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Der Mann im Berg

Gunnar Wolf baut für sein Leben gern Tunnels. Diese Vorliebe hat den bayrischen Dynamo-Fan zurück in die alte Heimat geführt: nach Pirna.

Von Jörg Stock
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Auch wenn es auf diesem Bild anders wirkt: Einer allein kann nichts ausrichten im Berg, sagt Gunnar Wolf. Er leitet das Projekt Kohlbergtunnel an Pirnas neuer Südumfahrung.
Auch wenn es auf diesem Bild anders wirkt: Einer allein kann nichts ausrichten im Berg, sagt Gunnar Wolf. Er leitet das Projekt Kohlbergtunnel an Pirnas neuer Südumfahrung. © Daniel Schäfer

Wer mit dem Bauingenieur Gunnar Wolf ins Gespräch kommen will, der muss nur "Dynamo" sagen. Schon ist das eigentliche Thema, die Durchlöcherung eines ausgewachsenen Bergs für eine dreispurige Schnellstraße, fast vergessen. Vor allem jetzt, da die SG ums Überleben in der 2. Liga fürchtet. Für Wolf die spannendste Liga überhaupt. "Da muss i doch drin bleiben wollen", lautet sein Stoßgebet. "Da muss i die Arschbacken zamm kneifen."

Fußball gelingt nicht, wenn elf Leute bloß deshalb auf dem Platz stehen, weil das der Arbeitsvertrag so vorsieht, sagt Gunnar Wolf. "Fußball ist Mannschaftssport." Und da kriegt er die Kurve zu seinem Beruf. Ein Tunnel ist immer ein Gesamtkunstwerk, sagt er. "Und das funktioniert nur, wenn die Mannschaft funktioniert."

Das Westportal des Kohlbergtunnels. Von hier geht es etwa 250 Meter quer durch den Felsen bis ins Gottleubatal.
Das Westportal des Kohlbergtunnels. Von hier geht es etwa 250 Meter quer durch den Felsen bis ins Gottleubatal. © Daniel Schäfer

Das Kunstwerk, dessen Projektleiter der 49-Jährige ist, heißt Kohlbergtunnel, rund dreihundert untertägige Meter, die das Seidewitztal mit dem Gottleubatal auf Pirnas kommender Südumfahrung verbinden sollen. 180.000 Tonnen Gestein gräbt Wolfs Mannschaft vom Alfred Kunz Untertagebau dafür aus der Tiefe. Kostenpunkt nach jetzigem Stand der Dinge: um die 26 Millionen Euro.

"Vor der Hacke ist es dunkel"

Über die Baustraße treibt Gunnar Wolf sein chronisch verstaubtes Auto dem westlichen Tunnelportal zu, dahin, wo im November 2020, vor 527 Tagen, der Vortrieb begann. Die Stimmung ist momentan gut, sagt Wolf. Aber die Aufgaben seien "knackig". Terminlich wäre man gern viel weiter. Doch wie heißt es so schön beim Bergbau: "Vor der Hacke ist es dunkel."

"Kurzer Abschlag, schnelle Sicherung." Der Tunnelbagger zieht sich nach einem knappen Meter Vortrieb aus der Süd-Röhre zurück.
"Kurzer Abschlag, schnelle Sicherung." Der Tunnelbagger zieht sich nach einem knappen Meter Vortrieb aus der Süd-Röhre zurück. © Daniel Schäfer

Damit sind die Unwägbarkeiten des Metiers gemeint, die erst offenkundig werden, wenn man auf sie stößt. Im Fall des Kohlbergtunnels hätten die Ursachen für den Verzug eher über Tage gelegen, sagt der Projektchef. Es ging um Corona, Fledermausschutz, Zahlungsmodalitäten. Doch auch beim Bauen gibt es immer mal Planänderungen, muss es geben, wenn die Verhältnisse nicht die sind, die man erwartet hat. Das ist nichts Verwerfliches, sagt Wolf. "In der Öffentlichkeit wird das aber ganz gern übersehen."

In den 1990ern nach München ausgewandert

Dynamo fährt auch im Dienstwagen mit, in Form eines Dynamo-Boxhandschuh-Paars am Innenspiegel. Woher hat ein Mann, der hörbar im Münchner Speckgürtel zu Hause ist, die Passion für Schwarzgelb? Ganz einfach: von hier. Wolf ist in Pirna aufgewachsen. Nach 22 Jahren Auswärtsspiel holte ihn der Kohlbergtunnel heim. Beim Angebot für diesen Auftrag hat Wolf nach Kräften mitgeschrieben. Wenn schon Tunnelbau in Pirna, dann nur mit ihm.

Das frisch aufgebrochene Tunnelstück wird gescannt. Anhand der Daten prüft das System, ob die nachfolgenden Einbauten auch passen.
Das frisch aufgebrochene Tunnelstück wird gescannt. Anhand der Daten prüft das System, ob die nachfolgenden Einbauten auch passen. © Daniel Schäfer

Die Baustellen-Einrichtungsfläche ist erreicht. Eigentlich ein kleines Dorf aus Bürocontainern, Werkstattzelt, Wasserreinigung und einem Betonmischwerk. Beton braucht die Baustelle rund um die Uhr. Der Berg ist "gebräch", wie man sagt, besteht aus lockerem Sedimentgestein. Jeder Zentimeter, den die Arbeiter freilegen, wird umgehend mit Spritzbeton gesichert.

Gunnar Wolf stiefelt den Hang hinab, vorbei an immensen Stapeln von Rohrpaketen und Eisengeflecht, dem Tunnelportal zu. Er kennt diese Gegend. Früher Acker und Wiese, schneidet jetzt die Trasse der kommenden Verkehrsader mitten hindurch. Jenseits des Bergs liegt ein Sportstadion. Dort hat Wolf achtzehn Jahre Leichtathletik trainiert. Wo einmal die Weitsprunggrube war, steht heute ein Pfeiler jener Brücke, auf die Wolfs Tunnel münden wird.

Das Spritzmobil in Aktion. Weil der Berg brüchig ist, muss jedes Stück Vortrieb umgehend mit schnell aushärtendem Beton versiegelt werden.
Das Spritzmobil in Aktion. Weil der Berg brüchig ist, muss jedes Stück Vortrieb umgehend mit schnell aushärtendem Beton versiegelt werden. © Daniel Schäfer

Mit seinem Tun verändert Gunnar Wolf die Landschaft. Das hat er in München beim Bau von U-Bahn-Schächten gemacht, in der Schweiz beim Autobahntunnelbau, an der ICE-Strecke Erfurt-Leipzig beim Finnetunnel, und auch bei Stuttgart 21. Er sieht das nüchtern. Will man Infrastruktur haben, um zügig von A nach B zu kommen, muss sich was verändern, muss man Kompromisse eingehen, nicht nur aufs Geld schauen, aber auch nicht nur auf die Umwelt. "In die Höhle wollen wir ja alle nicht zurück."

Der dickste Tunnel seiner Karriere

Aber jetzt tauchen wir ein, in die Höhle des Kohlbergtunnels. Es ist eine Doppelhöhle, deren Stränge parallel zueinander den Berg queren. Möglichst noch dieses Jahr sollen die beiden Stollen durch Wegnahme des Mittelteils zur endgültigen Dimension vereint werden: bis zu zwölf Meter Höhe, mehr als 16 Meter Breite. Vom Querschnitt her wird der Kohlbergtunnel der größte Tunnel in Gunnar Wolfs bisheriger Karriere sein.

Sternenregen unter Tage: An der mit Beton beschichteten Wand kürzen Arbeiter überstehende Stahlanker.
Sternenregen unter Tage: An der mit Beton beschichteten Wand kürzen Arbeiter überstehende Stahlanker. © Daniel Schäfer

Wir nehmen den Süd-Stollen. Die Höhlung ist viel höher als sie breit ist, wie ein gotisches Fenster. Acht Meter sind es bis zur Decke, wo ein dicker Luftschlauch frische Wetter einbläst. Trotzdem scheint die Luft zu stehen. Es ist warm und dunstig. Ein infernalisches Kreischen und Rumpeln kündigt die Quelle des Dunstes an: den Tunnelbagger.

Die "Schwalbenschwänze" beißen sich durch

Das Monstrum steht 200 Meter voraus auf einer Rampe, wo es mit mächtigen Zwillingszähnen, den "Schwalbenschwänzen", Gesteinsbrocken aus der Wand reißt. Achtzig Zentimeter hat sich der Bagger vorgearbeitet. Aber jetzt muss er zurück krauchen, um Platz für das Betonspritzmobil zu machen. Der Berg ist nicht stabil genug, um gefahrlos mehr Material auf einmal abzubauen, sagt Gunnar Wolf. So bleibt nur eine Lösung: "Kurzer Abschlag, schnelle Sicherung."

Die nördliche Tunnelhälfte kam kurz nach Ostern im Gottleubatal an. In wenigen Tagen soll auch die Süd-Röhre hier durchbrechen.
Die nördliche Tunnelhälfte kam kurz nach Ostern im Gottleubatal an. In wenigen Tagen soll auch die Süd-Röhre hier durchbrechen. © Daniel Schäfer

Das Fahrzeug mit der Spritzdüse dröhnt herbei, im Schlepp den Betonmischer. Schon trifft ein grauer Schwall die Felswand. Es ist Spezialbeton, der, kaum aus der Düse geschossen, auch schon fest wird. Es folgen Stahlmatten und Stahlbögen und noch mehr Beton. Ein Gutteil dieses Panzers dient nur als Provisorium. Wächst der Tunnel weiter, wird die Schutzhülle wieder abgerissen, erklärt Gunnar Wolf. "Tunnelbau ist Materialschlacht."

Wechsel in den Nord-Stollen, vorbei an Barbara, die als Schutzheilige der Tunnelbauer aus ihrem beleuchteten Schrein grüßt. Sie leistet gute Dienste, findet der Projektleiter. Bisher habe es keine wesentlichen Unfälle im Tunnel und drumherum gegeben. So soll es bleiben, sagt er, "dass wir jeden Tag alle Leute wieder gesund hier rausbekommen."

Beistand von Barbara: Bisher war die Schutzheilige den Tunnelbauern hold. Arbeitsunfälle blieben aus.
Beistand von Barbara: Bisher war die Schutzheilige den Tunnelbauern hold. Arbeitsunfälle blieben aus. © Daniel Schäfer

Im Nord-Tunnel zieht es. Hier ist man "durchschlägig", hat den jenseitigen Berghang durchbrochen. In wenigen Tagen soll die Süd-Röhre folgen. Bereit für die Autos wird der Kohlbergtunnel wohl erst 2024 sein, "optimistisch betrachtet", sagt Gunnar Wolf. Bis dahin wird er weiter pendeln, gegen den Strom, von West nach Ost. Momentan passt es für ihn, als Sachse in Bayern. Eine Rückkehr nach Pirna für immer schließt er nicht aus: "Sag niemals nie."