SZ + Zittau
Merken

Hat Zittaus Marktschwärmerei noch eine Zukunft?

Für den Frische- und Regionalmarkt im Salzhaus Zittau läuft die Suche nach einem Nachfolger. Kunden werden so lange über Görlitz versorgt - mit einem Abholpunkt in Oderwitz.

Von Thomas Christmann
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Gerd Hummitzsch von Oberlausitzer Saftquell
zeigt Produkte aus eigener Herstellung wie Apfelsaft und Leinöl. Die sind im Oderwitzer Laden zu finden - und auf den Marktschwärmereien in Görlitz und Dresden.
Gerd Hummitzsch von Oberlausitzer Saftquell zeigt Produkte aus eigener Herstellung wie Apfelsaft und Leinöl. Die sind im Oderwitzer Laden zu finden - und auf den Marktschwärmereien in Görlitz und Dresden. © Matthias Weber/photoweber.de

Die Garage des Wohnhauses hat Gerd Hummitzsch mit seiner Frau zu einem kleinen Laden umgebaut. An der Franz-Mehring-Straße 23 in Oderwitz gelegen, bieten die Betreiber von Oberlausitzer Saftquell darin unter anderem eigene Fruchtsäfte, Liköre, süße Aufstriche und Öle an. "Davor haben wir bei uns Haustürgeschäfte gemacht", sagt der 64-Jährige. Dabei stand lediglich eine Auswahl der 125 Produkte in einem Regal im Vorraum des Wohnhauses, die Garage bietet nun viermal so viel Platz. Dadurch konnte das Paar diesen Monat noch einen anderen Service einrichten: Einen Abholpunkt für die Marktschwärmerei in Görlitz, nachdem der Zittauer weggefallen ist.

Das Prinzip dahinter: Mitglieder der Internet-Plattform bestellen bis 24 Uhr am Dienstag frische, regionale Waren online und können diese am Donnerstag zwischen 17 und 18.30 Uhr am Nostromo auf der Cottbuser Straße abholen. Dort ist auch Gerd Hummitzsch vertreten. Gegen einen Aufschlag von 1,50 Euro nimmt er die Bestellungen der Kunden mit, die nicht bis Görlitz fahren wollen und den Abholpunkt online ausgewählt haben. Ihre Einkäufe stehen dann am Freitag von 9 bis 11 Uhr abholbereit im Oderwitzer Laden. Nach Absprache auch zu anderen Zeiten. "Wir erwarten dadurch keine riesigen Umsätze", sagt er. Aber es sei für die Menschen aus Zittau und Umgebung wieder eine Möglichkeit, in das Marktschwärmer-Geschehen einzusteigen.

Bislang war das Salzhaus der nächste Anlaufpunkt. Dort betrieb Anja Nixdorf-Munkwitz den wöchentlichen Frische- und Regionalmarkt seit 2020, der zuletzt über 700 Mitglieder und rund 20 regelmäßige Anbieter zählte. Die Hirschfelderin setzte die Veranstaltung voriges Jahr zunächst aus und stellte sie später gänzlich ein. Als Grund nannte sie unter anderem deutlich gesunkene Umsätze. Die hohe Inflation verstärkte die Zurückhaltung bei Verbrauchern, die weniger Waren in größeren Abständen kauften. Fahrten für Händler und Produzenten rechneten sich teilweise nicht mehr, weshalb Anja Nixdorf-Munkwitz ab und zu die Waren für Kunden abholte. Letztlich war die Marktschwärmerei für die Organisatorin ein Ehrenamt, das Zeit kostete. Zittau sei trotz treuer Kundschaft zu klein, als dass sich die Veranstaltung noch rechne, teilt sie mit. Und die Hirschfelderin fand auch niemanden, der den Markt übernehmen wollte oder konnte.

Anne Ritter-Hahn aus Melaune hat die Marktschwärmerei in Görlitz aufgebaut. Dort gibt es frische regionale Produkte, vor allem aus der Oberlausitz.
Anne Ritter-Hahn aus Melaune hat die Marktschwärmerei in Görlitz aufgebaut. Dort gibt es frische regionale Produkte, vor allem aus der Oberlausitz. © Jürgen Lösel

Auch Anne Ritter-Hahn aus Melaune nicht. Die 38-Jährige leitet die Marktschwärmerei in Görlitz neben ihrem Hauptberuf bei der Firma ULT in Kittlitz - wobei die vierfache Mutter derzeit in Elternzeit weilt. Damit sei sie ausgelastet, sagt die Veranstalterin. Vor viereinhalb Jahren setzte Anne Ritter-Hahn die Idee des Frische- und Regionalmarktes als Erstes in der Lausitz um. Andere Betreiber zogen mit Standorten in Zittau, Bautzen und Hoyerswerda nach - alle haben inzwischen aufgegeben. Görlitz soll bleiben, auch wenn die Organisatorin nach Zuwächsen zu Corona-Zeiten einen leichten Abschwung beim Umsatz verzeichnet. "Die Leute schauen mehr aufs Geld als auf die Herkunft der Lebensmittel", berichtet die 38-Jährige mit Blick auf die Inflation. "Aber es kommen auch wieder andere Zeiten."

So nutzen im Durchschnitt derzeit zwischen 40 und 50 der 820 Mitglieder wöchentlich das Angebot der Marktschwärmerei. Dort sind regelmäßig 16 bis 20 Anbieter vertreten. Rund die Hälfte davon war auch im Salzhaus anzutreffen. Für Anne Ritter-Hahn bietet der Abholpunkt deshalb für beide Seiten einen Vorteil: Erzeuger können die Produkte weiter direkt vermarkten, Kunden diese aus der Nähe beziehen. Allerdings sieht sie Oderwitz zunächst nur als Zwischenlösung, bis sich jemand Neues für Zittau gefunden hat. "Der genauso mit Herzblut dahinter steht", meint die Organisatorin.

An einem Nachfolger ist auch die Kultur- und Weiterbildungsgesellschaft als Eigentümer des Salzhauses interessiert. Sie verbreitet derzeit entsprechende Online-Werbung. Die wiederum haben die Betreiber der Marktschwärmer-Plattform mit Sitz in Berlin erstellt. "Was die Übergabe angeht, sind wir optimistisch gestimmt", erklärt deren Sprecherin Polina Boyko. "Da wir auf viele erfolgreiche Präzedenzfälle in den letzten Monaten zurückblicken können." Neue Gastgeber würden von einem festen Ansprechpartner engmaschig und individuell betreut. Dazu zählen regelmäßige Telefonate sowie Handbuchartikel und Tutorials zu sämtlichen Themen. "Außerdem unterstützen wir finanziell bei Werbematerialien und Projekt-Initiativen und bei allen technischen Fragen", so Polina Boyko.

Abholpunkte wie in Oderwitz verstehen die Plattform-Betreiber keineswegs nur als Zwischenlösung. Diese sind laut der Sprecherin ein gängiges Konzept und Service für Mitglieder, gehören in mehr als einem Drittel der über 120 Marktschwärmereien zum Angebot. Und Umsatzeinbußen hätten viele Direktvermarkter zu spüren bekommen, berichtet sie. Die Konsequenz sei eine strategische Neuausrichtung: So sollen die Marktschwärmereien noch mehr gestärkt und Übergaben ermöglicht werden, statt Neueröffnungen zu forcieren. "Die Effekte merken wir bereits", sagt Polina Boyko. Alle Schließungen ließen sich zwar nicht vermeiden, doch der überwiegende Teil sei nach wie vor aktiv und erfolgreich.