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Sachsens neues Vergabegesetz eher unwahrscheinlich

Der Regierungsentwurf zum Vergabegesetz hat kaum Chancen, in den Landtag zu kommen. Die politische Praxis steht dem entgegen. Dem Wirtschaftsminister bleibt eine vage Hoffnung.

Von Michael Rothe
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Das Vergabegesetz galt als wichtigstes Projekt von Minister Martin Dulig. Letztlich haben er und seine SPD nicht viel in der Hand.
Das Vergabegesetz galt als wichtigstes Projekt von Minister Martin Dulig. Letztlich haben er und seine SPD nicht viel in der Hand. © dpa

Dresden. „Kabinett bringt Vergabegesetz auf den Weg.“ So verkündete es Sachsens Wirtschaftsministerium am vergangenen Dienstag. Die Staatsregierung habe die seit zehn Jahren versprochene Novelle zur Anhörung an die Betroffenen freigegeben, erklärte Minister Martin Dulig (SPD) nach der Sitzung. Er räumte ein, dass ein Gesetz in dieser Legislatur nicht mehr möglich ist, „wir aber sicherstellen, dass auch nach der Wahl des neuen Landtags eine neue Gesetzesgrundlage bereits vorhanden ist, die dann gegebenenfalls beschlussfähig ist“.

War schon diese Ankündigung vage, so deutet sich wenig später an, dass das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erneut nicht gehalten wird. Dulig setzt auf die Übergangszeit nach der Landtagswahl am 1. September, in der die alte Regierung mit ihm weiter die Geschäfte führt, bis die Nachfolger im Amt sind. Sie könne dem neuen Landtag durchaus einen Gesetzentwurf übermitteln.

Laut Verfassung in Sachsen denkbar, aber...

Doch das widerspricht der gängigen politischen Praxis. „Verfassungsrechtlich hat eine geschäftsführende Regierung alle Befugnisse, die auch eine ,normale‘ Regierung hat“, schreibt Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger auf SZ-Anfrage. „Politisch ist es tatsächlich nicht üblich, in der Zeit der Geschäftsführung noch größere politische Vorhaben umzusetzen“, so die Professorin für öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Ähnlich sieht es Christoph Degenhart, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Leipzig. „Dass geschäftsführende Regierungen keine Entscheidungen treffen, die ihre Nachfolgeregierungen binden, ist politische Praxis, aber verfassungsrechtlich nicht zwingend“, so der Ex-Richter an Sachsens Verfassungsgerichtshof. Die parlamentarische Legitimation der geschäftsführenden Regierung ende mit der Legislatur, also dem Zusammentritt des neuen Parlaments.

Damit konfrontiert, heißt es vom Wirtschaftsministerium: Dulig habe „politisch argumentiert, nicht juristisch“. Politisch könne man sich „im Rahmen von dann möglicherweise laufenden Koalitionsverhandlungen bzw. Sondierungen auf beschleunigende Schritte einigen ... nur unter der Annahme, dass die jetzige Koalition auch künftig von den Wählern das Vertrauen erhält.“ Ob dann eine erneute, verkürzte Anhörung noch einmal stattfinden werde oder nicht, wäre „Kaffeesatzleserei“.

Kommunale Aufträge auf Betreiben der CDU außen vor

Jährlich werden in Sachsen öffentliche Aufträge für fast drei Milliarden Euro vergeben. Dulig will einen „Rechtsrahmen für faire soziale und ökologische Bedingungen“. Wichtigstes Anliegen: ein Vergabemindestlohn. So sollen Dienstleistungen im Nahverkehr nur an Firmen gehen, die tarifvertraglich geregelte Arbeitsbedingungen und Löhne einhalten – alternativ den Mindestlohn im öffentlichen Dienst der Länder von derzeit 2.094,49 Euro brutto.

„Kann-Kriterien“ sind u. a. Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, Gleichstellung und Chancengleichheit im Betrieb, Ausbildung, Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Schwerbehinderten. Nur der Bestbieter soll noch Belege vorlegen. Kommunale Aufträge, die gut die Hälfte vom Gesamtvolumen ausmachen, waren auf Betreiben der CDU im Vorfeld von Auflagen ausgenommen worden.

Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach nennt den Entwurf eine „Minimalvariante“, die weit hinter modernen Vergabegesetzen anderer Bundesländer hinterher hinke. Würde der Gesetzentwurf tatsächlich verabschiedet, „würde Sachsen nur nachvollziehen, was andere Bundesländer vor zehn Jahren beschlossen haben, mittlerweile aber viel weiter sind“, sagt Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Längst gebe es „einen Trend zu umfassenden Tariftreueregelungen“, argumentiert der Wissenschaftler. Eine grundlegend neue Rechtslage in Europa erlaube es, frühere Beschränkungen zu überwinden und die Einhaltung tarifvertraglicher Standards für alle öffentlichen Aufträge zu verlangen, so Schulten. Sechs Länder hätten ihre Gesetze derart modernisiert, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Niedersachsen Ähnliches geplant, so der Experte.

Minister Dulig und seine SPD fühlen sich ausgetrickst

Vor knapp drei Wochen hatte Wirtschaftsminister Dulig überraschend erklärt, dass der Entwurf zum kurz zuvor von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) totgesagten Gesetz auf dem Kabinettstisch liege. Nach dessen Absage waren Kammern und anderen Lobbyisten, die noch mehr Bürokratie befürchten, erleichtert. Sie gehen auch jetzt noch davon aus, dass sich Sachsens Regierungschef weiter an sein Versprechen hält, kein Gesetz gegen die Wirtschaft zu verabschieden.

Dulig schmerzt es, sein wichtigstes Projekt nicht durchgesetzt zu haben. Nach SZ-Informationen fühlt er sich von der CDU ausgetrickst. Sie hatte zu Beginn der Legislatur und mit Verweis auf die Pandemie darum gebeten, die Novelle erst am Ende der gemeinsamen Regierungszeit zu diskutieren. Doch als alle anderen wichtigen Gesetze im Sinne der Konservativen beschlossen waren, hatten die Genossen nichts mehr in der Hand, das sie im Tausch oder als Druckmittel hätten nutzen können.

Anfang Dezember hatte der Minister erklärt, „dass wir jetzt an einem Punkt sind, wo wir morgen ein Vergabegesetz ins Kabinettsverfahren geben werden“. Auf die Frage der SZ, was seitdem - also in den vergangenen elf Wochen - mit dem schon damals ein Jahr alten Entwurf passiert ist, um es doch noch in dieser Legislatur zu verabschieden, geht das Ministerium nicht ein.

Den Befürwortern der auf den Weg gebrachten und stark abgespeckten Version bleibt nun nur eine vage Hoffnung: Nach Angaben von Staatsrechtlerin Schönberger könnte sich die gelebte „Praxis durchaus ändern, wenn die Regierungsbildung schwieriger wird und sich dementsprechend zeitlich verzögert“. Und das ist angesichts der neuen Parteienkonstellation und aktueller Umfragewerte nicht ganz ausgeschlossen.