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Der Vorsprung der Ostfrauen schwindet

Nach der Wende hatten ostdeutsche Frauen gegenüber ihren Kolleginnen in Westdeutschland deutlich höhere Chancen, in Spitzenämter zu gelangen. Inzwischen stagniert der Frauenanteil in Führungspositionen.

Von Carlotta Böttcher
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In Sachsen sind 35 Prozent aller Führungskräfte Frauen. Das liegt zwar deutlich über dem bundesweiten Schnitt von 28 Prozent, doch die Zahlen stagnieren.
In Sachsen sind 35 Prozent aller Führungskräfte Frauen. Das liegt zwar deutlich über dem bundesweiten Schnitt von 28 Prozent, doch die Zahlen stagnieren. © dpa

Die berüchtigte „gläserne Decke“ funktioniert so: Frauen und Männer fangen weit unten in einer Unternehmenshierarchie an, steigen über die Jahre auf, qualifizieren sich weiter und sammeln Erfahrungen. An einem bestimmten Punkt, zwischen mittlerem Management und oberster Chefetage, geht es für Frauen jedoch oft nicht weiter. Die sogenannte „gläserne Decke“ steht im Weg.

Gläsern deswegen, weil die Decke so unscheinbar ist, dass man sie erst bemerkt, wenn man sich den Kopf daran stößt. Davor wird mit dem Blick durch das Glas suggeriert: Du kannst alles schaffen. Und klar, ab und an schafft es eine Frau durch die Glasdecke. Doch für Männer bleibt es weiterhin viel selbstverständlicher, ein Stockwerk darüber zu sitzen.

Über die ostdeutschen Bundesländer wird häufig gesagt, es sei hier selbstverständlich, dass Frauen arbeiten, Karriere machen und Führung übernehmen. Doch wie sieht das in der Praxis aus? Ist es für Frauen in Sachsen wirklich einfacher, die gläserne Decke zu durchbrechen?

Bewusstsein für weibliche Chefinnen im Osten größer

Eine, die sich viel mit Karrierewegen von Frauen beschäftigt hat, ist Barbara Lutz. Sie wollte der häufig emotional geführten Debatte um ungleiche Karrierechancen eine sachliche Grundlage geben und entwickelte deswegen 2012 den Frauen-Karriere-Index (FKi). Damit können Unternehmen errechnen, wie es bei ihnen um die Gleichstellung zwischen Mann und Frau steht. Am Samstag wird sie den FKi bei einem Festakt im sächsischen Landtag anlässlich des internationalen Frauentags vorstellen.

Barbara Lutz arbeitete viele Jahre in internationalen Unternehmen in den USA und in Frankreich. Als sie mit Anfang 40 als Bereichsleiterin in den Vorstand einer deutschen Bank wechselte, merkte sie, dass das Thema Frauen und Karriere in Deutschland weit w
Barbara Lutz arbeitete viele Jahre in internationalen Unternehmen in den USA und in Frankreich. Als sie mit Anfang 40 als Bereichsleiterin in den Vorstand einer deutschen Bank wechselte, merkte sie, dass das Thema Frauen und Karriere in Deutschland weit w © Nell Killius

Inzwischen hat Lutz mehr als 300 Unternehmen in 28 Ländern beraten, darunter auch Firmen mit Standorten in Sachsen. In Gesprächen mit Mitarbeitern seien ihr immer wieder Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland aufgefallen.

„Für Ostdeutsche ist es viel selbstverständlicher, dass Frauen Führungspositionen begleiten. Dieses Bewusstsein ist signifikant größer als in den westdeutschen Ländern – und zwar bei Männern genauso wie bei Frauen“, sagt Lutz. In den alten Bundesländern fehle es hingegen häufig an weiblichen Vorbildern, die jungen Männern und Frauen Karrieren vorleben.

In Sachsen sind 35 Prozent der Führungskräfte Frauen

Den Unterschied zwischen Ost und West belegen auch Zahlen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) war in den ostdeutschen Bundesländern 2022 jede dritte Führungskraft eine Frau. In den alten Bundesländern war es knapp jede Vierte.

Und trotzdem stoßen auch Frauen in Sachsen an eine gläserne Decke: Laut IAB lag 2022 in Sachsen der Frauenanteil in der zweiten Führungsebene bei 46 Prozent, in der ersten Führungsebene bei 35 Prozent. Das liegt zwar immer noch deutlich über dem bundesweiten Schnitt von 28 Prozent, aber eben auch deutlich unter dem Frauenanteil aller Beschäftigen in Sachsen, der bei 48 Prozent liegt. Demnach sind Frauen in Führungsetagen weiterhin unterrepräsentiert.

Die Zahlen zeigen auch, dass der Anteil weiblicher Chefinnen in Sachsen über die letzten zehn Jahre nahezu gleichblieb. Laut IAB Sachsen könnte ein Grund darin liegen, dass Führungskräfte überwiegend in Vollzeit arbeiten – wohingegen immer mehr Frauen in Teilzeitmodelle wechseln. Arbeiteten 2018 noch 41 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Sachsen in Teilzeit, waren es im Juni 2023 bereits 53 Prozent. Zwar gibt es immer mehr Betriebe, die ihren Führungskräften anbieten, in Teilzeit zu arbeiten. In der Praxis findet man so ein Modell jedoch lediglich in jedem achten sächsischen Betrieb.

Nachwende-Vorteile für ostdeutsche Frauen schwinden

Der Soziologe Jörg Hartmann von der Universität Leipzig hat in einer Studie die Karrierechancen von Frauen in Ost- und Westdeutschland verglichen. Er analysiert, dass ostdeutsche Frauen nach der Wende noch deutliche Vorteile hatten, insbesondere in höhere Führungspositionen zu gelangen. So lag die Chance auf eine Chefposition für Frauen, die zwischen 1955 und 1959 im Osten geboren sind, um 75 Prozentpunkte höher als für gleichaltrige westdeutsche Frauen.

Über die Zeit schwanden diese Vorteile und wandelten sich ab 2000 in leichte Nachteile. Insgesamt sind die Unterschiede heute gering. Laut Hartmann deute vieles daraufhin, dass sich die Angleichung mit der nachhaltigen Wirkung des „Elitentransfers“ nach dem Mauerfall erklären lässt. Nach der Wende übernahmen vor allem westdeutsche Männer führende Positionen im Osten, da sie bereits mit den bundesdeutschen Aufgaben vertraut waren.

„Diese Stellen sind heute immer noch blockiert und werden erst neu besetzt, wenn die Chefs in Rente gehen“, so Hartmann. Man müsse nun also abwarten, bis dieser Trend sich ausläuft - und dann analysieren, wie die Stellen neu besetzt werden.

Auch kulturelle Anpassung über die Jahre

Auch Barbara Lutz wundert es nicht, dass die Vorteile für in Ostdeutschland sozialisierte Frauen schwinden. Lutz: „Wir sehen in den Medien immer nur dieses eine Modell einer Frau, die berufstätig ist und nicht weiß, wie sie Kind und Karriere verbinden soll. Das wirkt sich früher oder später natürlich auf die gesamte Gesellschaft aus.“

In der Zusammenarbeit mit sächsischen Unternehmen empfiehlt sie die gleichen Maßnahmen wie anderswo. Sie merkt aber, dass die Handlungsempfehlungen schneller angenommen werden – weil eben ein anderes Grundverständnis da ist.

Ministerin Katja Meier fordert, geschlechtsspezifische Stereotype zu hinterfragen und nötige Führungskompetenzen neu zu definieren.
Ministerin Katja Meier fordert, geschlechtsspezifische Stereotype zu hinterfragen und nötige Führungskompetenzen neu zu definieren. © Foto: SZ/Veit Hengst

Sachsens Justiz- und Gleichstellungsministerin Katja Meier (Grüne) sagt, man dürfe sich nicht darauf ausruhen, dass es derzeit rein statistisch gesehen für eine Frau in Sachsen noch wahrscheinlicher ist, in eine Führungsposition zu gelangen, als für eine Frau in den alten Bundesländern. Auch bei der Lohnlücke zwischen Mann und Frau steht Sachsen mit neun Prozent Lohnunterschied besser da als andere Bundesländer. Meier: "Aber auch hier wächst die Lücke anstatt sich zu schließen."

In Richtung der Unternehmen plädiert Meier für familienfreundliche Strukturen und flexible Arbeitsmodelle, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle Geschlechter zu verbessern. Die Politik müsse Geschlechterstereotype abbauen und ein positives Bild weiblicher Führungskräfte verbreiten. "Wir müssen neue Heldinnen und Helden schaffen."

  • Am Samstag findet im sächsischen Landtag ein Festakt zum Internationalen Frauentag mit der Gleichstellungsministerin Katja Meier und anschließender Gründungsfördermesse statt.