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Wie Inklusion neue Wege öffnet

Immer mehr Unternehmen stellen Menschen mit Behinderungen ein. Das ist nicht nur Ergebnis der Bemühungen um Inklusion, sondern auch eine Chance, dem Fachkräftemangel in Sachsen zu begegnen.

Von Annett Kschieschan
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Eva Strobel, Geschäftsführerin für Geldleistungen und Rehabilitation und zugleich Inklusionsbeauftragte der Bundesagentur für Arbeit (2.v.l.), besuchte jetzt Gerd-Ralf Jahnsmüller (l.) und seine Mitarbeiter in der Goldbrötchen-Bäckerei im Vogtland.
Eva Strobel, Geschäftsführerin für Geldleistungen und Rehabilitation und zugleich Inklusionsbeauftragte der Bundesagentur für Arbeit (2.v.l.), besuchte jetzt Gerd-Ralf Jahnsmüller (l.) und seine Mitarbeiter in der Goldbrötchen-Bäckerei im Vogtland. © Arbeitsagentur

Menschen mit Behinderungen sollen „vollständig und in gleichberechtigter Weise sozial und wirtschaftlich integriert werden und frei von Diskriminierung leben können“. So steht es in der „Strategie zugunsten der Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Europäischen Kommission. Und so sollte es selbstverständlich sein in einer modernen Gesellschaft.

Ein Blick auf die Realität zeigt – so einfach ist es in der Praxis oft doch nicht. Noch immer beklagen Menschen mit Behinderungen zu Recht Barrieren in vielerlei Hinsicht. Aber es gibt auch Beispiele, die Mut machen – und gleichsam neue Wege in der Arbeitswelt aufzeigen. Die Goldbrötchen-Bäckerei im Vogtland ist so ein Beispiel. Schon seit 15 Jahren wird hier Inklusion gelebt. Das Unternehmen dürfte damit als Vorreiter in Sachsen gelten. Mehr als ein Drittel der Mitarbeiter sind schwerbehindert. Jeder von ihnen arbeitet nach einem individuellen Förderplan. Es gibt Ruheräume, barrierefreie Arbeitsplätze und Unterstützung, wo immer sie nötig ist. Das Unternehmen wurde dafür mit dem Inklusionspreis 2021 ausgezeichnet. „Ich habe zwei Verwandte mit Trisomie 21. Beide sind jetzt 46 Jahre alt. Ihr Weg war immer steinig. Überall gab es mehr Widerstand als Unterstützung, und das von Anfang an. Um überhaupt zu arbeiten, waren die Behindertenwerkstätten die einzige Möglichkeit“, erinnert sich Gerd-Ralf Jahnsmüller, Inhaber der Auerbacher Goldbrötchen-Bäckerei.

Der Unternehmer wollte selbst etwas ändern und setzt deshalb heute ganz selbstverständlich auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handicap. Das Beispiel aus dem Vogtland zeige, dass Inklusion gelingt, so Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit. „Die Integration von schwerbehinderten Menschen bietet viele Chancen - denn sie sind überdurchschnittlich gut qualifiziert und können mit geeigneten Arbeitshilfen, die Arbeitsagenturen und Integrationsämter finanzieren, einhundert Prozent Leistung erbringen. Die zunehmende Digitalisierung erweitert zusätzlich die Beschäftigungsmöglichkeiten von Fachkräften mit einer Behinderung“, betont er und gibt gleichzeitig zu, dass trotz einer steigenden Beschäftigungszahl behinderter Menschen in Sachsen noch „Luft nach oben“ sei.

Förderung durch die Arbeitsagentur

Dabei gilt: Betriebe mit zwanzig und mehr Beschäftigten sind verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Menschen zu besetzen. Diese sogenannte Soll-Quote wird noch nicht von allen sächsischen Unternehmen der entsprechenden Größe erfüllt. 46.740 Männer und Frauen mit Handicap hatten 2020 im Freistaat einen regulären Job in einem Betrieb mit mindestens 20 Beschäftigten. Allein seit 2015 sind 4.250 zusätzliche Jobs für Menschen mit Behinderungen entstanden.

Und künftig? Soll die Zahl der Behinderten, die unabhängig von ihren Einschränkungen einen Beruf ausüben können, weiter steigen. Die nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie veränderte Arbeitswelt macht es den Betroffenen durch flexible Arbeitszeitmodelle und Homeoffice-Angebote leichter – sie profitiert aber ebenso von den Ressourcen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Das formale Merkmal ‚Schwerbehinderung‘ allein sagt nichts über die individuelle Leistungsfähigkeit eines Menschen aus. Zudem sollte es nicht darum gehen, was jemand nicht kann, sondern, wer worin besonders gut ist! Dieser stärkenorientierte Ansatz in der Personalauswahl ist zukunftsweisend. Menschen mit Handicap haben viele Talente und Qualifikationen - auch in Engpass-berufen. Sie sind oft die Fachkräfte, die händeringend gesucht werden“, so Hansen weiter. Drei Viertel der arbeitslosen Schwerbehinderten haben demnach einen Berufsabschluss oder eine akademische Ausbildung. Damit sind sie besser qualifiziert als der Durchschnitt aller Arbeitslosen.

Für Unternehmen gibt es noch mehr Vorteile. Neben der Beratung durch Arbeitsagenturen und Jobcenter kann die Einstellung behinderter Menschen finanziell unterstützt werden, etwa über Lohn- oder Eingliederungszuschüsse. Technische Berater helfen beim Barriereabbau im Büro oder in der Produktionshalle. Das Sächsische Sozialministerium fördert die Schaffung zusätzlicher Ausbildungs- oder Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap mit bis zu 5.000 Euro.

Zudem gilt es nach wie vor, die eigenen Vorurteile zu überprüfen - auch in den Personalabteilungen. So sind schwerbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Einschätzung der Krankenkassen nicht öfter krank als ihre Kollegen. Auch die Befürchtung, man könne einen behinderten Angestellten nicht kündigen, kann die Arbeitsagentur entkräften. So kann das Beschäftigungsverhältnis während der Probezeit ganz normal aufgelöst werden. Danach wird für eine Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes gebraucht.

Für Gerd-Ralf Jahnsmüller ist indes klar: "Wir sind jetzt nicht nur sozialer, sondern auch wettbewerbsfähiger. Wer integriert, der profitiert!“

Die Arbeitsagenturen in Sachsen beraten zu allen Fragen rund um die Einstellung behinderter Menschen. Mehr Infos gibt es hier.