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Neschwitz: Umzug eines Unikats

Das Scharfrichterhaus aus Lissahora soll an der Lugaer Bockwindmühle wieder aufgebaut werden. Aber ein Problem könnte das noch verhindern.

Von Franziska Springer
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Dieter Petschel (l.) und Andreas Wirth bemühen sich mit einer ganzen Reihe von Unterstützern um den Erhalt des Scharfrichterhauses aus Lissahora. Das soll in diesem Frühjahr umziehen - zur Bockwindmühle nach Luga.
Dieter Petschel (l.) und Andreas Wirth bemühen sich mit einer ganzen Reihe von Unterstützern um den Erhalt des Scharfrichterhauses aus Lissahora. Das soll in diesem Frühjahr umziehen - zur Bockwindmühle nach Luga. © SZ/Uwe Soeder

Neschwitz. Andreas Wirth schlägt die Hände vorm Gesicht zusammen, lacht und sagt: "Wir sind aber auch blöd. Hier stehen doch beide schon seit Jahren zusammen!" Während er das feststellt, steht der Vorsitzende der Arbeitsgruppe zur Rettung des Scharfrichterhauses aus Lissahora im Neschwitzer Heimatmuseum. Vor ihm: originalgetreue Nachbildungen historischer Gebäude aus dem Gemeindegebiet. Schüler aus Königswartha haben sie im Maßstab eins zu zehn nachgebaut und dem Heimatmuseum zur Verfügung gestellt. Darunter bereits seit Jahren in trauter Nachbarschaft vereint: die historische Bockwindmühle in Luga und besagtes Scharfrichterhaus.

Was Andreas Wirth so freut, ist die Aussicht, dass der Zufall im Museum schon bald draußen Wirklichkeit werden kann. Wobei das Wörtchen 'schon' in diesem Zusammenhang relativ ist. Bereits 2009, erinnert sich Dieter Petschel, der Vorsitzende des Vereins der Kultur- und Heimatfreunde Neschwitz, habe es eine Kampagne zum Erhalt des mehr als 300 Jahre alten Scharfrichterhauses gegeben. Damals, so Petschel weiter, habe ein Sturm erstmals Schäden an der Giebelseite verursacht.

Weil der Erhalt des Scharfrichterhauses unter den Bedingungen des Denkmalschutzes kaum möglich war, zerfiel das Gebäude seit 1975 zusehends.
Weil der Erhalt des Scharfrichterhauses unter den Bedingungen des Denkmalschutzes kaum möglich war, zerfiel das Gebäude seit 1975 zusehends. © Archivfoto: SZ/Uwe Soeder

Der Heimatverein sicherte das Gebäude notdürftig, um es vor dem Zusammenfall zu bewahren. Die Jahre gingen ins Land. Bis 2018 wiederum ein Sturm Dachziegel auf das bewohnte Nebenhaus wehte. Die Versicherung des Eigentümers habe daraufhin gedroht, für Schäden nicht mehr zu zahlen, sollte an dem Scharfrichterhaus nichts passieren, erinnert sich Dieter Petschel. Das Landesamt für Denkmalschutz empfahl den Abriss. Das sorgte für Diskussionen im Heimatverein: "Etwa 50 Prozent der Mitglieder waren für den Erhalt, 50 Prozent für den Abriss", so der Vereinsvorsitzende, der irgendwann sagte: "Wir müssen aufhören zu quatschen. Das bringt alles nichts."

Rettung kostet voraussichtlich 96.000 Euro

Noch im selben Jahr gründete sich die Arbeitsgruppe mit der Mission, das Scharfrichterhaus zu retten - und verschwand zunächst im Büro. "Das Jahr 2019 war sehr bürokratisch", erinnert sich Andreas Wirth. Ein Planer errechnete eine erste Kostenschätzung. Die ergab eine Gesamtsumme von knapp 96.000 Euro. "Und da steht noch kein Mobiliar drinnen", merkt Dieter Petschel an. Der Verein beantragte Leader-Förderung. Die Mühe zahlte sich mit einem positiven Zuwendungsbescheid über 50.000 Euro aus.

Der Grundstücksbesitzer schenkte das Gebäude dem Neschwitzer Heimatverein. Der begann im Oktober 2020 unter fachlicher Anleitung mit dem Rückbau des 300 Jahre alten Gebäudes.
Der Grundstücksbesitzer schenkte das Gebäude dem Neschwitzer Heimatverein. Der begann im Oktober 2020 unter fachlicher Anleitung mit dem Rückbau des 300 Jahre alten Gebäudes. © Archivfoto: Kultur- und Heimatfreunde Neschwitz

Eine Frage aber war noch ungeklärt: Wohin sollte das Haus ziehen? "Es gab verschiedene Ideen", erinnert sich Dieter Petschel. "Aber das kam alles nicht infrage. Wir wollten uns einerseits nicht zu weit vom Dorfzentrum entfernen, andererseits waren aber die Scharfrichter immer etwas abseits untergebracht."

Denn dieser heute so seltsam anmutende Beruf, erklärt Andreas Wirth, sei keinesfalls angesehen gewesen. "Der Scharfrichter wurde gerufen, wenn Vieh abgedeckt oder eine Jauche-Grube gelehrt werden musste", sagt er. Hinrichtungen hingegen seien die Seltenheit gewesen. "So viele Köpfe sind in Neschwitz nicht gerollt", so Wirth.

Die Gemeinde befürwortet das Projekt

Und schließlich fand sie sich, die Lösung, von der Andreas Wirth heute findet, man hätte viel eher darauf kommen können. Die Aufmerksamkeit der Heimatfreunde richtete sich auf das Grundstück der Lugaer Bockwindmühle. Ein Detail gefiel den Rettern des Scharfrichterhauses an dieser Variante besonders: "Das Gebäude wurde 1713 er- und 1790 umgebaut. Die Bockwindmühle wurde 1733 errichtet. Von der Bauzeit her kommt das hin", freut sich Andreas Wirth.

Und noch etwas spielte der Arbeitsgruppe in die Hände: Ein Teil des Grundstücks, auf dem die Bockwindmühle sich befindet, gehört der Gemeinde Neschwitz. Die gab ihr Okay zum Abriss des darauf befindlichen Bungalows.

209 Holzbalken wurden zur Wiederaufbereitung in eine Tischlerei ins ergebirgische Thalheim geschickt. Probeweise soll die aufgearbeitete Holzkonstruktion dort im April wieder zusammengesetzt werden.
209 Holzbalken wurden zur Wiederaufbereitung in eine Tischlerei ins ergebirgische Thalheim geschickt. Probeweise soll die aufgearbeitete Holzkonstruktion dort im April wieder zusammengesetzt werden. © Archivfoto: Kultur- und Heimatfreunde Neschwitz

Nachdem alle behördlichen Genehmigungen eingeholt und mit der Zimmerei Fricke aus Thalheim im Erzgebirge der passende Partner für den Abbau, die Wiederaufbereitung und die Neuerrichtung der historischen Gebäudesubstanz gefunden war, konnten die Heimatfreunde aus dem Büro kommen und mit der praktischen Arbeit beginnen: Am 19. Oktober vergangenen Jahres begann nach Katalogisierung der einzelnen Bauteile der Rückbau des Scharfrichterhauses. "Den alten Lehm und die Balken haben wir gerettet, genau wie die Fundamentsteine und einen alten Ofen", zählt Dieter Petschel auf. 209 Holzbalken traten am 4. Dezember ihre Fahrt nach Thalheim an. Bis Mitte April sollen sie ausgebessert sein. Das Haus wird dann probeweise in einer Halle wieder zusammengesetzt, bevor es nach Neschwitz zurückkehrt.

Wiederaufbau soll im Frühjahr beginnen

Für Dieter Petschel, Andreas Wirth und ihre Mannschaft bedeutet das einen strammen Zeitplan: "Kommende Woche beginnen wir mit dem Abriss des Bungalows. Danach müssen wir das Fundament bauen", sagt Dieter Petschel. Und natürlich wollen sie sich auch am Wiederaufbau des Hauses beteiligen: "Wir haben keine Ahnung, wie man den Lehm in die Wände einsetzt - aber wenn wir fertig sind, dann wissen wir es", sagt er lachend.

Eines fehlt der Arbeitsgruppe noch zu ihrem Glück vom Scharfrichterhaus: die nötigen Eigenmittel. Auf der Spendenplattform 99 Funken haben sie deshalb eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, die noch bis zum 7. Mai läuft. "Das Wichtigste ist es jetzt, das Haus zu retten", stellt Dieter Petschel klar - aber nicht, ohne dass er und Andreas Wirth einen Ausblick auf die potentielle Nutzung der rund 60 geretteten Quadratmeter geben: Das Innere des Hauses soll sich künftig als Ausstellungfläche einer ganzen Reihe von Themen - vom Arbeitsalltag eines Scharfrichters über die Bauweise einer Bockwindmühle bis hin zur modernen Energiegewinnung - widmen und sich mit diesem Angebot auch an Schulklassen richten, heißt es im entsprechenden Konzept.

Wer die Umsetzung des Vorhabens unterstützen will, findet auf der Projektseite alle nötigen Informationen. Überweisungen sind auch möglich an:

Kontoinhaber: 99 Funken Crowdfunding
IBAN: DE64300500007060506412
BIC: WELADEDDXXX
Verwendungszweck: P1693 Rettung des Scharfrichterhauses Lissahora

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