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Lausitz soll Modellregion für grüne Rohstoffe werden

Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler aus Sachsen gehen den Wandel nach dem Kohleausstieg sehr pragmatisch an. Das sind ihre Ideen.

Von Nora Miethke
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Kraftwerk Jänschwalde: Was kommt nach der Braunkohle. Experten schlagen mehr Windräder vor.
Kraftwerk Jänschwalde: Was kommt nach der Braunkohle. Experten schlagen mehr Windräder vor. © kairospress

Die Ampel-Koalition strebt einen endgültigen Kohleausstieg bis 2030 an. Wenn die Braunkohle weg ist, wofür steht dann der Wirtschaftsstandort Lausitz. Die Zeit drängt, Ideen gibt es viele. Doch es fehlt eine Zukunftsvision, die nicht schon andere Regionen in Deutschland verfolgen und die auf dem aufsetzt, was an Wissen und Branchen schon vorhanden ist.

Eine solche Vision kommt jetzt aus der Wirtschaft selbst. Die beiden Reviere Lausitz und Mitteldeutschland sollten sich perspektivisch als Lösungsanbieter und Modellregionen für grüne Rohstoffe und Materialien positionieren. Die Lausitz könnte sich als Hersteller von CO2-neutralen Grundstoffen wie grünem Wasserstoff oder Kathodenmaterial entwickeln, während Mitteldeutschland als regionaler Abnehmer für die weitere Verarbeitung zu Endprodukten und deren Anwendung und Vermarktung im Rahmen der Batterie- und Automobilproduktion dienen könnte.

Dieser Vorschlag ist Kern der noch nicht veröffentlichten Studie „Handlungsempfehlungen zur Förderung von Innovation und Unternehmertum in den ostdeutschen Kohleregionen“ von EIT InnoEnergy, EIT Climate-KIC und der DWR eco GmbH, die der Sächsischen Zeitung vorliegt.

Entwickelt wurde der Vorschlag in zwei Workshops im vergangenen Jahr unter Mitwirkung von Vertretern von Volkswagen Sachsen, Skeleton Technologies, Energie- und Umweltökonom Stefan Zundel von der Universität Cottbus und dem Innovationsmanager Christoph Scholze aus Görlitz. Die Ergebnisse flossen in das Impulspapier ein. Es soll als Diskussionsbeitrag für die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Innovationsstandorts in den Strukturwandelregionen dienen. Die Untersuchung geht vor allem der Frage nach, wie regionales Unternehmertum durch ein flankierendes Förderregime angeregt und Innovationen in den Bereichen Klimaschutz, Energie- und Kreislaufwirtschaft marktfähig gemacht werden können.

Großes Flächenpotenzial in der Lausitz

Grundlage ist eine regionale Stärke-Schwächen-Analyse der wirtschaftlichen Profile, die zeigt, dass sich beide Regionen gegenseitig befruchten könnten, in dem sie gemeinsame Schnittmengen für den Aufbau einer Modellregion für klimaneutrale Materialien und Rohstoffe nutzbar machen. Da schlummert eine Menge Potenzial. Zum einen, weil die Nachfrage nach klimaneutralen Werkstoffen entlang der gesamten Lieferkette stark steigen wird, zum Beispiel nach grünem Stahl in der Automobilindustrie. Zum anderen wegen der historisch gewachsenen industriellen Schwerpunkte, die gute Voraussetzungen sind. In der Lausitz ist es die Energiewirtschaft, die Chemieindustrie rund um den BASF-Standort Schwarzheide und die Metall-Branche.

Als eine bislang nicht ausreichend genutzte Chance sehen die Autoren der Studie die überdurchschnittlich großen Flächennutzungspotenziale an, die mit einer geringen Bevölkerungsdichte einhergehen. Das Flächenangebot könnte zum verstärkten Ausbau an Erneuerbaren Energien und Rohstoffen für Biomasse-Anlagen dienen und damit einen neuen Absatzmarkt für die regionalen Betriebe liefern. Eine Schwäche sei, dass die Schwerpunktbranchen in der Lausitz „allesamt noch fossil geprägt sind“, heißt es in der Studie.

Im Gegensatz zur Lausitz habe Mitteldeutschland schon frühzeitig das Profil für Branchen geschärft in denen der Transformationsprozess in vollem Gange ist, etwa im Automobilbau und in der Chemieindustrie. Die Region ist ein wichtiger Standort für die Elektromobilität. Im Chemiedreieck um die Städte Leuna, Schkopau und Bitterfeld/Wolfen entwickelt sich ein Wasserstoff-Cluster mit dem Alleinstellungsmerkmal, schon jetzt über eines der größten privaten Wasserstoffnetze Deutschlands und Kavernenspeicher zu verfügen.

Einen gemeinsamen Wirtschaftsraum schaffen

Die Autoren plädieren dafür, dass beide Regionen ihre Kräfte bündeln. Indem man in diesem Feld als First Mover agiert, also als Pionier einen neuen Markt prägt, könnten Wettbewerbsvorteile für die regionalen Unternehmen erzeugt und deren Alleinstellungsmerkmale noch besser herausgestellt werden. So wäre denkbar, die Kathodenproduktion von BASF in Schwarzheide als Vorprodukt für die Batteriezellenproduktion in Bitterfeld einzusetzen. Dort will Daimler gemeinsam mit dem chinesischen Batteriezellhersteller Farasis bis 2022 eine Fertigungsstätte errichten. BMW will im selben Jahr mit dem chinesischen Partner CATL eine Batteriezellen-Fabrik in Thüringen in Betrieb nehmen.

Ein anderes Beispiel: Grüner Wasserstoff aus der Lausitz könnte in die Raffinerieprozesse in Leuna integriert werden. Auch eine Nutzung CO2-neutraler Betriebsstoffe aus der Metall-Industrie in der Lausitz könnte Großabnehmern aus der mitteldeutschen Automobilbranche wie BMW oder VW angeboten werden. Damit diese Übertragungseffekte zwischen beiden Regionen besser generiert werden können, wäre die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums sinnvoll, heißt es.

Zudem sind sich die Experten von InnoEnergy, Climate KIC und DWR eco sicher, dass die Möglichkeit, eine grüne und CO2-freie Rohstofferzeugung im industriellen Maßstab zu erproben, die internationale Stahlkraft deutlich erhöhen würde. InnoEnergy und Climate KIC sind von der EU finanzierte Beteiligungs- und Innovationsgemeinschaften, um die Energiewende und den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu unterstützten. DWR eco ist eine Politikberatungs- und Kommunikationsagentur mit Fokus auf grüne Technologien in Berlin.

Wagniskapitalprämie nach israelischem Vorbild

Die Zukunftsvision klingt toll. Doch wie können junge, innovative Unternehmen in die Lausitz gelockt werden, um dort erfolgreiche Produkte und Lösungen zu entwickeln, die dann wiederum die Ansiedlung von Großkunden nach sich zieht? Auch dazu machen sich Verfasser der Studie Gedanken. Sie schlagen einen Innovation Voucher für den Mittelstand und die Einführung eines Wagniskapitalprogramms nach dem Vorbild des israelsichen Yozma-Programms vor, eines der weltweit erfolgreichsten Programme zur Anziehung von Risikokapital.

Weitere Bausteine sollten sein: die Förderung eines Austauschs mit anderen europäischen Innovations- und Strukturwandelregionen, die Bewerbung für die Fördertöpfe der Europäischen Kommission im Rahmen eines neuen IPCEI-Programms für „klimaneutrale Rohstoffe“ in der Schwerindustrie sowie eine kontinuierliche Beratung von Startups innerhalb der ersten drei Jahre nach Gründung. Auch die Einführung von „Climate Entrepreneurship“ als Pflichtmodul in jedem ingenieurs- und naturwissenschaftlichen Studiengang und den technologieaffinen Ausbildungsstellen wäre hilfreich.

Welches Volumen müsste der Fonds für Wagniskapital mindestens haben, damit er wirksam sein würde? Auch auf diese SZ-Nachfrage gibt es eine Antwort: „Für die Wagniskapitalprämie wäre ein Volumen von mindestens 50 Millionen Euro bis 2030 notwendig, um eine flächendeckende, transformative Wirkung zu erzielen“. Hauptadressaten wären junge Startups in der frühen Wachstumsphase. Nach Einschätzung der Autoren ließen sich so bis zu 50 Start-ups realistisch unterstützen und sogar noch mehr, wenn das Programm die Möglichkeit für private Investoren bereithält, staatliche Anteile an den Startups später zu erwerben.

Für den Innovation Voucher – verwertungsoffene und nicht rückzahlbare Zuschüsse – scheinen den Autoren zusätzlich zehn Millionen Euro realistisch. wären zusätzlich zehn Millionen Euro. Ihnen ist bewusst, dass die Verteilung der Gelder für den Strukturwandelprozess schon geregelt ist und eine direkte Förderung von Unternehmen nicht möglich ist. Aber auch dafür gibt es Lösungen. Welche das sein könnten, darüber würde die Autorengruppe gern im nächsten Schritt mit Entscheidungsträgern von Ort und auf Bundesebene diskutieren.