steht doch niemandem auf der Stirn geschrieben.“

Behindertenpauschbetrag

Ob teure Medikamente, persönliche Betreuung oder barrierefreie Ausstattung: Menschen mit Behinderung haben im Alltag oft höhere Kosten. Diese sollen mit dem Behindertenpauschbetrag weitestgehend aufgefangen werden. Wie viel genau sie absetzen können, hängt von der Höhe ihres GdB ab. Für das Steuerjahr 2021 werden die Beträge verdoppelt und liegen zwischen 384 und 2.840 Euro. Den Pauschbetrag zu nutzen, lohnt sich insbesondere, wenn die Aufwendungen per Einzelnachweis geringer wären.

Neu ist auch: Den Behindertenpauschbetrag gibt es bereits ab einem GdB von 20. „Bisher wurde er in dem Fall nur gewährt, wenn das Versorgungsamt zusätzlich festgestellt hat, dass die körperliche Beweglichkeit eingeschränkt ist. Ab 2021 werden keine weiteren Voraussetzungen mehr geprüft“, sagt Adamiak. Damit wird es einfacher, bereits bei einem GdB von weniger als 50 den Behindertenpauschbetrag geltend zu machen. Als Nachweis reicht die Bescheinigung des Versorgungsamts.

Bei Rentnern wird der Pauschbetrag in der Steuererklärung automatisch gewährt, wenn sie in der Anlage „Außergewöhnliche Belastungen“ ihren GdB eintragen. „Arbeitnehmer müssen selbst tätig werden und einen Antrag auf Steuerermäßigung beim Finanzamt stellen, wenn er bereits bei der Lohnabrechnung berücksichtigt werden soll“, erklärt Adamiak. Damit werde der GdB als sogenanntes elektronisches Lohnsteuerabzugsmerkmal (ELStAM) für den monatlichen Lohnsteuerabzug eingetragen. „Das sollte so schnell wie möglich passieren, denn der Abzug erfolgt erst ab dem Monat nach Antragstellung“, sagt die Steuerfachfrau. Die Formulare gibt es beim zuständigen Finanzamt oder im Internet. Alternativ kann der Behindertenpauschbetrag aber auch nachträglich in der Steuererklärung berücksichtigt werden. Eltern eines behinderten Kindes können den Pauschbetrag auf sich übertragen lassen. Dafür geben sie in der Anlage „Kind“ den GdB ein und beantragen gegebenenfalls den Pflegepauschbetrag in der Anlage „Außergewöhnliche Belastungen“.

Auch der sogenannte erhöhte Behindertenpauschbetrag wird verdoppelt – von 3.700 Euro auf 7.400 Euro jährlich. Er kann von Blinden geltend gemacht werden sowie von Menschen, die als hilflos gelten, also das Merkzeichen „H“ im Schwerbehindertenausweis stehen haben. Zudem können Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad vier oder fünf den erhöhten Pauschbetrag ansetzen – auch ohne Ausweis.

Fallen aufgrund der Behinderung im Alltag höhere Aufwendungen an als der Behindertenpauschbetrag abdeckt, können diese als „Außergewöhnliche Belastungen“ geltend gemacht werden. Dann ist jedoch ein Einzelnachweis erforderlich.

Tipp: Wird der Antrag auf einen GdB oder auf eine Höherstufung vor dem Jahreswechsel gestellt und erst im folgenden Jahr rückwirkend beschieden, kann die Steuerermäßigung noch für die zurückliegende Zeit beantragt werden. Voraussetzung ist, dass bereits ein Steuerbescheid vorliegt oder die nachträgliche Abgabe einer Steuererklärung infrage kommt.

Fahrtkosten

Mit dem Taxi zur Arztpraxis, mit dem Bus zum Amt oder mit dem eigenen Pkw zum Supermarkt: Menschen mit Behinderung sollten bei ihrer Steuererklärung den Fahrtkosten besondere Aufmerksamkeit schenken. Die Anrechnung wird ab dem Steuerjahr 2021 vereinfacht. „Das erspart die bisherigen aufwendigen Einzelnachweise, wenn die behinderte Person mehr als 3.000 Kilometer jährlich fährt“, erklärt Adamiak. Statt um die Kilometer geht es nun in erster Linie um die Merkzeichen auf dem Schwerbehindertenausweis. Sind die Merkzeichen H, aG oder Bl eingetragen, können pauschal 4.500 Euro angesetzt werden. Liegt ein GdB von 70 oder 75 vor sowie das Merkzeichen G, werden künftig 900 Euro im Jahr anerkannt. Gleiches gilt bei einem GdB von mindestens 80.

Von den Pauschbeträgen und weiteren außergewöhnlichen Belastungen wird bei der Steuerberechnung noch die zumutbare Eigenbelastung abgezogen. Die wird für jeden individuell ermittelt und hängt unter anderem vom Einkommen ab.

Tipp: Die Fahrtkosten sind nicht mit der Pendlerpauschale für Fahrten zur Arbeitsstätte zu verwechseln. Diese beträgt 0,30 Euro pro Kilometer für die einfache Strecke. Menschen mit einem GdB von mindestens 70 oder einem GdB zwischen 50 und 70 sowie dem Merkzeichen G oder aG können sogar die tatsächlichen Fahrten angeben, also für Hin- und Rückwege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Diese werden bei Werbungskosten eingetragen.

Pflegepauschbetrag

Petra Wilde pflegt seit vergangenem Jahr ihre kranke Mutter, die Pflegegrad drei hat. „Wer einen hilfebedürftigen Angehörigen ohne Bezahlung pflegt, kann einen Pflegepauschbetrag geltend machen“, sagt Marika Adamiak. Damit sollen die Helfenden zumindest für einen Teil ihres finanziellen Aufwands entschädigt werden, beispielsweise für regelmäßige Fahrten zum Arzt oder zum Einkaufen. Voraussetzung dafür ist, dass die Betreuung in der häuslichen Umgebung erfolgt, also entweder in der Wohnung des Angehörigen oder zu Hause bei der pflegenden Person.

Bislang wurde der Pflegepauschbetrag nur bei Schwerstpflegebedürftigkeit, also bei Pflegegrad vier oder fünf, anerkannt. Aber auch, wer einen Menschen mit dem Merkzeichen H für hilflos oder Bl für blind pflegt, kann den Betrag ansetzen. Ab dem Steuerjahr 2021 gibt es nun zusätzlich einen Pflegepauschbetrag von 600 Euro beziehungsweise 1.100 Euro für die Pflegegrade zwei und drei. Auf diese Weise können nun also mehr pflegende Angehörige als bisher beim Finanzamt die Pauschale beantragen, so wie Petra Wilde.

Tipp: Der Pflegepauschbetrag gehört zu den „Außergewöhnlichen Belastungen“. Alternativ können Pflegepersonen in ihrer Steuererklärung einzelne Ausgaben für die Pflege geltend machen. Diese müssen dann aber nachgewiesen werden.

Weitere bisher erschienene Teile der Serie "Hilfe, Handicap!":

  • Teil 1: Der lange Kampf der schwer Kranken
    Ingo Philipp aus Wilsdruff ist unheilbar krank. Wie über 80.000 Sachsen im Jahr hat er einen Behindertengrad beantragt. Doch die Anerkennung ist oft mühsam. Zum Artikel