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Dresdnerin gerät unverschuldet in Finanznot – durch Technikpannen bei der Postbank

Kunden wie Anja Hoffmann aus Dresden kamen wochenlang nicht an ihr Geld. Nicht die einzigen Probleme bei der IT-Umstellung der Postbank.

Von Susanne Plecher
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Anja Hoffmann aus Dresden hat sechs Wochen lang auf ihre neue Bankkarte für das Girokonto bei der Postbank warten müssen. Für eine zweite Karte gab es bislang noch nicht mal eine Rückmeldung.
Anja Hoffmann aus Dresden hat sechs Wochen lang auf ihre neue Bankkarte für das Girokonto bei der Postbank warten müssen. Für eine zweite Karte gab es bislang noch nicht mal eine Rückmeldung. © kairospress

Zum Glück hat Anja Hoffmann einen verständnisvollen Ehemann, lebt in der Großstadt und ist mobil. Wäre sie alleinstehend, ihr Lebensmittelpunkt ein Ort ohne Bankfiliale und sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, dann hätte sie sehr große Anstrengungen unternehmen müssen, um die ersten anderthalb Monate dieses Jahres finanziell über die Runden zu kommen – trotz ihres gedeckten Kontos.

Der Auslöser war vermeintlich ganz banal: Die Debitkarte, die die Dresdnerin bei der Postbank hat, war abgelaufen. Die neue sei laut Bank „auf dem Postweg verloren“ gegangen – zweimal, wie sie aus Mitteilungen der Bank via Onlinebanking entnahm. „Das hat mich schon stutzig gemacht. Ich habe Anfang Januar eine neue beantragt, erst online, dann in der Filiale. Aber wochenlang ist gar nichts passiert“, sagt Anja Hoffmann.

Erst nach sechs Wochen und vielfältigen Bemühungen hat sie die neue Debitkarte erhalten. In dieser Zeit bargeldlos im Geschäft, an der Tankstelle oder im Kino zu bezahlen: Fehlanzeige. „Mir ist da knallhart bewusst geworden, wie selbstverständlich man mit Karte zahlt.“ Bargeld musste sie sich umständlich organisieren, eine geöffnete Filiale suchen – oder ihren Mann bitten, etwas für sie abzuheben. „Ich bin immer noch fassungslos. Das ist doch das Einfachste für eine Bank, eine neue Karte auszustellen“, sagt sie.

Verbraucherzentrale: Es gab dramatische Fälle

Sollte es sein, war es aber für sehr viele Postbankkunden deutschlandweit über lange Zeit nicht, wie Madlen Müller sagt. Sie leitet das Team Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale in Sachsen und schildert massive Probleme bei simplen Routineaufgaben: So seien Zahlungen per Karte abgelehnt, Überweisungen nicht akzeptiert oder doppelte Gebühren erhoben worden.

Geldabheben sei teils unmöglich gewesen genau so wie das Einwählen in das Onlinebanking. Das Ein- oder Auszahlen von Bargeld habe oft nicht funktioniert. „Wer eine gewisse Zeit nicht auf sein Girokonto zugreifen kann, hat irgendwann kein Geld mehr, um sich Nahrungsmittel zu kaufen. Da sind dramatische Fälle vorgekommen. Das kann und darf nicht sein“, sagt Madlen Müller.

Der Grund für den ganzen Schlamassel ist die Umstellung der Postbank-Kundendaten auf eine gemeinsame IT-Plattform mit der Deutschen Bank. Diese hatte die Postbank von 2009 bis 2015 nach und nach übernommen. Beim Datentransfer sind seit Ostern 2022 deutschlandweit in mehreren Wellen Konten- und Vertragsdaten der etwa zwölf Millionen Postbank- und DSL-Bank-Kunden übertragen worden. Was genau dabei schief ging, ist spekulativ.

Die Deutsche Bank hat die Postbank von 2009 bis 2015 schrittweise übernommen. Die Technikpannen bei der IT-Umstellung betraf Tausende Postbankkunden.
Die Deutsche Bank hat die Postbank von 2009 bis 2015 schrittweise übernommen. Die Technikpannen bei der IT-Umstellung betraf Tausende Postbankkunden. © kairospress

„Tausende Postbankkunden hatten danach Schwierigkeiten, aber nicht zwangsläufig jeder“, so Müller. Ein großes Thema waren das Auflösen von Nachlasskonten und Sparbüchern. Kunden mussten bis zur Abwicklung teils monatelang Geduld haben, bis sie auf ihr Geld zugreifen konnten.

Schwerwiegende Probleme auch bei Bauspar-Bank DSL

„Vor allem von Frühsommer bis Herbst 2023 gab es auch ganz ernsthafte Probleme bei Pfändungsschutzkonten“, sagt Carmen Hoffmann von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Verbraucherzentrale in Leipzig. Das sind Girokonten, die es ermöglichen, trotz einer Kontopfändung über einen monatlichen pfändungsfreien Betrag zu verfügen.

Normalerweise. „Wir hatten hier Kunden, die bis zu acht Wochen nicht an ihr Geld kamen, weil die Bank ihr Konto eingefroren hatte“.

Auch Kunden der Bauspar-Tochter der Postbank, der DSL, blieben von Schwierigkeiten nicht verschont. So hätte in etlichen Fällen die Grundbuchlöschung bei einer Immobilienfinanzierung, Sondertilgungen von Krediten oder Auszahlungen nicht geklappt. „Bekommt das Bauunternehmen sein Geld nicht rechtzeitig, baut es auch nicht weiter. Das trifft weitere Gewerke und hat einen Rattenschwanz“, sagt Madlen Müller.

Katastrophaler Kundenservice

Besonders entnervend sei für viele gewesen, dass sie den Kundenservice nicht erreichen und daher keinerlei Besserung herbeiführen konnten „Sie haben sich einfach ausgeliefert gefühlt.“

Anja Hoffmann aus Dresden bestätigt das. „Ich habe mehrfach stundenlang in Warteschleifen gehangen, wo mir einfach aufgelegt wurde, nachdem ich mein Problem geschildert hatte. Ich habe auch einen Termin bei einem Berater gemacht, parallel dazu Briefe geschrieben, auch eine Vorstandsbeschwerde – aber es gab darauf bis heute keinerlei Reaktion“, sagt sie. Eine zweite Karte, die sie zeitgleich beantragt hatte, fehlt nach wie vor. Der Kundenservice der Bank sei „eine Katastrophe“.

Bei Sachsens Verbraucherschützern sind dazu im vergangenen Jahr zahlreiche Beschwerden eingegangen. „Sie halten auch in diesem Jahr noch an“, sagt Finanzexpertin Madlen Müller. Bundesweit hatten sich bis Oktober 2023 mehr als 1.700 Betroffene beim Verbraucherzentrale Bundesverband beschwert. Laut Recherchen des Handelsblattes reichten etwa 450 Klage am Landgericht Bonn ein, wo die Postbank ihren Sitz hat.

Das führte so weit, dass sich Ende September die Finanzaufsicht BaFin einschaltete und einen Sonderbeauftragten für die Deutsche Bank bestellte. Er soll überwachen, dass die Bank „die Einschränkungen im Kundenservice bei den Niederlassungen Postbank und DSL Bank rasch, vollständig und dauerhaft abstellt und bisher nicht bearbeitete Kundenaufträge zügig abarbeitet“, wie ein BaFin-Sprecher mitteilt. Der Sonderbeauftragte bleibe solange, bis die Mängel in der Auftragsbearbeitung behoben seien und für die Kunden der Normalzustand wiederhergestellt sei, „wie er vertraglich vereinbart und gesetzlich vorgeschrieben ist.“

Viele Kunden haben wegen der gravierenden Probleme bei der Datenumstellung das Vertrauen in die Postbank verloren.
Viele Kunden haben wegen der gravierenden Probleme bei der Datenumstellung das Vertrauen in die Postbank verloren. © kairospress

Die Deutsche Bank hat nach eigenen Angaben die technische Umstellung Anfang Juli 2023 abgeschlossen. Chef Christian Sewing hat sich für das Desaster entschuldigt und im Januar den Manager entlassen, der für die Prozesse und Abläufe der Privatkundensparte verantwortlich ist. Der Aufsichtsrat hat wegen des Desasters nun fast allen Vorständen die Boni gekappt.

Kunden mit Pfändung, Insolvenz oder Pfändungsschutzkonto, denen wegen der mangelnden Bearbeitung ein finanzieller Schaden entstanden ist, bietet die Bank Schadenersatz. „Wir sind beim Abarbeiten der Rückstände an Kundenanfragen seit Sommer weit vorangekommen – auch dank mehr als 800 zusätzlichen Arbeitskräften für diese Aufgaben“, schreibt ein Banksprecher. Das Abarbeiten sei komplex und nehme teilweise mehr Zeit in Anspruch. „Einen Teil dieser Fälle werden wir deshalb bis Ende des ersten Quartals abschließend bearbeiten.“ Das ist in gut zwei Wochen. Der Fall von Anja Hoffmann liegt nun auf seinem Tisch.

Betroffene Kunden sollten alles dokumentieren

Dass die Bank dieses Versprechen einhalten wird, sieht Madlen Müller skeptisch. „Über die großen Probleme, dass das Onlinebanking nicht funktioniert oder man nicht auf das Konto zugreifen kann – über den Punkt sind wir hinaus. Aber der Kundenservice funktioniert anscheinend immer noch nicht, wie er sollte“, sagt sie.

Betroffenen Kunden rät sie, genau zu dokumentieren, wann sie wie lang wie oft versucht haben, anzurufen, jede Stunde in der Warteschleife aufzuschreiben, festzuhalten, wann welches Schreiben geschickt wurde. „Sie sollten hartnäckig bleiben, gegebenenfalls auch mal mit einem Zeugen in die Warteschleife gehen, Fristen setzen und die Bank in Verzug setzen.“ Hilfe dabei bietet die Verbraucherzentrale oder der Ombudsmann der privaten Banken beim Bundesverband deutscher Banken e.V.. Anja Hoffmann hat 200 Euro Schadenersatz gefordert. Eine Antwort hat sie bislang nicht bekommen.

Sie denke an die vielen Menschen, die sich nicht so wehren könnten wie sie. „Gerade die Älteren, die auf dem Dorf leben, die nicht mehr mobil sind und auf ihre Karte angewiesen sind – für die ist das doch eine Katastrophe“, sagt Anja Hoffmann.