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"Wir reden seit drei Jahren über Strukturwandel, und für den Fahrgast ist noch nichts passiert"

Übervolle Züge, Bus-Skepsis auf dem Land und ständig Ärger ums Geld: Der Chef des Oberlausitzer Verkehrsverbundes geht in Rente - und hält zum Abschied mit Kritik an der Verkehrspolitik im Land nicht hinterm Berg.

Von Tim Ruben Weimer
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Hans-Jürgen Pfeiffer war 13 Jahre lang das Gesicht des ÖPNV in der Oberlausitz. Jetzt geht er in den Ruhestand.
Hans-Jürgen Pfeiffer war 13 Jahre lang das Gesicht des ÖPNV in der Oberlausitz. Jetzt geht er in den Ruhestand. © Archivfoto: SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Der Geschäftsführer des Zweckverbands Oberlausitz-Niederschlesien (Zvon), Hans-Jürgen Pfeiffer, geht nach 13 Jahren beim Zvon in den Ruhestand. Die Leitung des Verkehrsverbunds hatte er 2010 von seinem Vorgänger Georg Janetzki übernommen. Neuer Geschäftsführer wird zum 1. Januar 2024 Christoph Mehnert, der bislang die Position des Prokuristen innehatte und Pfeiffer als Geschäftsführer vertrat.

Im Interview mit Sächsische.de spricht Pfeiffer darüber, wie sich der öffentliche Verkehr in der Oberlausitz während seiner Zeit verändert hat und warum jetzt nur noch so wenig vorangeht.

Herr Pfeiffer, Sie sind 13 Jahre lang das Gesicht des ÖPNV in der Oberlausitz gewesen, zuvor waren Sie Leiter des Straßenverkehrsamtes in Bautzen. Was ließ sich einfacher managen – der Straßen- oder der Schienenverkehr?

Die Frage des Schienenpersonennahverkehrs war eine neue Herausforderung, weil ich in der Position als Geschäftsführer direkter Einfluss nehmen konnte. Ich war direkter an den Entscheidungsträgern dran, sowohl in den Landkreisen als auch bei der Landesregierung und über die Bundesvereinigung auch an der Bundespolitik. Das war das Reizvolle daran, diesen Schritt zu gehen.

Welchen Einfluss haben Sie genommen?

Es gab in all den Jahren immer heftige Diskussionen um die Finanzierung des ÖPNV. Wir unterlagen Statistikern, die ausgerechnet haben, bei uns säßen ja kaum Leute im Zug oder Bus. Wir haben aber immer kommuniziert: Wenn wir den ländlichen Raum lebenswert machen und erhalten wollen, gehört die Mobilität dazu. Dadurch sind angedachte Kürzungen an uns vorbeigegangen. Es gab Finanzierungsentwürfe beim Freistaat Sachsen, bei denen wir und das Vogtland ganz schlecht ausgesehen hätten.

Mein Herangehen ist es bis heute, dass es in mittelgroßen Orten eine stündliche Anbindung an das nächste Verwaltungszentrum oder die Kreisstadt geben muss. Der große Wunsch ist, Partner zu finden, mit denen man die Fahrzeiten noch ausdehnen kann. Wir brauchen dafür aber andere Verkehrsmittel und Organisationsformen als diesen starren fahrplangebundenen Personennahverkehr.

Rufbusse?

So ein Rufbus ist immer der erste Schritt in Richtung Ende einer Linie. Das muss viel dynamischer werden. Der Fahrgast muss die Fahrtzeiten bestimmen. Wir denken mit unseren Partnern gerade in einem neuen Projekt über solche Ansätze nach.

Was waren die großen Meilenstein-Projekte, die der Zvon in Ihrer Amtszeit verwirklicht hat?

Das Wichtigste, was wir fortgeführt haben, ist der Erhalt des Euro-Neiße-Tickets: Drei Länder, ein Ticket. Positiv ist die Fahrgastentwicklung, die Nachfrage ist gestiegen, und zwar schon vor dem 49-Euro-Ticket. Dann sind wir in der abschließenden Phase des Umbaus all unserer Haltestellen in einem einheitlichen Layout, da geht es um rund 11.000 Haltestellen. Auf der Schiene ist uns die Verdichtung gelungen, zum Beispiel zwischen Görlitz und Bischofswerda. Ein größerer Meilenstein sind unsere grenzüberschreitenden Busverkehre.

Es war aber nicht alles gut. Nach den Kostenentwicklungen der letzten zwei Jahre haben wir jetzt leider eine Lücke im Haushalt. Außerdem treten wir seit Bestehen des Zvons auf der Stelle, was die Elektrifizierung betrifft. Wir reden jetzt seit drei Jahren über Strukturwandel, und für den Fahrgast ist immer noch nichts passiert.

Wann fährt bei uns der erste ICE?

Nicht vor 2040.

Was braucht es dafür außer einer Stromleitung?

Außer der Energieversorgung gibt es keinerlei Pläne für die Strecke. Wo liegen die Gleise, mit welchen Geschwindigkeiten kann ich fahren, welche Brücken muss ich umbauen, bei welchen Kurven die Radien verändern? Abgesehen von einer Kostenschätzung gibt es das bislang alles nicht. Mit 2040 habe ich mich schon weit zum Fenster rausgelehnt.

Wie steht der ÖPNV in der Oberlausitz im Vergleich da?

Wir haben im Vergleich mit anderen ländlichen Regionen ein gutes Angebot. Vor allem seit den letzten zwei bis drei Jahren, in denen das Plus- und Taktbus-System gestartet ist. Aber nicht jeder potenzielle Kunde weiß, was er in seiner Heimatgemeinde für ein ÖPNV-Angebot hat, weil ihn das nicht interessiert.

Und was können Sie da tun?

Die Leute einladen, unseren Fahrzeugen eine Chance zu geben: Die sind komfortabel und sicher, größtenteils klimatisiert und fahren mit mehr als 95 Prozent Wahrscheinlichkeit pünktlich. In meiner Zeit als Geschäftsführer sind 10 bis 15 Prozent Fahrgäste dazugekommen und in den letzten zwei Jahren durch Neun-Euro-Ticket und Deutschlandticket nochmal 20 Prozent. Das sehen wir jetzt an übervollen Zügen. Wir sind an der Kapazitätsgrenze und müssten eigentlich noch mehr Verkehr bestellen. Dafür fehlt aber das Geld und eine durchdachte Verkehrspolitik.

Braucht es den Zvon in der Zukunft überhaupt noch?

80 Prozent aller Verkehre finden innerhalb eines Verbundes statt. Wir bilden den übergroßen Teil der Mobilität der Leute ab. Man kann natürlich immer über Strukturen reden. Der Zvon ist 1995 entstanden, das ist schon ein paar Tage her. Aber die Arbeit wird vor Ort gemacht, es braucht die Abstimmung mit den Gemeinden und den Bürgern vor Ort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit einer Landesverkehrszentrale irgendwo in Sachsen die Probleme zum Beispiel in Rothenburg besser und schneller geklärt werden.

Sie sind beruflich eher mit dem Auto unterwegs gewesen. Wird man Sie künftig häufiger im Trilex sitzen sehen?

Ja, wir haben zu Hause schon Pläne gemacht, dass wir das Auto öfter stehen lassen, wenn wir in Richtung Dresden oder Zittau unterwegs sind. Ob wir mit dem ÖPNV so mobil sein werden, dass wir das 49-Euro-Ticket erwerben, weiß ich aber noch nicht.

Werden Bus und Bahn Sie auch im Ruhestand noch beschäftigen? Haben Sie eine Modellbahnanlage im Keller stehen?

Nicht im Keller, sondern im ausgebauten Dachgeschoss. Die ist noch aus meinen Kinderzeiten. Mein Vater hat auf der Dampflok angefangen, ich bin schon als Kind mitgefahren und dann kohle- und ölverschmiert glücklich zu Hause angekommen. Ganz tief drinnen bin ich der Sohn eines Lokführers.