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Forscher aus Sachsen entwickeln transportable Ladestation für Akku-Züge

Beim Klimaschutz auf der Schiene könnten künftig Elektrozüge mit Akku Dieselfahrzeuge ersetzen. Das Errichten von Ladestationen ist jedoch aufwendig. Abhilfe verspricht eine Entwicklung aus Annaberg-Buchholz.

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Der Batteriezug Coradia Continental auf Testfahrt im Sommer 2022.
Der Batteriezug Coradia Continental auf Testfahrt im Sommer 2022. © VMS

Von Burkhard Zscheischler*

Annaberg-Buchholz. Um vom Dieselantrieb wegzukommen und die Klimaneutralität bei der Eisenbahn zu erreichen, setzen Betreiber auf Akkuzüge. Der Verkehrsverbund Mittelsachen (VMS) bringt voraussichtlich im Mai 2024 elf davon auf die Schiene. Doch an Endbahnhöfen ohne Bahnstrom haben sie das Nachsehen. Am Bahnhof Annaberg-Buchholz Süd werden sie künftig nachladen können. Sieben Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft haben einen Container mit jener Technik bestückt, die kommunalen Strom als Ladestrom für einen Akkuzug nutzbar macht. Sollte der Test unter der Projektkoordination des Smart Rail Connectivity Campus (SRCC) in Annaberg-Buchholz gelingen, könnte die mobile Ladestation ein Beschleuniger sein auf dem Weg zur Klimaneutralität auf der Schiene.

Auf den ersten Blick ist es ein 40-Fuß-Standard-Container, wie sie zu Tausenden über die Weltmeere schippern. Dieser ist ein paar Zentimeter breiter, aber immer noch straßentauglich. Hinter dem gerippten Blech steckt Elektrotechnik: ein Transformator, eine Schaltanlage, ein kleiner Leitstand – und ein Symmetrier-Umrichter. Das Wortungetüm muss erklärt werden. E-Lok, E-Trieb- oder Batteriezug benötigen Strom aus nur einer Phase, kommunaler Strom hat jedoch drei. Der enorme Strom, den ein Akku-Zug auf seiner einen Phase zapft, könnte das Netz überlasten. Ein Symmetrier-Umrichter sorgt dafür, dass alle drei Phasen gleichmäßig genutzt werden. „Das technische Prinzip ist zwar bekannt“, sagt Entwicklungsingenieur Lars Lindenmüller von der F&S Prozessautomation in Dohna, „wir sind jedoch die Ersten, die es für eine Ladestation einsetzen.“

Eine zweite Aufgabe erledigt der Trafo: Er macht aus Drehstrom mit 10.000 den Bahnstrom mit 15.000 Volt. Es gäbe noch eine dritte Aufgabe: Drehstrom ist mit 50 Hertz getaktet, Bahnstrom mit 16,7. Um Kosten und Platz im Container zu sparen, verzichten die Projektentwickler auf das Um-Takten. Daher ist der Container derzeit mit einem Lkw unterwegs nach Salzgitter. Der Hersteller Alstom wird an einem originalen Coradia Continental Akkuzug testen, wie dieser mit 50-Hertz-Strom zusammen wirkt. Coradias werden 2024 zwischen Leipzig und Chemnitz verkehren – und ab und an bis Annaberg-Buchholz, zunächst testweise.

Die Akkus vom Batteriezug Coradia Continental können mithilfe des mobilen Lade-Containers „aufgetankt“ werden.
Die Akkus vom Batteriezug Coradia Continental können mithilfe des mobilen Lade-Containers „aufgetankt“ werden. © VMS

Der neue Lade-Container könnte der Beschleuniger werden, um den Akkuzug zum Sieger auf allen nicht elektrifizierten Strecken zu machen. Denn noch sind dort 1.500 Loks und Triebwagen mit Dieselmotoren im Einsatz. Da sie bis zu 50 Jahre alt werden, sind ordentliche Stinker und CO2-Schleudern darunter. Der Lade-Container „made in Saxony“ könnte sich als das „missing link“ erweisen, das den Weg zur Klimaneutralität auf der Schiene ebnet.

Zumal, das sagt jedenfalls der Elektrobahn-Experte an der TU Dresden, Arnd Stephan: „Auf vielen Strecken mit geringem Verkehrsaufkommen wird es sich nicht lohnen, Oberleitungen nachzurüsten.“ Was ja einer der Gründe für die Bestellung der elf Akkuzüge bei Alstom war; der Verkehrsverbund wird sie lange, lange Zeit nutzen können. Und wenn die Strecke Leipzig-Chemnitz doch noch elektrifiziert wird? „Dann nehmen wir die Akkus vom Dach, und der Zug fahrt als ganz normale Elektrobahn weiter, wer weiß, vielleicht auch 50 Jahre“, sagt Professor Stephan.

Steffen Röhlig, Prokurist von Rail Power Systems, der für das Gesamtsystem verantwortlich zeichnet, nennt weitere Vorteile des mobilen Lade-Containers: „Ladestationen im Bahnbereich sind nicht zu vergleichen mit einer Wallbox für ein E-Auto. Sie erfordern fast immer zeitraubende Planfeststellungs- und komplexe Prüfverfahren, bis sie stehen. Dabei können Jahre ins Land gehen. Das alles entfällt bei unserer kompakten Lösung, allein die Zeitersparnis ist enorm.“

Deutsche Bahn ist bereits zu 60 Prozent klimaneutral

Stephan und Röhlig führen gemeinsam ehrenamtlich das Bahntechniknetzwerk Rail.S. und blicken weit voraus. „Wenn das Laden mit dieser Station so einfach funktioniert, beschleunigen wir die Elektrifizierung der Bahn“, sagt Stephan, und Röhlig ergänzt: „Netzbetreiber wie Verkehrsunternehmen werden jetzt eher geneigt sein, auf Akkuzüge zu setzen.“

VMS-Geschäftsführer Mathias Korda, ebenfalls ein Projektpartner, hat eine andere Draufsicht: „Wir haben mit Bestellung der Batteriezüge für die Linie Chemnitz-Leipzig Voraussetzungen für batterieelektrischen Schienen-Personen-Nahverkehr auch im Erzgebirge geschaffen. Grundlage dafür ist die beispielhaft entwickelte Ladeinfrastruktur in Annaberg-Buchholz Süd. Mit diesem Projekt stellen die Beteiligten die Weichen Richtung umweltfreundlichem Schienen-Personen-Nahverkehr der Zukunft.“

Weil sie sich viel regenerativen Strom aus Wasserkraft gesichert hat, ist die Deutsche Bahn bereits zu 60 Prozent klimaneutral. Wenn man nun noch weiß, dass die Bahn 90 Prozent ihres gesamten Verkehrsaufkommens unter den vorhandenen Oberleitungen abwickelt, dann könnte sich der Auto- und Lkw-Verkehr mehr als eine Scheibe abschneiden. „So viel müssen wir bei der Bahn gar nicht mehr tun“, sagt daher auch Stephan. Sie muss sich nur von einigen Stinkern trennen. Der Ladecontainer könnte diesen Wechsel beschleunigen.

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Und was ist mit Wasserstoff-Zügen? Bei der Wasserstoffproduktion und bei der Rückverstromung in der Brennstoffzelle geht sehr viel Energie verloren, die Gesamtenergiebilanz der Züge ist momentan dreimal schlechter als bei reinen Elektrobahnen, die Umwandlungsverluste der Akku-Bahn dagegen sind mit zehn Prozent verschmerzbar. Da die Verteilungskämpfe um den grünen Wasserstoff bereits begonnen haben, dürfte er daher eher etwas für energieintensive Unternehmen sein. Eine Eisengießerei ist dingend auf den grünen Brennstoff angewiesen, Eisenbahn kann anders.

*Der Autor war im Wirtschaftsministerium bis 2021 u.a. für Bahnindustrie zuständig und betreute SRCC von Anfang an. Heute ist er dem Projekt ehrenamtlich verbunden.