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Jahrhunderte altes Sorgenkind in Zittau wird gerettet

Die Böhmische Straße 19 ist eines der baufälligsten, aber auch interessantesten Häuser der Innenstadt. Ein junger Zittauer hat sich in das marode Gemäuer verliebt.

Von Frank-Uwe Michel
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Clemens Hauptmann in der Böhmischen Straße 19. Der Zittauer Architekt will eines der baufälligsten, aber auch interessantesten Häuser seiner Heimatstadt sanieren.
Clemens Hauptmann in der Böhmischen Straße 19. Der Zittauer Architekt will eines der baufälligsten, aber auch interessantesten Häuser seiner Heimatstadt sanieren. © Matthias Weber/photoweber.de

Das Haus Nr. 19 ist wohl eines der sanierungsbedürftigsten in der Böhmischen Straße. Äußerlich grau und unscheinbar. Innen baulich desolat. Das sieht auch Clemens Hauptmann so. Aber er ist Architekt und weiß die Substanz richtig einzuordnen. "Was wir hier haben, ist eines der baugeschichtlich interessantesten Gebäude dieser Straße. Es hat nahezu die komplette Historie von Zittau miterlebt." Kurzum: Hauptmann ist trotz des miserablen Zustandes hellauf begeistert.

Der 36-Jährige hat sich in das Gemäuer verliebt und will es wieder zu alter Blüte führen. Wie er es entdeckt hat? "Das war kurios. Ich habe mit einem Bekannten, der hier gleich in der Nähe eine Werbeagentur betreibt, beim Kaffee gesessen. Da fing er an, von dem Haus zu schwärmen. Von den barocken Einbauten zum Beispiel. Vom Hauptraum im ersten Obergeschoss und den vielen Details aus der Vergangenheit, die hier angeblich noch vorhanden seien." Hauptmann ließ sich nicht lange bitten, besorgte sich die Schlüssel und war "positiv überrascht, wie viel Bausubstanz hier tatsächlich noch erhalten geblieben ist."

Das war 2021. Inzwischen ist der gebürtige Zittauer Eigentümer der Immobilie, er hat sie ihrem früheren Besitzer - einem Wiener - abgekauft. Und er hat klare Pläne. Zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Linda Matschulla betreibt er ein Architekturbüro. Das soll in die Böhmische Straße umziehen. Darüber hinaus möchte er Wohnraum schaffen - ob für die eigene Familie, steht noch nicht fest. Im Hinterhaus, das im Zuge einer Notsicherung 2011 abgerissen wurde und in zeitgenössischem Stil wieder aufgebaut werden soll, sind - so die Idee - Ateliers und Räume für Künstler, Handwerker und Ingenieure vorgesehen. "Freiberufler wie wir, die trotz aller Schwierigkeiten positiv nach vorne schauen."

Vorher (links) und nachher: So könnte sich das Gebäude in der Böhmischen Straße 19 - eines der baufälligsten Häuser der Zittauer Innenstadt - verwandeln: Helle Fassade, komplettes Dach. Der Schriftzug "Architektur - Baukultur" ist ein Hinweis auf die künf
Vorher (links) und nachher: So könnte sich das Gebäude in der Böhmischen Straße 19 - eines der baufälligsten Häuser der Zittauer Innenstadt - verwandeln: Helle Fassade, komplettes Dach. Der Schriftzug "Architektur - Baukultur" ist ein Hinweis auf die künf © Fotos: architektur hauptmann mat

Clemens Hauptmann war - wie seine Geschäftspartnerin - mehrere Jahre als Architekt in der Schweiz aktiv. Nach seiner Rückkehr suchte er ein Gebäude mit historischem Hintergrund, "das nicht schon tot saniert worden ist." Deshalb ist er glücklich, dass seit rund 200 Jahren keine größere Investition in sein künftiges Firmendomizil geflossen ist - wobei sich Fluch und Segen die Waage halten. "Einerseits ist das Gebäude natürlich extrem marode. Aber andererseits hat es den Siebenjährigen Krieg, den Ersten und Zweiten Weltkrieg, dazu die Mangelwirtschaft der DDR überstanden. Es verpflichtet mich geradezu, die Baukunst unserer Vorfahren auf Vordermann zu bringen."

Auch wenn es fast keine Dokumente zur Baugeschichte des Hauses gibt - ein Experte wie Hauptmann kann trotzdem viel darüber erzählen. So stammt das Kellergewölbe laut einem Gutachten aus dem 13. Jahrhundert. "Spätromanisch, frühgotisch", sagt der Architekt. "Aus den Anfängen der Stadtgeschichte." Mehrere Stadtbrände haben dem Gemäuer in der Folge zugesetzt. Immer wieder wurde daran nach den aktuellen Möglichkeiten und in dem jeweiligen Stil weitergebaut - "überformt", wie es der Fachmann nennt.

Der Hauptraum des Hauses im ersten Obergeschoss besitzt durch die Säulen, großen Fenster und Türen herausstechende Merkmale für ein Bürgerhaus. Allerdings ist hier auch viel zu sanieren.
Der Hauptraum des Hauses im ersten Obergeschoss besitzt durch die Säulen, großen Fenster und Türen herausstechende Merkmale für ein Bürgerhaus. Allerdings ist hier auch viel zu sanieren. © Matthias Weber/photoweber.de

So entstand nach dem Feuerinferno von 1608 das noch erhalten gebliebene Kreuzgratgewölbe im Eingangsbereich. Als 1757 erneut die Flammen in der Zittauer Innenstadt wüteten, überstand das zwar der massive Teil. "Holzbalkendecke und Teile der Fassade mussten danach aber neu gebaut werden", so Hauptmann. Interessant findet er, dass es seit den 1920er Jahren bei der städtischen Bauaufsicht immer wieder Beanstandungen von Missständen gab. "Das Haus ist seit rund 100 Jahren ein intensiver Pflegefall."

Um so größer ist die Aufgabe, die sich Clemens Hauptmann vorgenommen hat. "Aktuell haben wir wieder eine nicht ganz leichte Zeit. Inflation, steigende Baupreise. Aber auch die Aufgabe, dieses bürgerliche Handelshaus in seiner ursprünglichen Gestalt zu erhalten. Nicht prunkvoll, aber mit all seinen denkmalpflegerisch so wertvollen Details."

Eines der bauhistorisch wertvollen Details in der Böhmischen Straße 19: ein eingebauter barocker Wandschrank aus dem 18. Jahrhundert.
Eines der bauhistorisch wertvollen Details in der Böhmischen Straße 19: ein eingebauter barocker Wandschrank aus dem 18. Jahrhundert. © Matthias Weber/photoweber.de

Die Planungen hierfür laufen noch, sollen aber bis Jahresende abgeschlossen sein. Mit der Stadt und den ausführenden Firmen hat der Architekt vereinbart, dass die derzeit laufende Erneuerung der Böhmischen Straße sein Grundstück in die Arbeiten für 2023 einbezieht. "Dann können wir im nächsten Jahr selbst beginnen mit dem Bau." Der wird kompliziert genug, denn das Objekt ist Teil einer allseitig geschlossen bebauten Fläche. Schutt muss per Schubkarre bis vor die Tür gebracht, Material mit einem Kran über das Haus in den dahinterliegenden Garten gehoben werden.

Wie lange die Sanierung dauert und was sie am Ende kostet, vermag Hauptmann noch nicht mit Sicherheit zu sagen. "Wir nehmen uns jetzt erstmal ein reichliches Jahr Bauzeit vor." Zuerst retten und anschließend nutzbar machen. "Wenn nicht alles zugleich fertig wird, machen wir das in Etappen." Genauso sieht es mit den Finanzen aus. Neben vielen Eigenmitteln gibt es auch Gelder aus der Städtebauförderung. Und wahrscheinlich vom Denkmalschutz. "Wie hoch die Summen sind, muss sich noch zeigen. Soweit sind wir in unseren Planungen noch nicht."

Wie aus der "grauen Maus" ein Schmuckstück wird, weiß Clemens Hauptmann aber schon genau. "Dazu bin ich Architekt, dass ich mir gewisse Dinge vorstellen kann", schmunzelt er. "Dem heute eher von Demut geprägten Äußeren der Fassade möchten wir in Anlehnung an die historische Situation gern zu etwas mehr Selbstbewusstsein verhelfen." Unter anderem dazu sei man in enger Abstimmung mit den Denkmalschutz- und Fachbehörden. Das heißt: Über den Grundmauern aus dem 13. Jahrhundert ein hell gestalteter Außenputz, obendrauf ein komplett wieder aufgebautes Dach, dazu die Aufschrift "Architektur - Baukultur" - so stellt er sich die Ansicht in der Böhmischen Straße 19 vor. Und im Inneren: Kreatives Leben, durch das Geschichte eine Zukunft bekommt.