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Gibt es zu wenig Pflegeheimplätze in Bautzen?

Seit über einem Jahr sucht eine Mutter in Bautzen einen Pflegeheimplatz für ihren schwerbehinderten Sohn. Was Stadt und Landkreis dazu sagen.

Von Theresa Hellwig
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Agnes Naumann aus Bautzen hat ihren schwerbehinderten erwachsenen Sohn Peter lange zu Hause gepflegt. Nun lebt er in einem Heim in Wilthen. Doch sie würde ihn gern in Bautzen unterbringen, findet aber keinen Heimplatz.
Agnes Naumann aus Bautzen hat ihren schwerbehinderten erwachsenen Sohn Peter lange zu Hause gepflegt. Nun lebt er in einem Heim in Wilthen. Doch sie würde ihn gern in Bautzen unterbringen, findet aber keinen Heimplatz. © Archivfoto: SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Ihre Stimme überschlägt sich fast, als sie davon erzählt. Keine Frage: Dass Agnes Naumann sich wirklich reingekniet hat, ist ihr anzumerken. Und doch sagt sie: „Ich bekomme in Bautzen einfach keinen Pflegeheimplatz für meinen Sohn.“

Erst 40 Jahre ist Peter Naumann, um den es geht. Doch er und seine Mutter müssen schon einen schweren Schicksalsschlag verkraften. „Mein Peter“, so beginnt Agnes Naumann die Sätze immer wieder. „Mein Peter hat so schöne braune Augen, die sind ihm geblieben.“ Oder: „Ich verstehe meinen Peter, wie eine Mutter ihren Sohn eben versteht“ – obwohl er keine Worte mehr nutzen kann für das, was er möchte. „Mein Peter“, sagt sie und zeigt die Fotos von ihrem Sohn beim Angeln, die sie in ihrem Schlafzimmer aufgehängt hat, „mein Peter war glücklich.“

Das Schicksal meldete sich im Jahr 2016. „Peters Hände haben auf einmal gezittert“, erinnert sich Agnes Naumann. „Zu Beginn haben wir uns noch nicht viel dabei gedacht.“ Damals wussten sie noch nicht: Peters Leber versagte. „Durch seine Kupferspeicherkrankheit erlitt er eine Kupfervergiftung“, erklärt Agnes Naumann. „Er ist geistig völlig fit, aber körperlich stark behindert. Er ist quasi in seinem Körper gefangen.“

Mutter: "Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll"

Peter war gesund, führte ein eigenständiges Leben in Bayern. Innerhalb weniger Monate wurde er zum Pflegefall. Agnes Naumann pflegte ihn erst an seinem damaligen Wohnort in Nürnberg und holte ihn dann nach Bautzen, besorgte ihm eine barrierefreie Wohnung – und pflegte ihn dort. „Das war die Zeit, als ich aufgehört habe, mir die Haare zu färben“, sagt sie – und lacht. „Ich habe mich gefragt: Was ist wirklich wichtig? Und mir war klar: Die grauen Haare waren es nicht.“

Was Agnes Naumann aber gerade so beschäftigt, ist nicht in erster Linie das Schicksal ihres Sohnes. Gerade beschäftigt sie vielmehr, dass ihr Sohn jetzt in einem Pflegeheim in Wilthen lebt – und sie ihn partout nicht in Bautzen untergebracht bekommt. „Jeden Tag wird mein Peter aus Wilthen in die Werkstätten in Bautzen gefahren. Das ist toll – aber diese weiten und teuren Wege wären nicht notwendig, wenn er in Bautzen leben würde“, sagt sie.

Und auch um sich selbst geht es ihr. Jeden Nachmittag fährt sie zu ihm: „Er hat ja sonst niemanden, mit dem er reden kann“, sagt sie. „Außer mir versteht ihn kaum einer.“ Sie sei aber eben schon 73 – und wisse nicht, wie lange sie die Wege noch meistern kann. „An fünf oder sechs Pflegeheime in Bautzen habe ich mich gewendet“, sagt sie. Die Malteser, die Diakonie, das Pflegeheim Bautzen-Seidau – einen Brief nach dem nächsten zieht Agnes Naumann aus einem Ordner. Bei einigen Heimen hatte sie sich Ende 2020 gemeldet, bei anderen Anfang oder Mitte 2021. „Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll“, sagt sie.

Malteser: "Der Bedarf ist höher als das Angebot"

Sie halte einen Umzug ihres Sohnes nach Bautzen auch für medizinisch notwendig. Denn als sie ihn noch zu Hause pflegte, habe Peter mehr Therapiestunden bekommen. Auch Reittherapie konnte er in Bautzen nehmen. „Er liebt Tiere, das hat ihm so geholfen“, sagt Naumann. In Wilthen sei das nicht so. „Dort bekommt er nur noch einmal die Woche Ergotherapie.“

Ihre Sorge, sagt Agnes Naumann, betreffe aber nicht nur ihren Sohn. Sie sieht einen großen Mangel an Pflegeheimplätzen in Bautzen. Tatsächlich bestätigen die Heime das. „Der Bedarf an Pflegeplätzen ist höher als das Angebot“, sagt zum Beispiel Olga Jabs, Pressesprecherin der Malteser. „Die Warteliste auf einen Pflegeplatz im Malteserstift St. Hedwig umfasst aktuell rund 200 Anträge.“ Allerdings bewerben sich viele Leute auch gleich bei mehreren Einrichtungen, relativiert Olga Jabs.

Auch andere Einrichtungen sprechen von längeren Wartelisten. Schwierig sei es allerdings mitunter auch, einen passenden Platz zu finden. So gebe es Heime mit Doppelzimmern, in denen überwiegend Frauen leben – oder in denen ein junger Pflegebedürftiger nicht angemessen versorgt werden könne.

Auch ein Blick in die Zahlen zeigt, dass der Bedarf groß ist – und noch steigen wird. Rund 7.500 Bautzener sind derzeit zwischen 45 und 60 Jahre alt, über 3.000 bis 65 Jahre und mehr als 11.000 noch älter. Die Tendenz: Die Zahl der älteren Bewohner steigt, die der jüngeren sinkt. Generell wird die Bevölkerung im Landkreis Bautzen im Schnitt älter.

Landkreis: "Rein rechnerisch müssten die Plätze reichen"

Mit einem Brief hat sich Agnes Naumann deshalb im Dezember an den Bautzener Oberbürgermeister gewandt – bisher ohne Rückmeldung. „Ich wünsche mir, dass das Rathaus eine Bestandsaufnahme macht“, sagt sie. „Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt zu. Wir brauchen eine Lösung!“ Vom OB wollte sie wissen, ob die Stadt sich um das Thema kümmert und eine Vision hat, wie sie der Lage Herr werden will. Warum die Stadt kein eigenes Pflegeheim betreibt.

Die Stadtverwaltung sagt dazu recht wenig. Der Brief von Agnes Naumann werde noch beantwortet, heißt es. Ansonsten sei das Thema Pflege eines, für das der Landkreis zuständig ist.

Jener nennt als Grund für das Pflegeplatz-Problem unter anderem, dass derzeit coronabedingt die Personalsituation in den Heimen knapp sei. Einige Heime könnten deshalb nicht alle verfügbaren Plätze belegen. Rein rechnerisch, heißt es vonseiten des Landratsamtes, müssten die Pflegeheimplätze auf den gesamten Landkreis bezogen aber ausreichen.

Allerdings muss auch das Landratsamt Agnes Naumann enttäuschen, was die Suche nach einem Heim speziell für jüngere Pflegebedürftige anbelangt. Tatsächlich gebe es kein solches in der Region. In Sachsen gebe es solche nur in Plauen und Dresden. Und die Zahl der jungen Pflegebedürftigen sei auch gering. Nur 0,6 Prozent der Pflegeheimbewohner im Landkreis – das sind etwa 20 Personen – seien unter 45 Jahre alt.