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Reisetipp: Wanderungen mit Wein und "Wow"-Effekt in Rheinland-Pfalz

Am Fluss Nahe in Rheinland-Pfalz gedeihen auf achteinhalb mal so viel Rebfläche wie in Sachsen überraschende Weine. Und mit Rotenfels und Felseneremitage bietet die Region zwei spektakuläre Wanderziele.

Von Katrin Saft
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Noch ein Geheimtipp: Wandern zur Felseneremitage von Bretzenheim.
Noch ein Geheimtipp: Wandern zur Felseneremitage von Bretzenheim. © Katrin Saft

Huch, zwei Schweine mitten im Weinberg! „Keine Angst, das sind Emma und Bodo“, sagt Laurence Frick und streichelt über die borstigen Rücken. Die Weideschweine grunzen und widmen sich wieder ihrer tierischen Aufgabe: Sie sollen das Beikraut im Weinberg der Fricks kurz halten.

Laurence gehört zur jüngsten Generation der Familie, die im Dorf Duchroth am Flussufer der Nahe seit mehr als 500 Jahren Wein erzeugt. „Als Kind wollte ich immer weg von hier, in die Stadt“, sagt die 24-Jährige. Denn Duchroth sieht mit seinen rosenumrankten Fachwerkhäusern zwar aus wie ein Musterdorf, zählt aber gerade mal 580 Einwohner.

Jungwinzerin Laurence Frick mit ihren beiden Weideschweinen.
Jungwinzerin Laurence Frick mit ihren beiden Weideschweinen. © Katrin Saft

Der Bäcker hat längst zu, bald auch der Metzger. Zum nächsten Supermarkt braucht es ein Auto. Und der Weinbau kennt keine Vier-Tage-Woche. Doch dann hat Laurence internationale Weinwirtschaft studiert und die Lust entdeckt, dem heimischen Wein eine junge, innovative Seite abzuringen.

Emma und Bodo zieren inzwischen fröhlich grinsend die Etiketten der Frickschen Weine. Die freche Optik kommt an auf Events – genau wie die Dosen mit Wein to go. „Man muss mit der Zeit gehen“, erklärt Laurence.

Große Vielfalt auf kleinstem Raum

Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Denn die Konkurrenz ist gewaltig. Mit 4.200 Hektar verfügt das Weinland Nahe im Südwesten Deutschlands über achteinhalb Mal mehr Rebfläche als Sachsen. Oft im Schatten der großen benachbarten Weingebiete Rheinhessen und Pfalz kämpfen die Winzer hier um Qualität und um mehr Beachtung. „Unsere Weine sind noch ein Geheimtipp“, sagt Weinprinzessin Johanna Lorenz.

„Denn keine andere Region in Europa hat auf kleinstem Raum eine so große Vielfalt an unterschiedlichen Böden zu bieten.“ Vulkanausbrüche und mächtige Erdbewegungen sorgten vor Millionen von Jahren dafür, dass an der Nahe heute etwa 180 Bodenformationen zu finden sind: Phyllite, Grünschiefer, Quarzite, Sandsteine oder Löß zum Beispiel.

Die Weideschweine Bodo und Emma haben es aufs Etikett geschafft.
Die Weideschweine Bodo und Emma haben es aufs Etikett geschafft. © Katrin Saft

Marius Walter, Vinotheks-Leiter von Gut Hermannsberg, tritt bei Weinproben gern den Beweis an, dass damit ein Riesling nicht wie der Riesling vom Weinberg nebenan schmeckt, selbst wenn er am gleichen Tag geerntet und identisch ausgebaut wurde.

Die liebliche Lage des Nahelands zwischen Nordpfälzer Bergland und dem Nationalpark Hunsrück Hochwald macht es touristisch interessant. Sanfte Hügel wechseln sich mit Laubwäldern, Kornfeldern und Reben ab. Urlaub für die Seele.

Naheweinstraße verbindet 35 Orte

Die Nahe, die im Saarland entspringt und nach 116 Kilometern bei Bingen in den Rhein mündet, ist schmaler und naturbelassener als die Elbe. Einen durchgehenden Fuß- oder Radweg am Fluss gibt es nicht, wohl aber viele romantische Stellen, an denen er sich dem Menschen öffnet. Die Naheweinstraße, die auch durch Duchroth führt, verbindet 35 Weinbauorte.

Überall finden sich Schilder, die in Vinotheken oder auf Weingüter zum Verkosten einladen – und manchmal auch zum Übernachten. „Wir könnten durchaus noch mehr Beherbergungsmöglichkeiten gebrauchen“, sagt Katja Hilt, Chefin der Naheland Touristik. Die meisten Gäste übernachten in Ferienwohnungen, Pensionen oder Gasthöfen.

Blick vom Weingut Hermannsberg in Niederhausen-Nahe auf die Weinhänge. 1902 wurden hier die ersten Rebstöcke gepflanzt, vornehmlich Riesling.
Blick vom Weingut Hermannsberg in Niederhausen-Nahe auf die Weinhänge. 1902 wurden hier die ersten Rebstöcke gepflanzt, vornehmlich Riesling. © Katrin Saft

Wie in Sachsen sind Riesling und Müller-Thurgau die wichtigsten Rebsorten an der Nahe. „Sehr gefragt sind auch Weiß- und Grauburgunder sowie zunehmend Sauvignon Blanc und Scheurebe“, sagt Weinprinzession Lorenz. 25 Prozent der Rebfläche würden rote Sorten ausmachen – Dornfelder, Spätburgunder oder Portugieser.

Kellermeister Otmar Loch-Binz von der Rebmeisterei in Bad Sobernheim präsentiert stolz einen Shiraz, der typischerweise in südlicheren Gefilden wie in Frankreich oder in Australien gedeiht. „Die globale Erwärmung sorgt zwar für eine immer zeitigere und kürzere Lese, kommt uns qualitativ aber entgegen“, sagt er.

Stahl verleiht ihnen Kraft

Auch wenn im Naheland jeder vierte Rebstock an einem Steilhang steht, wird überwiegend mit Hand geerntet. „Wir arbeiten naturnah und verzichten auf Herbizide“, sagt Marius Walter vom Weingut Hermannsberg. Da ihm dabei keine Schweine helfen, bedeutet das, mit der Hacke in den Weinberg zu gehen.

Bei Kellerführungen erklärt Walter die Kunst, „Weine von filigraner Schönheit und mit ausgeprägten Aromen zu kreieren“. In Stahltanks und Holzfässern reifen Rieslinge unterschiedlicher Lagen und Jahrgänge. „Im Stahl bekommen sie mehr Frisch, Holz verleiht ihnen Kraft“, sagt er.

„Wie auf einem Klavier spielt der Kellermeister mit den verschiedenen Qualitäten und fügt sie am Ende zu etwas Größerem zusammen.“ In seiner Jugend sei ein Riesling mit seinem hohen Säuregehalt oft grantig und unverstanden. Erst mit dem Alter gewinne er an Charakter.

Wanderung mit Wow-Effekt

Ein solches großes Gewächs, wie die höchste Stufe eines trockenen Qualitätsweins heißt, kann durchaus zwischen 50 und 75 Euro pro Flasche kosten. Mit 8,90 Euro liegen die Einstiegspreise der Naheweine im Schnitt aber unter denen in Sachsen. „Ich vergleiche unsere Weine gern mit einem Schmuckkästchen“, sagt Kellermeister Loch-Binz. „Jeder findet etwas darin.“

Seit Corona entdecken auch an der Nahe immer mehr Menschen die Freude daran, den Weingenuss mit dem Wandern zu verbinden. Der bekannteste und damit frequentierteste Weg ist der Hildegard von Bingen-Pilgerwanderweg. Die 137 Kilometer können in sieben bis zehn Tagen auch mit Gepäcktransport erwandert werden.

Wer es stiller mag, dem sei der erst 2019 eingeweihte Eremitenpfad empfohlen, der in Bretzenheim beginnt. Ein weißes Zeichen mit einem roten Mönch mit Wanderstock weist den neun Kilometer langen Rundweg. Über Weinberge und durch Wald führt er an einen Ort mit Wow-Effekt: zu den Überresten eines in den roten Sandstein gehauenen Felsenklosters – der Felseneremitage. „Als Kind bin ich hier rumgeklettert, es war ja alles zugewachsen“, erzählt der Bürgermeister von Bretzenheim, Olaf Budde.

Olaf Budde, Bürgermeister von Bretzenheim.
Olaf Budde, Bürgermeister von Bretzenheim. © Katrin Saft

Erst ein pensionierter Kriminalkommissar habe in jahrelanger Arbeit erforscht, welches Kleinod hier verborgen liegt. Budde steht vor der inzwischen freigelegten Felswand und breitet die Arme aus: „Spüren Sie die Magie des Ortes?“ Schon vor Christus sollen an dieser Stelle Götter verehrt worden sein. Er deutet auf eine eingezäunte Grotte: „Wir wissen durch ein mit Reliquien gefundenes Kästchen, dass hier im Jahr 1043 dem Eremiten Antonius eine Kirche geweiht worden ist.“