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"Der Kohleausstieg wird auf 2030 vorgezogen"

Für Grünen-Parteichef Robert Habeck ist das frühere Abschalten der Kohlekraftwerke beschlossene Sache. Die Überprüfung wird auf 2022 vorgezogen.

Von Nora Miethke
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Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG). Die Braunkohlekraftwerke sollen schneller als bislang geplant vom Netz gehen.
Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG). Die Braunkohlekraftwerke sollen schneller als bislang geplant vom Netz gehen. © dpa-Zentralbild

Die Einhaltung der Klimaschutzziele machen einen beschleunigten Kohleausstieg notwendig. „Idealerweise gelingt das schon bis 2030“ heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrags, den die Parteivorsitzenden von SPD, Grüne und FDP am Mittwoch in Berlin vorstellten. Für Grünen-Chef Robert Habeck ist das schon beschlossene Sache. „Der Kohleausstieg wird auf 2030 vorgezogen“, sagte er vor der Presse.

Wie das konkret gelingen soll, das ist noch in vielen Punkten offen. Um den steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken, sollen die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden und als Brückentechnologie moderne Gaskraftwerke errichtet werden. Dafür wird der im Kohleausstiegsgesetz festgelegt Überprüfungstermin von 2026 auf Ende 2022 vorgezogen werden. Wie sich also der bislang festgelegte Stilllegungs-Fahrplan verändern wird, kann jetzt noch nicht beantwortet werden. Bisher sieht der Ausstiegspfad für Sachsen vor, dass die Kraftwerke Boxberg und Schwarze Pumpe als letzte vom Netz gehen sollen bis Ende 2038. Das Kraftwerk Lippendorf soll nach dem bisherigen Platz 2035 abgeschaltet werden.

Bis die Energieversorgung vollständig durch Erneuerbare Energien gesichert werden kann, sollen moderne Gaskraftwerke die Lücke füllen und diese sollen zur Nutzung der vorhandenen (Netz)- Infrastrukturen und zur Sicherung von Zukunftsperspektiven „auch an bisherigen Kraftwerksstandorten“ gebaut werden, heißt es im Vertrag. Sie müssen aber so gebaut werden, dass sie auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können, als Wasserstofffähig sind. Um die Versorgungssicherheit und den Ausbau der Erneuerbaren Energien sicherzustellen, soll das regelmäßige Monitoring zu einem „echten Stresstest“ ausgebaut werden.

Anpassungsgeld für Beschäftigte soll angepasst werden

Im Lausitzer Revier und im Mitteldeutschen Revier hängen rund 32 000 Arbeitsplätze direkt und indirekt von der Kohlewirtschaft ab. Keiner der Kohlekumpel soll ins „Bergfreie“ fallen, auch nicht bei einem auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg, versprechen die Koalitionäre. Deshalb sollen Maßnahmen des Strukturstärkungsgesetzes vorgezogen oder beschleunigt werden. Konkret und beim Namen genannt wird im Entwurf das Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus, das beschleunigt werden soll. Ein Projekt für Sachsen wird nicht genannt.

Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie das Anpassungsgeld für Beschäftigte ab 58 Jahren soll angepasst und um eine Qualifizierungskomponente für jüngere Beschäftigte ergänzt werden. Mit dem Anpassungsgeld soll die Zeit bis zum Renteneintritt überbrückt werden und Renten-Einbußen ausgeglichen werden.

Weiteres Ziel ist es, keine zusätzlichen Entschädigungen an Unternehmen zu zahlen. Im Klartext: Die neue Bundesregierung will nicht noch einmal mit den Kraftwerksbetreibern über höhere Entschädigungszahlungen verhandeln. Die alte Regierung hatte mit den Kohlekonzernen Entschädigungszahlungen in Höhe von 4,35 Milliarden Euro vereinbart, davon soll der Kraftwerksbetreiber in der Lausitz, die Leag, 1,75 Milliarden Euro erhalten.

Sachsen fordert Freigabe europäischer Fördermittel

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) spart nicht mit Kritik. "Unser Anspruch war und ist, dass die Lausitz und das Mitteldeutsche Revier Industrieregion bleiben. Und wenn dieser Kompromiss jetzt einseitig aufgekündigt wird, wird darüber zu sprechen und neu zu verhandeln sein. Klar ist: In dieser kurzen Zeit ist kein Strukturwandel möglich", betont Kretschmer. Er bezweifelt auch, dass es volkswirtschaftlich sinnvoll ist, fast gleichzeitig aus der Atomenergie und aus der Kohleverstromung auszusteigen. Der Gedanke, dies alles durch Gaskraftwerke zu ersetzen, bedeute ein deutliches Drehen an der Preisschraube. "Wir machen uns noch mehr abhängig vom Ausland. Das ist aus meiner Sicht nicht zu Ende gedacht. Und für die Regionen ist es ein großes Problem“, so der CDU-Politiker.

Staatskanzleichef Oliver Schenk geht fest davon aus, dass die im Strukturstärkungsgesetz zugesagten Finanzmittel des Bundes bis zum Jahr 2038 fließen werden. "Doch sie müssen flexibler einsetzbar werden und das Planungsrecht erheblich beschleunigt werden", sagte Schenk auf Nachfrage von sächsische.de . Das Versprechen des geschäftsführenden Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier: "Ausstieg erst dann, wenn es neue Arbeitsplätze gibt" gelte noch immer.

Sachsen und die anderen Kohleländer Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen fordern vom Bund eine Freigabe der Fördermittel aus dem europäischen Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Funds, JTF). Sachsen soll rund 635 Millionen Euro aus diesem EU-Fonds erhalten, mit denen auch Unternehmensansiedlungen und andere Aktivitäten zur Unterstützung der Wirtschaft in den Kohleregionen gefördert werden können. Doch die noch amtierende Bundesregierung hatte beschlossen, 540 Millionen Euro aus dem europäischen Kohlefonds mit den vom Bund zugesagten Strukturmitteln zu verrechnen. Das Strukturstärkungsgesetz erlaubt jedoch keine direkte Förderung der Wirtschaft. Deshalb fordern die Kohleländern nun, dass der Bund auf die JTF-Mittel verzichtet. Es brauche mehr Zuschüsse und bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, die in der Lausitz oder im Mitteldeutschen Revier investieren wollen, heißt es.

Die Leag erwartet Gesetzes- und Vertragstreue von einer neuen Bundesregierung. „Das bedeutet für uns, dass die Frage, ob und wie weit der Kohleausstieg in Deutschland vorgezogen werden kann, vereinbar sein muss mit den Vorgaben des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG) und dem zugehörigen Vertrag zwischen Bund und Energieunternehmen", betonte Leag-Vorstandschef Helmar Rendez. Das Kohleausstiegsgesetz nenne aus vielen guten Gründen 2038 als Ziel. "Es erlaubt zwar auch ein Vorziehen um bis zu drei Jahre. Das ist allerdings an harte und klare Kriterien wie Versorgungssicherheit und Stromkosten geknüpft“, so Rendez.