Update Sachsen
Merken

Sachsens Arbeitsmarkt hat Long Covid

Klaus-Peter Hansen, der Chef der sächsischen Arbeitsagenturen, nennt zwar den Arbeitsmarkt „robust“. Doch für das neue Jahr hat er trotzdem Sorgen. Der DGB kritisiert, dass manchen Flüchtlingen trotz Job die Abschiebung droht.

Von Georg Moeritz
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
In Sachsen wird die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr steigen. Die Arbeitsagentur sieht aber im Bürgergeld neue Möglichkeiten.
In Sachsen wird die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr steigen. Die Arbeitsagentur sieht aber im Bürgergeld neue Möglichkeiten. © Symbolfoto: dpa/Markus Scholz

Dresden. Der Herbst-Aufschwung ist ausgefallen, mehr Menschen als vor einem Jahr sind erwerbslos: Klaus-Peter Hansen rechnet für dieses Jahr mit weiter steigender Arbeitslosigkeit. Der Chef der sächsischen Arbeitsagenturen sagte am Dienstag bei einem Pressegespräch in Dresden, zwar habe der Arbeitsmarkt sich weitgehend „von Corona befreit“. Aber dafür seien die Folgen des Krieges in der sächsischen Wirtschaft angekommen. „Long Covid“, also die Spätfolge von Corona, treffe die Langzeitarbeitslosen: Es seien mehr geworden, weil viele Kurse wegen Ansteckungsgefahr lange Zeit nicht angeboten wurden.

Hansen rechnet damit, dass Sachsens Arbeitslosenquote im Durchschnitt des neuen Jahres über sechs Prozent steigen wird, aber nicht über 6,5 Prozent. Im Dezember lag sie bei 5,8 Prozent, im Durchschnitt vorigen Jahres bei 5,6.

Die Wirtschaft sei verunsichert und biete etwas weniger Stellen an, zugleich meldeten sich zunehmend Ukrainerinnen arbeitslos. Außerdem könnten erneut Lieferengpässe auftreten. Hansen lobte aber die sächsischen Unternehmer als „anpassungsfähig“: Angesichts des Arbeitskräftemangels überlegten sie dreimal, ob sie jemanden entlassen.

Sächsische Regionen: Weltoffenheit nützt Leipzig

Genau 122.222 Sachsen waren im Dezember arbeitslos gemeldet. Das waren fast 10.000 mehr als ein Jahr zuvor. Allerdings zählen nun auch rund 10.000 Menschen aus der Ukraine in Sachsen als arbeitslos. Die Unterschiede innerhalb Sachsen bleiben groß: Im Erzgebirgskreis liegt die Arbeitslosigkeit unter fünf Prozent, im Kreis Görlitz bei acht Prozent – von dort aus könne man nicht so gut in jeder Richtung Arbeit finden, sagte der gebürtige Zittauer Hansen zur Begründung.

Die Arbeitslosigkeit ist höher als vor einem Jahr und wird im Januar und Februar weiter steigen.
Die Arbeitslosigkeit ist höher als vor einem Jahr und wird im Januar und Februar weiter steigen. © SZ Grafik

Er lobte Leipzig als „das Berlin von Sachsen“. Leipzig sei bunt und weltoffen, das ziehe auch langfristig Arbeitskräfte an: „2015/16 haben wir gesagt, wenn man nicht aus Sachsen flieht, dann geht man nach Leipzig.“

In Berlin ist die Arbeitslosigkeit im Dezember leicht gesunken – dank des starken Weihnachtsgeschäfts, das Verkäufer, Logistiker und Leiharbeiter brauchte. Auch Sachsens Arbeitsmarkt habe sich „robust, nahezu resilient“ gezeigt, sagte Hansen. Auf dem Bau ist aber die Beschäftigung im Jahresvergleich leicht gesunken, auch im Handel und in der Leiharbeit. Für Januar und Februar sagt Hansen weiter steigende Arbeitslosigkeit voraus, für das Frühjahr wieder einen Rückgang.

Langzeitarbeitslose: Bürgergeld öffnet neue Angebote

Mehr als 44.000 Sachsen sind langzeitarbeitslos, also länger als ein Jahr ohne Beschäftigung oder Schulung. Die Zahl war vor Corona unter 40.000 gefallen. Doch laut Hansen ist in den letzten zwei Jahren das Risiko gestiegen, „arbeitslos zu bleiben“. Der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit sei „das Schwerpunktthema“ für dieses Jahr.

Die neuen Regeln zum Bürgergeld haben laut Hansen Vorteile: Wer einen Abschluss nachholen wolle, könne dafür Fördergeld bekommen. Bisher hatte es Vorrang, angebotene Jobs anzunehmen. Katrin Heinze, Geschäftsführerin des Jobcenters Chemnitz, weist auf eine andere Verbesserung hin: Bisher durften Umschulungen nur zwei Jahre lang gefördert werden, obwohl vollständige Ausbildungen häufig drei Jahre dauern. Nun könne es gelingen, „mehr Menschen für eine Umschulung zu gewinnen“ statt für Helferjobs.

Ukrainer: Ungeduldiges Warten auf die Integrationskurse

Rund 25.000 erwerbsfähige Menschen aus der Ukraine leben in Sachsen. 5.200 von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 2.700 mehr als im Februar. Viele waren vor dem Krieg schon hier. In Chemnitz nehmen laut Heinze gerade 800 an Integrationskursen teil, aber 1.000 müssten noch darauf warten.

Sie seien motiviert, auch Ungeduld sei zu merken. Gut 50 hätten Betriebspraktika gemacht oder mit Fördergeld eine Weiterbildung oder Stelle gefunden – „erste bescheidene Erfolge“.

Aussichten: Automatisierung gegen Arbeitskräftemangel

Lauf Hansen wird Sachsens Arbeitsmarkt langfristig wieder von den Themen Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung bestimmt: „Der Arbeitskräftemangel wird alle Regionen treffen.“ Deutlicher als zuvor sagte Hansen, dass Sachsen auch mehr Automatisierung benötige. „Wir wissen nicht, woher wir so viele Menschen nehmen wollen“.

In den letzten fünf Jahren habe sich die Frist verdoppelt, in der Unternehmen freie Stellen besetzen konnten. In Sachsen waren im Oktober 1,6584 Millionen Menschen versichert beschäftigt, 10.300 mehr als ein Jahr zuvor. Mehr als die Hälfte dieses Zuwachses sei dank Menschen „mit Migrationshintergrund“ gelungen. Mehr würden gebraucht, sie nähmen nicht etwa deutschen Arbeitnehmern Beschäftigung weg.

DGB Sachsen: Beschäftigte stimmen mit den Füßen ab

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen, Markus Schlimbach, sagte in Dresden mit Blick auf die jüngsten Arbeitsmarktzahlen, die Unternehmen dürften nicht länger über den Fachkräftemangel jammern. Angesichts fehlender Fachkräfte sei die Konkurrenz zwischen den Betrieben gewachsen. Gut qualifizierte Beschäftigte stimmten "im Zweifelsfall mit den Füßen ab" und wechselten den Arbeitgeber. "Oder sie verlassen Sachsen", sagte Schlimbach.

Die Chancen auf eine dauerhafte und gut bezahlte Beschäftigung müssten für alle verbessert werden. Das gelte insbesondere für Geflüchtete. "Wer von ihnen in Sachsen einen Job hat, darf nicht ständig von Abschiebung bedroht sein", sagte Schlimbach.