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Geheimgespräche von Bahn und GDL: Auch eine Einigung birgt neues Streitpotenzial

Nach vier Streiks verhandeln Lokführergewerkschaft GDL und Bahn seit Wochen hinter den Kulissen. Selbst wenn bis zum Sonntag ein Vertrag stehen sollte, herrscht Unruhe.

Von Michael Rothe
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Wenn GDL-Chef Claus Weselsky und Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn (v.l.n.r.), mit- und übereinander reden, geht es meist sehr emotional zu. Doch am Ende gibt es eine Lösung - wie hier bei der Tarifrunde 2019.
Wenn GDL-Chef Claus Weselsky und Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn (v.l.n.r.), mit- und übereinander reden, geht es meist sehr emotional zu. Doch am Ende gibt es eine Lösung - wie hier bei der Tarifrunde 2019. © dpa

Es ist still geworden im Tarifstreit bei der Bahn. Seit vier Wochen kein Streik. Stattdessen suchen Lokführergewerkschaft GDL und Deutsche Bahn (DB) an geheimen Orten nach einem Ausweg aus der festgefahrenen Lage – ohne Öffentlichkeit. Ohne Verbalattacken. Und bis 3. März ohne Ausstand. Eine 35-Stundenwoche, wie sie die Gewerkschaft mittelfristig und stufenweise für Schichtarbeiter fordert, gilt für die Verhandler um GDL-Chef Claus Weselsky und DB-Personalvorstand Martin Seiler nicht. Es wird nahezu täglich konferiert.

Es geht um weniger Arbeitszeit und Belastung für Schichtarbeitende, die wichtigste Forderung der GDL, von der sie keine Abstriche macht – trotz oder gerade wegen der Personalnot im Konzern, je nach Blickwinkel. Der Vorstand, ungeachtet mieser Pünktlichkeitswerte und anderer unerfüllter Ziele für 2022 mit Millionen-Boni bedacht, nennt das finanziell und personell nicht erfüllbar. Weselsky & Co argumentieren, dass es gutes Personal auch nur zu guten Arbeitsbedingungen und Löhnen gibt.

In ihrer letzten Offerte hatte die DB eine dreistufige Entgelterhöhung um insgesamt 13 Prozent angeboten, dazu für das Zugpersonal die Möglichkeit, die Wochenarbeitszeit ab 2026 bei gleichem Gehalt um eine Stunde auf 37 Stunden abzusenken. Alternativ könnten 2,7 Prozent mehr Lohn gewählt werden. Die GDL spricht von „Scheinangebot“, zumal ihre Mitglieder in Werkstätten und Infrastruktur sowie Fahrdienstleiter und andere im Schichtdienst außen vor blieben. Sie beharrt auf 35 Wochenstunden bei gleichem Lohn für alle.

GDL-Abschluss mit 28 Unternehmen

Ende Januar war ein für sechs Tage anberaumter Streik vorzeitig beendet worden. Beide Seiten hatten vereinbart, vertraulich weiter zu verhandeln – notfalls mit Moderatoren. Zum Deal gehört, dass 1.500 Euro Inflationsausgleichsprämie vorab im März gezahlt werden, ferner die DB-Bereitschaft, beim Lohn Festbeträge zu vereinbaren und über die Arbeitszeitverkürzung im Schichtdienst zu verhandeln. Offen ist eine Tarifierung des Netzbetriebs von DB InfraGo. Die Bahntochter war im Dezember durch Umbenennung und Verschmelzung der Sparten Netz und Station & Service entstanden.

Die streikerfahrene Gewerkschaft wähnt sich im Vorteil – nicht nur weil Lokführer im Zug ganz vorn und an den Schalthebeln sitzen. Mit der hessischen Cantus Verkehrsgesellschaft haben sich 28 Bahnunternehmen neben einem Lohnplus auf den Einstieg in die 35-Stundenwoche eingelassen – darunter Schwergewichte wie Ableger der Konzerne Netinera in Italien und Transdev in Frankreich. Unisono wird ab 2025 jährlich eine halbe Stunde pro Woche weniger gearbeitet, bis in drei Jahren 35 Stunden erreicht sind – ohne Abstriche beim Entgelt.

Die GDL spricht vom „Siegeszug der neuen Marktreferenz“. Bahn-Personalvorstand Seiler spielt den Druck auf die DB herunter und tut die GDL-Abschlüsse als „PR-Gag“ ab. Sein Sprecher verweist auf eine Klausel in den Verträgen, wonach die Unternehmen nachbessern können, wenn der Marktführer arbeitgeberfreundlichere Regelungen abschließt. Den Passus zur inhaltsgleichen Übernahme gibt es, „für den Fall, dass die GDL die vereinbarte Arbeitszeitreduzierung nicht zu den gleichen Stichtagen oder nicht im gleichen zeitlichen Umfang mit allen Arbeitgeberverbänden/Unternehmen vereinbaren wird“. Sie sei diese „harte Verhandlungsklausel“ bewusst eingegangen, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, heißt es von der GDL. „Eingeführt haben wir sie vor über zehn Jahren, als wir damit begonnen haben, die Einkommensunterschiede bei den Wettbewerbsbahnen in einem längeren Prozess über Jahren hinweg anzugleichen.“

Die Gewerkschaft sieht sich auf gutem Weg. Droht nun der nächste Sturm? Etwa der Entrüstung bei der übergroßen Mehrheit dann nicht von weniger Stunden Profitierenden, die – wenn überhaupt – in der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) organisiert sind? Jene GDL-Konkurrenz war auch stolz auf ihr 2023 nach Warnstreiks und Schlichtung erstrittenes Lohnplus von 410 Euro und die Inflationsausgleichsprämie von 2.850 Euro für 180.000 Beschäftigte, hatte – anders als die GDL – aber nicht über Arbeitszeitverkürzung verhandelt. „Das ist nicht unser Problem“, kokettiert das Sprachrohr der Lokführer in Erwartung eines Aufschreis beim Widersacher.

EVG ohne Klausel für „Nachschlag“

Die EVG räumt ein, dass sie nicht vorgesorgt und keinen Nachschlag mit der Bahn vereinbart habe, falls die GDL mehr herausholen sollte. „Eine solche Klausel ist nicht vereinbart worden“, heißt es auf SZ-Anfrage. „Da wir bereits wieder mit der DB AG verhandeln, noch bevor andere Tarifverträge ihre Wirkung entfalten, sind wir gut aufgestellt“, sagt ein Sprecher. Die EVG habe ein „Wahlmodell durchgesetzt, mit der Möglichkeit, bis zu zwölf Tage bezahlten Urlaub zusätzlich nehmen zu können“.

In der Tarifrunde mit der GDL wird nach DB-Lesart nur für rund 10.000 Beschäftigte in 18 von 300 Betrieben im Konzern verhandelt. Sollte der Konzern ihren Abschluss auf alle übertragen, wäre er „desavouiert“, heißt es von der GDL – und natürlich werde sie die Doppelzüngigkeit und Ungleichbehandlung dann thematisieren, so ein Sprecher. Die GDL kann den Tarifabschluss mit der DB kaum erwarten und spricht von einem „historischen Tag“.

Mit dem Tarifeinheitsgesetz, wonach in einem Betrieb nur der Vertrag der dort mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt, wird die Bahn die Geister, die sie einst rief, nicht mehr los. Sie habe 2021 willkürlich festgelegt, in welchen Betrieben GDL oder EVG angeblich die Mehrheit haben, kritisiert die Lokführergewerkschaft. Sie sieht sich „bewusst kleingeredet“. Ein rechtskräftiges Urteil zur Umsetzung des Gesetzes stehe seit zweieinhalb Jahren aus. Es werde immer klarer, dass seine Anwendung „nicht nur problembehaftet“ sondern „fast unmöglich ist“.

Die Deutsche Bahn sei nicht berechtigt, ihre Mitarbeitenden nach deren Gewerkschaftszugehörigkeit zu befragen, rechtfertigt der Konzern sein Vorgehen. Daher habe er die Mehrheitsverhältnisse anhand der Ergebnisse von Betriebsratswahlen und anderer vorliegender Daten analysiert.

Die DB verhandelt zwar mit der GDL, will ihr aber gerichtlich die Tariffähigkeit absprechen lassen, weil sie eine Genossenschaft gegründet hatte, die Lokführer zu besseren Konditionen an Bahnfirmen verleihen will. Die Klärung kann lange dauern. Die Deutsche Bahn möchte sich nicht zu den Szenarien äußern. Ein Sprecher verweist auf das vereinbarte „Verhandeln und Schweigen“, und das gelte bis zum 3. März.