SZ + Bautzen
Merken

Sorbisches Ensemble: Ein Kosmopolit gibt den Ton an

Der neue Chorleiter stammt aus Sarajevo und bringt 30 Jahre Erfahrung aus den größten Opernhäusern Tschechiens mit nach Bautzen - und noch einiges mehr.

Von Miriam Schönbach
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Neuzugang im Sorbischen National-Ensemble: Der Kroate Tvrtko Karlović ist seit Beginn der Spielzeit der neue Leiter der SNE-Sänger. Zuvor arbeitete er über 30 Jahre an renommierten Theatern in Tschechien.
Neuzugang im Sorbischen National-Ensemble: Der Kroate Tvrtko Karlović ist seit Beginn der Spielzeit der neue Leiter der SNE-Sänger. Zuvor arbeitete er über 30 Jahre an renommierten Theatern in Tschechien. © Steffen Unger

Bautzen. Diesen Anruf will Tvrtko Karlović noch schnell annehmen. Der neue Chorleiter des Sorbischen National-Ensembles (SNE) meldet sich auf Tschechisch. Sein Gegenüber aus dem Handy redet Polnisch. Den Tenor am anderen Ende muss der 58-Jährige auf später vertrösten.

Durchatmen. Mit dem Lächeln gewinnt er sein Gegenüber. Die Probe für das neue Kindervogelhochzeitsprogramm klingt noch nach. Doch in der Röhrscheidtbastei steht nun der neue Chef über die 16 Sänger des Dreisparten-Theaters im Mittelpunkt. Seit dem Beginn der neuen Spielzeit gibt der gebürtige Kroate bei ihnen den Ton an.

Tvrtko Karlović lehnt sich zurück, er plaudert auf Deutsch. „Ich bin ein Kosmopolit. Ich lebe mit der ganzen Welt. Ich nehme von jedem Ort mit, was schön ist. Schließlich habe ich nur ein Leben“, sagt der studierte Chor- und Orchesterleiter voller Optimismus. Geboren wurde er 1963 im damals jugoslawischen Sarajevo. Seinerzeit gilt die Stadt auf dem Balkan als einzigartiges Modell der Toleranz und des multikulturellen Zusammenlebens. Auf dichtem Raum drängen sich bis heute in der Altstadt der bosnischen Metropole die Bauwerke christlicher, jüdischer und islamischer Kultur. Der Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1995 zerstört dieses Miteinander.

Krieg verhindert Rückkehr in die Heimat

Der Fröhlichkeit weicht Ernst, wenn Tvrtko Karlović über jenen Krieg erzählt. Ganz unbeschwert ist dagegen seine Kindheit und Jugend in Sarajevo, privat bekommt er Klavierunterricht, mit seiner Mutter singt er im Auto. Ansonsten habe es keine herausragenden musikalischen Talente in der Familie gegeben. Doch der kleine Tvrtko findet Spaß am Chorsingen. Fasziniert sitzt er eines Tages vor dem Fernseher, als die Legende Leonard Bernstein dirigiert.

Auf dem musikalischen Konservatorium rät ihm schließlich eine Professorin, sich dem Dirigieren zu widmen. Er studiert bis 1987 Chor- und Orchesterleitung an der Musikakademie in Sarajevo. Nach einer kurzen Zeit als Grundschullehrer wechselt er in den Opern- und Rundfunkchor seiner Heimatstadt.

Schließlich erhält Tvrtko Karlović ein Stipendium für ein Dirigierstudium an der Musikakademie in Prag. Er packt 1991 seinen Koffer für fünf Monate, um in die damalige Tschechoslowakei zu gehen. Dann bricht in seinem Heimatland der Krieg aus. An eine Rückkehr ist vorerst nicht zu denken, stattdessen setzt er sein Studium bis 1993 fort.

Im Tourbus wird die Neugier auf Bautzen geweckt

Seine erste Anstellung führt ihn an die Oper im tschechischen Liberec als Korrepetitor und Chorleiter, danach geht es ans Nationaltheater in Ostrava, an die Staatsoper in Prag und an das Nordböhmische Opern- und Balletttheater in Ústí nad Labem. Dort dirigiert er die Klassiker der Opernliteratur, aber auch Musicals und Operetten.

Mehr als zehn Jahr bleibt er am Theater in Ústí nad Labem. „Manchmal braucht es aber einen Wechsel. Dann muss man weitergehen“, sagt das neue SNE-Mitglied. Bevor es ihn allerdings an die Spree zieht, macht der Künstler schnell noch einen Zwischenstopp an der Oper in Prag. Dort singt auch seine Frau im Chor. Bei der Rückfahrt von einer Tournee durch Schweden hat er in dieser Zeit den ersten Kontakt mit Bautzen.

Der Bus mit seinen Musikschülern und Kollegen rollt auf dem Weg nach Tschechien durch die sächsische Stadt. Sein Nebenmann erzählt ihm von einer besonderen Kirche mit zwei Orgel und davon, dass es Menschen gibt, die einer slawischen Minderheit zugehören. „Er sagte damals: Du verstehst sie, dass Sorbische ist deiner Muttersprache ganz nah“, erinnert sich Tvrtko Karlović.

Vor dem Singen kommt das Atmen

Das Interesse ist geweckt. Die Ausschreibung der Chorleiter-Stelle in Bautzen liest der Wahl-Prager mit Neugier. Beschwingt fährt er nach seiner Vorstellung im SNE nach Hause. „Ich habe im Ensemble eine positive Energie gespürt“, sagt er. Inzwischen kennt Tvrtko Karlović längst seine Sänger, ihre Freuden und Sorgen. Vor dem Singen kommt für ihn das Atmen.

„Ich habe 30 Jahre mit professionellen Ensembles gearbeitet. Ich weiß, wie ein guter Chor klingt. Dieses Wissen bringe ich jetzt bei meiner neuen Arbeit ein“, sagt der Chorleiter. Ganz aktuell stehen für ihn und seine Sänger neben der Kindervogelhochzeit auch die Vorbereitung der Abendvogelhochzeit und eine neue Weihnachtskantate auf dem Probenplan.

Doch Tvrtko Karlović schaut voraus. „Mich reizen szenische Projekte, eine klassische Operette in einer sorbischen Übersetzung kann ich mir gut mit dem Ensemble vorstellen oder ein Chorkonzert mit den beiden Orgeln im Dom St. Petri“, schwärmt der Chorleiter. Trotz seines neuen Lebens-Zwischenstopps in Deutschland versucht er, seiner alten Heimat mehr als nur im Herzen treu zu bleiben. Die Mutter lebt inzwischen in Zagreb, wie auch ein Großteil der Familie. „Familienbande sind uns wichtig“, sagt der Bautzener auf Zeit schmunzelnd.

Dann klingelt wieder das Telefon. Der Tenor braucht jetzt das Ohr seines Chorleiters. Tvrtko Karlović verabschiedet sich auf Sorbisch, plaudert dann auf Tschechisch mit dem Sänger und läuft aus der Röhrscheidtbastei. Nach nur drei Monaten wirkt es, als wäre der Kosmopolit in Bautzen angekommen.