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Bautzen: Das plant der neue SNE-Intendant

Tomas Kreibich-Nawka übernimmt ab August die künstlerische Leitung des Sorbischen National-Ensembles. Dabei gibt es gleich mehrere Baustellen.

Von Miriam Schönbach
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Tomas Kreibich-Nawka ist der neue Intendant des Sorbischen National-Ensembles in Bautzen. Er hat viele Pläne für das Haus. So will er neue Formate ausprobieren.
Tomas Kreibich-Nawka ist der neue Intendant des Sorbischen National-Ensembles in Bautzen. Er hat viele Pläne für das Haus. So will er neue Formate ausprobieren. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Im Garten des Sorbischen National-Ensembles (SNE) stehen Kameras. Der Chor produziert ein Video. Dazu kommt der Lärm der Baustelle für den Neubau auf dem Areal an der Lauenstraße. An der Ticketkasse in der Mühltorgasse klingelt das Telefon. Karten für das kammermusikalische Hörstück „Napoléon und die Agentin“ im Bildungsgut Schmochtitz werden gewünscht.

„In zwei Wochen kommt Anna Thalbach, dann beginnen die Proben für die Freiluftinszenierung“, sagt Tomas Kreibich-Nawka. Ab August übernimmt der 40-Jährige die künstlerische Leitung des Dreisparten-Hauses. Schon jetzt ist er stellvertretender Intendant für die knapp 100 Mitarbeiter.

Nach Monaten des Lockdowns kehrt Normalität zurück ans SNE. Tomas Kreibich-Nawka eilt die Treppe nach oben in die Verwaltung. Die Wege kennt er, seit Frühjahr 2019 ist der studierte Philosoph und Musikwissenschaftler Assistent der Intendantin mit Schwerpunkt Dramaturgie am Haus. Eigentlich hatte er die Korrepetitor-Stelle für den Ballettsaal im Blick. Doch beim Bewerbungsgespräch fragte ihn die damalige Intendantin Judith Kubitz, ob er Lust habe, Spielpläne mit auszuarbeiten und Regisseuren bei den SNE-Produktionen beratend zur Seite zu stehen. Das Angebot reizt ihn, er nimmt an, bis Corona den künstlerischen Betrieb stoppt.

Eine Marke, die für etwas Besonderes steht

Doch nicht nur die Pandemie stellt die Tänzer, Sänger und Musiker vor Herausforderungen. Im Februar 2021 erklärt die Intendantin, dass sie ihren Vertrag nach dem 31. Juli nicht verlängern werde. Über die Gründe der Entscheidung habe man Stillschweigen mit der Stiftung für das sorbische Volk vereinbart. Deren Stiftungsrat beruft auf der letzten Sitzung Tomas Kreibich-Nawka zum neuen Co-Chef des Hauses bis 2023.

Unter der neuen Führung – zur Doppelspitze gehört auch Geschäftsführerin Diana Wagner - wünscht sich die Stiftung, dass nach drastischem Sparkurs und einigen Führungswechseln der Fokus nun auf einer stabilen künstlerischen Leitung liegen soll. „Ich möchte die Marke ,Ansambl‘ aufbauen, die unter den Sorben wie Nicht-Sorben in der Region, aber auch darüber hinaus, für etwas ganz Eigenes und Besonderes steht“, sagt Kreibich-Nawka.

Seine erste Aufgabe wird sein, erstmal alle „Leute wieder an Bord zu holen“. Mit ihm beginnen am 1. August ein neuer Chor- sowie ein neuer Orchesterleiter. „Auch das Ensemble muss wieder zu einem Team auf Augenhöhe werden, das sich mit den gemeinsamen Zielen identifiziert. Es gibt hier viele Kollegen zum Teil mit Erfahrungen aus Jahrzehnten. Das ist ein Wert, an dem ich als Intendant nicht vorbeigehen darf“, sagt der zweifache Vater, der mit einer Sorbin verheiratet ist.

Notenarchiv aus dem Keller geborgen

Vor seiner SNE-Zeit war er fast 20 Jahre als freiberuflicher Musiker unterwegs, unter anderem als Dozent und Korrepetitor an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden sowie als Pianist bei der Frankfurt Dance Company, die zeitweise am Europäischen Zentrum der Künste in Dresden-Hellerau beheimatet ist.

Diesen Blick aus der künstlerischen Selbstständigkeit mit einer großen Neugier auf die sorbische Sprache und Kultur, die Leidenschaft für kreatives Denken und die Liebe zur Musik wie Literatur will Tomas Kreibich-Nawka seinerseits für das Sorbische National-Ensemble in die Waagschale werfen.

„Hier, an diesem Haus, gibt es so viele Schätze zu heben. Es liegt so viel Material im Verborgenen“, sagt der Wahl-Crostwitzer. Zum Beispiel hätten Kollegen während der Corona-Spielpause das Notenarchiv aus einem Keller in der Mühltorgasse geborgen. „Das ist ein einzigartiger musikalischer Reichtum, ein Kulturgut, das es nur hier gibt und nirgends anders weltweit.“

Neben dem Heben dieser zum Teil teils unbekannten Kompositionen will der neue Intendant die Zusammenarbeit mit allen sorbischen Institutionen ausweiten. Verstärken will er auch die kleinen, flexiblen SNE-Formate, die sich in vergangenen Monaten zum Beispiel bei Gottesdiensten bewährt haben – oder wie aktuell bei „Napoléon und die Agentin“. Bei diesem szenischen Hörspiel teilen sich kleine Kammermusikensemble und sechs Tänzer die Bühne.

„Solche Klein-Projekte würde ich gern zusätzlich ausbauen, mit denen wir regelmäßig durch die Lausitzen fahren und präsent sein können. Wir kommen zum Publikum“, sagt Kreibich-Nawka. Außerdem braucht es ein Stammpublikum für die Bautzener Spielstätte, mit den Kollegen will er über Produktionen für Jugendliche wie für die Publikumsgruppe Ü40 nachdenken. Es gibt zahlreiche künstlerische Baustellen.

Publikum entscheidet über die Zukunft des Ensembles

Die Analyse ist gemacht. „Wir brauchen ein authentisches Programm für alle Generationen und den Rückhalt durch unser Publikum. Es entscheidet, ob es uns in Zukunft weitergeben wird oder nicht“, sagt der neue Intendant. Eine Baustelle mit Bagger und Bauarbeiter schreitet indes zügig voran. Bis Ende 2022 müssen die Künstler noch mit provisorischen Übungsräumen, verteilt in der Stadt auskommen, dann soll der Bau des neuen SNE-Komplexes für Chor, Ballett und Orchester fertig sein.

Das kommende Jahr steht dann gleich im Zeichen mehrerer Jubiläen. Das 70-jährige Bestehen des SNE fällt zusammen mit dem Festjahr für den Komponisten Korla Awgust Kocor und den Dichter Handrij Zejler. Zukunftsmusik.

Über den Hof weht Chorgesang vom Videodreh. Der neue Spielplan ist in Arbeit. Ein schönes Datum für das langfristige Vormerken könnte der 21. Dezember 2022 sein. Dann ist es sieben Jahrzehnte her, dass das Sorbische National-Ensemble - damals noch als Staatliches Ensemble für sorbische Volkskultur - seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte. Gemeinsam mit der Eröffnung des Multifunktionsneubaus wäre das sicher ein Grund zum Feiern.