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Studie belegt: Aggressivität im Straßenverkehr nimmt zu

Lichthupe, zu wenig Abstand, Rücksichtslosigkeit: Unfallforscher zeichnen ein bedenkliches Bild im Straßenverkehr. Das trifft auch für Sachsen zu, zeigt der "Mobilitätskompass" von Sächsische.de.

Von Andreas Rentsch
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Verkehrsrowdy in Aktion: Dicht auffahren und mit Lichthupe die Überholspur freiräumen ist Alltag auf Deutschlands Straßen und Autobahnen.
Verkehrsrowdy in Aktion: Dicht auffahren und mit Lichthupe die Überholspur freiräumen ist Alltag auf Deutschlands Straßen und Autobahnen. © Unfallforschung der Versicherer (UDV)

Fahr doch!!!“ Hinterm Lenkrad verlieren manche Menschen schnell ihre Beherrschung. Gefühlt nimmt die Aggressivität im Straßenverkehr immer mehr zu. Eine aktuelle Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) liefert nun konkrete Zahlen, die diesen Eindruck bestätigen. In der repräsentativen Befragung erklärte rund die Hälfte der 2.000 Teilnehmer, sich gelegentlich nach einem erlebten Ärgernis sofort abreagieren zu müssen. Bei der vorletzten Umfrage dieser Art 2016 hatte dieser Wert nur halb so hoch gelegen.

Genervte Geste: Wer am Steuer sitzt und sich wegen anderer Verkehrsteilnehmer ärgert, muss sich gelegentlich sofort abreagieren.
Genervte Geste: Wer am Steuer sitzt und sich wegen anderer Verkehrsteilnehmer ärgert, muss sich gelegentlich sofort abreagieren. © UDV

Jeder fünfte Autofahrer bekannte demnach, hin und wieder Lichthupe zu geben, um auf der Überholspur vor sich Platz zu schaffen. Auch hier lag der Vergleichswert im Jahr 2016 nur rund halb so hoch. Fast jeder dritte Interviewte bekannte, gelegentlich aufs Gaspedal zu treten, wenn jemand zum Überholen ansetzt. Und mehr als jeder Zweite (53 Prozent) gab zu Protokoll, lieber zu beschleunigen und noch schnell über eine Kreuzung zu huschen, anstatt scharf zu bremsen, wenn die Ampel von Gelb auf Rot umschaltet.

Bemerkenswert sind auch die Aussagen zu Alkohol am Steuer. Auf die Frage „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie über den erlaubten Grenzwert alkoholisiert mit Ihrem Pkw fahren?“ antworteten rund 21 Prozent „wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“. Dies ist die höchste Quote aller bisherigen Erhebungen. Vor drei Jahren hatte der Anteil bei sieben Prozent gelegen.

Null-Promille-Regelung am häufigsten gewünscht

Durch derlei Rücksichtslosigkeiten den Unfalltod oder Verletzungen anderer Menschen in Kauf zu nehmen sei „vollkommen inakzeptabel“, sagt der Leiter der UDV, Siegfried Brockmann. Tatsächlich scheint vielen das Problembewusstsein in Bezug auf das eigene Verhalten zu fehlen. Umfragewerte stützen diese Annahme: So behaupteten 96 Prozent der Autofahrer, sie würden Radfahrer mit ausreichend Seitenabstand überholen. Gleichzeitig nahm ein fast genauso hoher Anteil der Befragten bei anderen Pkw-Fahrern zu geringe Sicherheitsabstände wahr.

Diese Diskrepanz von Fremd- und Selbstbild sei auch bei Radfahrern zu beobachten, so Brockmann. Demnach gab nur jeder zweite Pedaltreter zu, gelegentlich auf den Gehweg auszuweichen. Gleichzeitig beobachteten die Befragten solches Verhalten aber bei 92 Prozent der anderen Radfahrer.

Siegfried Brockmann leitet die Unfallforschung der Versicherer (UDV) seit 2006. Er hat die Studie am Montag in Berlin vorgestellt.
Siegfried Brockmann leitet die Unfallforschung der Versicherer (UDV) seit 2006. Er hat die Studie am Montag in Berlin vorgestellt. © UDV

Erstaunlich ist die generelle Risikobewertung. 56 Prozent der Deutschen fühlen sich „sicher“ oder „sehr sicher“ im Straßenverkehr – Männer häufiger als Frauen. Frauen outeten sich dagegen öfter als Fürsprecherinnen strikterer Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit. Ganz oben auf der Wunschliste steht eine Null-Promille-Regelung für Kraftfahrer (68 Prozent). 61 Prozent wären demnach mit einer 1,1-Promille-Regelung für Radfahrer einverstanden, für ein Tempolimit von 130 auf deutschen Autobahnen existiert zumindest noch eine knappe Mehrheit. Weniger Zustimmung findet Tempo 80 auf Landstraßen sowie Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten.

Auch der Mobilitätskompass von Sächsische.de hat nach dem Miteinander im Straßenverkehr gefragt. Ergebnis: Rund 38 Prozent von knapp 9.000 Teilnehmern aus Ostsachsen, dem Raum Dresden und Teilen Mittelsachsens verneinten die Aussage „Verkehrsteilnehmer begegnen einander mit Rücksicht“. Nur knapp 18 Prozent stimmten teilweise oder voll zu. Rund 44 Prozent äußerten sich neutral. Wie in der UDV-Umfrage, ist auch hier der Wunsch nach einem Tempolimit mehrheitsfähig.

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Wichtig sei bei der Verschärfung von Geschwindigkeitsbeschränkungen aber auch, die Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens zu erhöhen, sagt Siegfried Brockmann. Nur so ließen sich notorische Raser bremsen. „Momentan erleben die meisten Autofahrer zu selten eine Polizeikontrolle.“ Schwieriger sei die Antwort auf die Frage, wie sich das Verhalten von Verkehrsteilnehmern mit zu positivem Selbstbild beeinflussen lässt. „Solche Leute“, sagt der Unfallforscher, „fühlen sich von Kampagnen für mehr Verkehrssicherheit überhaupt nicht angesprochen.“

Ergebnisse aller vier bisherigen "Verkehrsklima in Deutschland"-Studien (2010, 2016, 2019 und 2023) finden Sie hier.