SZ + Wirtschaft
Merken

Wo die großen Baupläne für die kleinen Chips entstehen

Das Dresdner Unternehmen DMOS entwirft Mikrochips, die in fast allen Autos stecken. Was die Dresdner Entwickler vom Fahrzeug der Zukunft erhoffen.

Von Georg Moeritz
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das wird gebraucht, bevor neue Mikrochips fürs Auto in Serie gehen können: Testingenieur Jörg Peter (links) und Standortleiter Dr.-Ing. Thomas Leitner halten Boards zum Prüfen von Schaltkreisen im Unternehmen DMOS in Dresden.
Das wird gebraucht, bevor neue Mikrochips fürs Auto in Serie gehen können: Testingenieur Jörg Peter (links) und Standortleiter Dr.-Ing. Thomas Leitner halten Boards zum Prüfen von Schaltkreisen im Unternehmen DMOS in Dresden. © Thomas Kretschel

Dresden. Große Pläne an der Wand: Die Blätter mit den hellen und dunklen Flächen in den Design-Büros der DMOS GmbH könnten auch ein Architekturbüro schmücken. Doch was auf den ersten Blick wie ein Grundriss für ein Gewerbegebiet aussieht, ist bei DMOS der Schaltplan für einen Mikrochip – kein Plan im verkleinerten Maßstab, sondern im Gegenteil stark vergrößert. Die größten Rechtecke stehen für Speicher. Die rund 70 Ingenieure des Dresdner Unternehmens entwickeln Mikrochip-Designs und kümmern sich um die ersten Tests der winzigen Schaltkreise.

Der Standortleiter Thomas Leitner führt durch den Neubau gleich am Dresdner Hauptbahnhof. Sechs Etagen, davon zwei unter der Erde. Am Fahrradkeller vorbei, in dem auch das Rad des Chefs steht, geht es zu einem Labor mit roter Lampe an der Tür. Rotes Licht heißt: „Versuch läuft“, und zwar im Labor für Elektromagnetische Verträglichkeit. Im zweiten Untergeschoss hat DMOS Spezialmessplätze eingerichtet, weil dort kaum noch Störsignale ins Haus eindringen.

Die Abkürzung DMOS ist für alle Angehörigen des sächsischen Unternehmensnetzwerks Silicon Saxony leicht zu entschlüsseln: MOS ist die englische Abkürzung für Halbleiterbauteile, metal-oxide semiconductor. 2002 wurde das Unternehmen unter dem Namen Dresden MOS Design gegründet. Vorangegangen war ein Zwist mit den vorherigen Besitzern aus Österreich: Sie wollten sparen und dreien von damals 14 Beschäftigten kündigen, berichtet Leitner. Daraufhin gingen die anderen auch und machten sich in gemieteten Büros an der Tannenstraße selbstständig. Als die zu klein wurden, baute DMOS mit viel Glas neu an der Bergstraße. Die Chip-Designer haben seit 2008 Aussicht auf den Hauptbahnhof.

Klimaanlage im Auto enthält bis zu 30 kleine Motoren

Was die Dresdner Ingenieure entwickeln, wird erst in zwei Jahren in Serie gehen, berichtet Geschäftsführer Armin Kemna über die „zukünftigen Produkte“. Die Entwicklungsmannschaft bei DMOS wolle möglichst schon wissen, was in fünf Jahren in Autos eingebaut wird. Denn Automobilelektronik ist das Hauptbeschäftigungsfeld des Dresdner Unternehmens, neben Automatisierung für Industrie und Gebäude.

Zwei Schwerpunkt-Themen aus der Autobranche sind die Spezialgebiete der DMOS-Entwickler: Chips für Motoren und für die technische Kommunikation im Fahrzeug. Mit Motor ist allerdings nicht der Antrieb der Autos gemeint. Vielmehr steuern die kleinen Bauelemente zum Beispiel Lüftermotor und Fensterheber, Kühlsystem, Heckklappenöffner und Spiegelversteller. Allein die Klimaanlage im Auto enthält bis zu 30 Motoren, die Klappen öffnen und schließen.

Die Technik im Fensterheber soll erkennen, ob die Scheibe angefroren ist und losgerissen werden soll – aber auch beim Schließen spüren, ob womöglich ein Kinderkopf dazwischen ist. Sensorsysteme sind Bestandteil vieler Elektronik-Bauteile. Bei der technischen Kommunikation im Fahrzeug kümmern sich die Dresdner Ingenieure um die Verbindung zwischen Ultraschall-Abstandssensoren in den Stoßstangen und der Steuerungseinheit, um Radar und Laser. Schicke Innenraumbeleuchtung mit LED ist ein Renner vor allem bei Autokäufern in Asien, gerade haben die Test-Ingenieure die Schaltkreise dafür im Labor. Ein Oszilloskop lässt gelbe und grüne Kurven auf dem Bildschirm erscheinen.

Tesla setzt auf Kameras statt Ultraschall

Mehr als 700 Millionen winzige Schaltkreise nach Entwicklung von DMOS sind weltweit bisher produziert und ausgeliefert worden. Sie dürften in Autos fast aller Marken vorkommen, sagt Geschäftsführer Kemna – von Deutschland bis Südkorea. Tesla nutzte bisher auch die Ultraschall-Abstandsmessung, für die in Dresden die Kommunikation entwickelt wurde. Künftig will sich der E-Auto-Riese allerdings auf Kameras verlassen und Ultraschall wieder weglassen. Die Dresdner rechnen aber damit, dass sie künftig „eher mehr als weniger entwickeln“ werden. Im Elektrofahrzeug steckt deutlich mehr Elektronik, auch braucht die Batterie Kühlung und Heizung.

Die DMOS GmbH hat 2008 ihren Neubau am Dresdner Hauptbahnhof bezogen - mit Platz zum Wachsen.
Die DMOS GmbH hat 2008 ihren Neubau am Dresdner Hauptbahnhof bezogen - mit Platz zum Wachsen. © Archivfoto: André Wirsig

DMOS liefert seine Chip-Designs nicht direkt an die großen Autohersteller. Die beziehen ihre Bauteile von Lieferanten wie Denso und Dräxlmaier, Hella oder Autoliv. Wenn diese Autozulieferer Elektronik-Neuheiten wünschen, schreiben sie wiederum Aufträge unter ihren Lieferanten aus. Weltweite Kontakte gehören dazu – wegen der Zeitunterschiede sprechen die deutschen Entwickler möglichst morgens mit Korea und abends mit den USA.

Geschäftsführer Armin Kemna ist nur zwei Tage pro Woche in Dresden, denn er gehört zum Management des Mutterkonzerns Elmos in Dortmund, der seit 2014 Hauptgesellschafter der DMOS ist. Der börsennotierte Elektronikkonzern wurde im Herbst bekannt, weil er seine Dortmunder Chipfabrik verkaufen wollte, aber ein Verbot von der Bundesregierung bekam. Die deutsche Chipfabrik sollte an das schwedische Unternehmen Silex verkauft werden, das aber dem chinesischen Konzern Sai Microelectronics gehört.

Dresdner Entwürfe werden in Taiwan und Korea zu Chips

Kemna betont, dass die Dresdner Entwicklungen nichts mit diesem geplatzten Geschäft zu tun haben. Die Transistoren nach den Entwürfen von DMOS werden nicht in der Dortmunder Fabrik hergestellt, sondern bei TSMC in Taiwan mit winzigen Strukturen bis 180 Nanometer Größe oder bei Samsung in Südkorea mit 130 Nanometern.

Leitner betont, dass diese Chipstrukturen noch „eher grob“ seien im Vergleich mit Mikrochips für Computer und Smartphones. Doch für die Automobilelektronik komme es in der Regel nicht darauf an, im Wettbewerb um die feinsten „Chipknoten“ mitzuhalten. Autohersteller seien risikoscheu und vermieden Änderungen in laufenden Serien, bewährte Bauteile würden fünf oder zehn Jahre lang möglichst nicht verändert – während für Smartphones alle halbe Jahre neue Schaltkreise auf den Markt kämen.

Internationales Team spricht mal englisch, mal deutsch

Die Chips fürs Auto müssen Temperaturwechsel und Schocks aushalten, werden bei minus 40 und plus 150 Grad getestet. Die Dresdner Testingenieure zeigen grüne Boards vor, in die sich neu entwickelte Chips einstecken lassen. Solche Arbeiten seien freilich nicht fürs Homeoffice geeignet, sagen die Chefs – doch auch bei DMOS kann inzwischen die „Mobilarbeit“ 40 Prozent der Arbeitszeit ausmachen. Programmentwicklung läuft auch am heimischen Rechner.

Ihr 20-jähriges Bestehen haben die DMOS-Beschäftigten mit einem Workshop und Festprogramm im Bennohaus in Schmochtitz begangen. Für den Zusammenhalt der Belegschaft gibt es Sommerfeste, Weihnachtsfeiern und Ausflüge. Leitner berichtet, dass DMOS ein „internationales Team“ ist – mit Experten aus Argentinien und Bangladesch, Spanien, Türkei und China. Sie arbeiten mit englischen Dokumenten, sprechen aber je nach Teilnehmerkreis deutsch. Schließlich sei Englisch auch für die meisten fremdsprachigen Kollegen eine Fremdsprache. „Die meisten lernen schnell Deutsch – nicht für die Arbeit, aber fürs Nebengespräch“, sagt Leitner. Auch der Argentinier wolle einen Gag verstehen.