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Unfallforscher: „Mit dem E-Bike steigt das Risiko für tödliche Unfälle“

Der Leiter der Unfallforschung der Versicherer über zu hohes Fahrtempo, Kontrollverlust beim Bremsen und Sicherheitstrainings für Alte.

Von Andreas Rentsch
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Crashtest der Prüforganisation Dekra und der Unfallforschung der Versicherer: Die Geschwindigkeit der Pedelec-Fahrer und ihr Durchschnittsalter beeinflussen die Unfallszenarien.
Crashtest der Prüforganisation Dekra und der Unfallforschung der Versicherer: Die Geschwindigkeit der Pedelec-Fahrer und ihr Durchschnittsalter beeinflussen die Unfallszenarien. © UDV

Herr Brockmann, wie gefährlich leben E-Bike-Fahrer?

Fast jeder zweite im vergangenen Jahr auf Deutschlands Straßen ums Leben gekommene Radfahrer ist mit Elektrounterstützung unterwegs gewesen. Allein in Sachsen sind im vergangenen Jahr neun Menschen bei Unfällen mit ums Leben gekommen, fünf mehr als 2021.

Siegfried Brockmann ist seit 2006 Leiter der Unfallforschung der Versicherer in Berlin.
Siegfried Brockmann ist seit 2006 Leiter der Unfallforschung der Versicherer in Berlin. © GDV

Die Zahlen verwundern nicht so sehr, wenn man den massiven Trend hin zum Pedelec sieht, oder?

Richtig. Insofern ist klar, dass auch Unfall- und Opferzahlen steigen. Was wir aber nicht wissen, ist: Wie hat sich die Kilometerfahrleistung verändert?

Warum ist das wichtig?

Das ist die Bezugsgröße. Natürlich gehen wir davon aus, dass mit dem Pedelec größere Strecken zurückgelegt werden. Aktuelle, bundesweite Daten gibt es aber nicht. Deshalb müssen wir sagen: Es kann sein, dass sich die Unfallzahlen bei E-Bikes relativieren, wenn wir die Fahrleistung berücksichtigen. Ich glaube dennoch weiterhin an überproportionale Zahlen.

Lässt sich die These „E-Bike-Fahren ist im Vergleich zum normalen Fahrradfahren um den Faktor X gefährlicher“ in absehbarer Zeit belegen?

Mit der jeweiligen Fahrleistung als korrekter Bezugsgröße geht es nicht. Die entscheidende Datenquelle für Unfallforscher, eine bundesweite Erhebung zur Alltagsmobilität, wird nur alle paar Jahre, in unregelmäßigen Abständen, vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben. Die letzte „Mobil in Deutschland“-Studie gab es 2017, die nächste wird es mein Wissen nicht vor 2025 geben. Dann haben wir die frühesten Ergebnisse im Jahr 2026.

© SZ/Grafik

Was lässt sich dann jetzt überhaupt zu dem Thema sagen?

Trotz fehlender Bezugsgröße ist für mich klar: Selbst wenn mit Pedelecs deutlich weitere Strecken zurückgelegt werden und dieses Pensum berücksichtigt wird, ist das statistische Risiko, mit diesem Fortbewegungsmittel tödlich zu verunglücken, größer als beim Fahrrad. Aber auch das würde nicht zwingend verwundern.

Warum nicht?

Weil wir zwei Phänomene beim Pedelec haben. Zum einen fährt es schneller – und Geschwindigkeit ist nun mal ein erheblicher Faktor bei schweren oder tödlichen Verletzungen. Zum anderen haben wir eine Verschiebung der Nutzergruppe hin zu Älteren. Der gleiche Unfall hat bei einem 30-Jährigen andere Folgen als bei einem 70-Jährigen. Der 70-Jährige ist im Zweifelsfall schwer verletzt oder tot, während der 30-Jährige halbwegs geschickt abrollt und sich womöglich nur ein Bein bricht.

Würden Sie sagen, dass es typische E-Bike-Unfälle gibt?

Alles, was beim Fahrrad passiert, passiert auch beim E-Bike. Überproportionale Zahlen sehen wir beim sogenannten Alleinunfall – meist ein Sturz, oder aber der Zusammenstoß mit einem parkenden Auto – und beim Fahrunfall, der geprägt ist durch den Kontrollverlust über das Pedelec.

Lässt sich daraus schließen, dass viele Leute nicht richtig mit dem Pedelec umgehen können, also vom Potenzial ihres Gefährts überfordert sind?

Absolut. Das korreliert auch wieder mit dem teilweise hohen Alter der Nutzer.

Und was ist deren Hauptproblem? Die Kraftentfaltung des Motors?

Ja, und das erheblich höhere Gewicht des Fahrzeugs. Wenn das Pedelec durch ein äußeres Ereignis instabil wird, macht das Gewicht viel aus.