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Sachsens DGB-Chef: "Entsetzt über Umgang mit Kohle-Millionen"

Markus Schlimbach wurde im Amt bestätigt. Nach der Wiederwahl spricht er über die Schuldenbremse und eine neue Arbeiterbewegung.

Von Michael Rothe
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Sachsens führender Gewerkschafter heißt Markus Schlimbach (56). Der Buchhändler ist seit 1991 für den DGB im Freistaat tätig und wurde am Sonnabend von der Bezirkskonferenz mit 84 Prozent der Stimmen zum Chef von gut 250.000 Mitgliedern gewählt.
Sachsens führender Gewerkschafter heißt Markus Schlimbach (56). Der Buchhändler ist seit 1991 für den DGB im Freistaat tätig und wurde am Sonnabend von der Bezirkskonferenz mit 84 Prozent der Stimmen zum Chef von gut 250.000 Mitgliedern gewählt. © René Meinig

Herr Schlimbach, Glückwunsch zur Wiederwahl als Sachsens DGB-Chef.

Danke und toi, toi, toi.

Damit scheiden Sie als Nachfolger des Bundesvorsitzenden Reiner Hofmann aus. Wie man hört, ist die Stelle vakant.

Ja, aber solche Ambitionen habe ich nicht (lacht). Ich denke, dass jeder in der Führungsebene die Signale von der Basis verstanden hat und die Hängepartie um die Nachfolge bis zum Bundeskongress im Mai beendet ist.

Der Landesbezirk setzt mit Ihnen als Sprachrohr seit Jahrzehnten auf Kontinuität. Welche Erfolge gibt es seit 2017, als Sie den Vorsitz übernahmen?

Auf der Habenseite steht, dass wir Mitbestimmung, Tarifbindung und Vergabegesetz in den Koalitionsvertrag bekommen haben. Es gibt in Sachsen eine größere Aufmerksamkeit dafür, dass Tarifverträge und Betriebsräte zu unserem Wirtschaftssystem gehören. In der Folge ist die Tarifbindung in meiner Amtszeit von 39 auf 43 Prozent der Beschäftigten gestiegen.

Damit ist der Freistaat aber immer noch Schlusslicht in Deutschland. Anderswo sind es 60 Prozent und mehr.

Es ist ein beschwerlicher Weg, aber auch mit kleinen Schritten geht es vorwärts. Das ist sicher ein Erfolg der Gewerkschaften, aber auch dem geschuldet, dass ein gesellschaftliches Klima für die Notwendigkeit guter Arbeitsbedingungen entstanden ist.

Bei der Zahl tarifgebundener Unternehmen tut sich wenig. Lassen sich Löhne, Arbeitszeit und -bedingungen nur mit Großbetrieben festschreiben?

Wir spüren durchaus Bewegung in kleineren Betrieben mit 150 bis 200 Beschäftigten. So stehen Betriebe der Ernährungsindustrie mit weniger als 80 Mitarbeitenden zusammen, kämpfen um Tarifverträge und Angleichung an die Westlöhne. Es dauert nur länger als bei den Großen, wenn man viele Kleinbetriebe organisieren muss.

Gibt es bei den Arbeitgebern ein Umdenken in Sachen Mitbestimmung und Tarifbindung?

Davon spüre ich leider wenig. Immerhin ist der politische Druck gewachsen – vor allem aber das Selbstbewusstsein der Beschäftigten. Gerade junge Leute mit guter Ausbildung wissen, was sie wert sind und lassen sich nicht mehr mit Billiglöhnen abspeisen. Die Angst aufzubegehren ist nicht mehr so groß, man kann auch in andere Betriebe wechseln. Wer nach 1990 geboren ist, fragt sich ohnehin, warum es noch Ost-West-Unterschiede in der Bezahlung gibt oder warum er oder sie hierzulande länger arbeiten soll. Bei den Chefs führt eher der Fachkräftemangel zum Einlenken, weniger eine Einsicht oder gar Überzeugung.

Demnach ist die von Sachsens SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig ausgerufene "neue Arbeitbewegung Ost" keine Politrhetorik, sondern Realität?

Es handelt sich um die alte Arbeiterbewegung – nur unter neuen Bedingungen und mit neuem Selbstbewusstsein.

Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, war jetzt zum Antrittsbesuch in Sachsen. Seine Vorgänger haben kaum Spuren hinterlassen.

Das Amt war ungünstig im Wirtschaftsministerium angesiedelt. Da gibt es nun im Kanzleramt mehr Möglichkeiten, und entsprechend groß ist die Erwartung. Letztlich entscheiden aber die Minister. Es ist eher ein Überzeugungs- als ein Gestaltungsamt.

Jetzt geht es um einen Mindestlohn von zwölf Euro, der ab 2022 gelten soll...

... und im Arbeitgeberlager schon wieder alte Reflexe und Widerstände weckt.

Auch Sachsens Industrie- und Handelskammern warnen vor einer zu schnellen Anhebung.

Die zwölf Euro sind überfällig. Das bisherige Verfahren mit der Mindestlohnkommission hat nur mäßige Erhöhungen gebracht. Nun muss der Schritt auf das vergleichbare westeuropäische Niveau gemacht werden.

Arbeitgeber sehen durch politischen Eingriff die Tarifautonomie in Gefahr.

Die Rufe sind scheinheilig. Gerade die Arbeitgeber treten die Tarifautonomie durch Verweigerung von Tarifverträgen und tariffreie Mitgliedschaften in Verbänden mit Füßen. Sie sind durch Verbandsflucht selbst schuld. Ohne starke Tarifpartner ist keine Tarifautonomie durchzusetzen.

Der deutsche Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer kontert, auch die Gewerkschaften verlören Mitglieder.

Das ist so, wenngleich der Schwund immer geringer wird. Mitgliederwerbung in der Pandemie ist nicht einfach. Tarifautonomie funktioniert, indem Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander verhandeln. Herr Wollseifer braucht sich keine Gedanken über die Funktionsfähigkeit der Gewerkschaften zu machen. Ich bin zuversichtlich, dass die Zahlen wieder besser werden, zumal sich vor allem junge Leute für Gewerkschaftsarbeit interessieren und mitgestalten wollen.

Was steht noch auf der Aufgabenliste von Sachsens DGB-Vorsitzendem?

Wir wollen weiter und wie anderswo in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf Freistellung für politische und allgemeine Weiterbildung. Wegen des Strukturwandels gewinnt die Qualifizierung noch mehr an Bedeutung. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung gibt es gute Ansätze, die wir aber in Sachsen ebenso brauchen. Auch die Schuldenbremse ist ein wichtiges Thema. Wenn sie so wirkt, dass wir die Coronaschulden binnen sechs Jahren zurückzahlen müssen, dann wird Sachsen in den 20er-Jahren handlungsunfähig sein, gerade bei Zukunftsinvestitionen. Das wäre fatal.

Und dann gibt es noch die Herausforderungen in den Kohlerevieren.

Was Sachsen bislang mit den Millionen vom Bund macht, entsetzt mich. Es wurden viele Projekte angestoßen, bei denen Nutzen und neue Arbeitsplätze sehr infrage stehen. Und wenn es dann heißt, dass für weitere Projekte kein Geld mehr da ist, kann der Strukturwandel nicht gelingen.

2020 war laut einer Umfrage fast jeder 2. Sachse unzufrieden mit seinem Job.

Auch dank Homeoffice sind wir jetzt bei 21 Prozent, aber immer noch ganz hinten.

Wirtschaftsminister Dulig will Sachsen zu einem "Land guter Arbeit" machen. Wie definieren Sie diesen Begriff?

Gute Arbeit heißt für mich tariflich geregelte und durch Betriebs- oder Personalrat mitbestimmte Arbeit, bei der die Beschäftigten mitentscheiden können und nicht nur Werkzeug sind.

Im Bund gibt es Pläne, Minijobs auszuweiten. Passt das zu diesem Ansinnen?

Ich sehe in dem von Koalitionspartner FDP eingebrachten Vorhaben, Minijob-Verdienste von 450 auf 520 Euro zu erhöhen, ein völlig falsches Signal. Die Betroffenen haben keine Absicherung, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und wurden in der Coronakrise zuerst entlassen.

Sie sind seit über 20 Jahren für Sachsens DGB aktiv. Was treibt Sie?

Dass man für Kolleginnen und Kollegen Veränderungen erreichen kann. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern ist auch oft ein Bohren dicker Bretter. Für die Veränderungen beim Vergabegesetz haben wir fast zehn Jahre gebraucht. Auch die Begeisterung der Belegschaften bei Arbeitskämpfen stachelt mich an.

Das Gespräch führte Michael Rothe.