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Bautzen. Die Stadt, der Protest, die Druschba-Fans

In Bautzen greifen Ideen um sich, die bislang als ziemlich abgedreht galten. Dabei mischen Aktivisten und Lokalmedien mit, die die deutsch-russische Freundschaft lobpreisen.

Von Ulrich Wolf
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© Zeichnung: Peter M. Hoffmann

Hochkirch/Bautzen. Der Mann muss was drauf haben: Naturheilarzt, praktischer Arzt, Diagnostik und Therapie nach Dr. F. X. Mayr, Friedens- und Bewusstseinsarbeit, Klangtherapie. All das steht in seiner Mailsignatur. Er hat eine Homepage und einen YouTube-Kanal mit zwölf Videos zu Themen wie „Die Erdcharta“ oder „Terrania-Projekt Räterepublik“. Und zwei Beiträgen, in denen ein Mann in Jeansjacke vor einer hellblauen Fahne mit einer Friedenstaube steht und der ARD-Sendung „Report München“ die Leviten liest: Die habe „in schmählicher und schändlicher Form Schmutz auf den Bautzener Frieden“ geworfen.

Der Mann, der das sagt, heißt Uwe Wilhelm Haspel. Die Sendung, die er kritisiert, ist im April 2016 ausgestrahlt worden. Darin heißt es, wer hinter die Fassade diverser Friedensaktivisten schaue, stoße „auf Verschwörungstheorien und rechte Propaganda“. Als Beispiel dient den Fernsehleuten unter anderem der Verein Bautzner Frieden, der keine Scheu habe, „bekennenden Nationalsozialisten“ eine Bühne zu geben.

Das stimmt. Auf einer Friedensmahnwache in Bautzen im Mai 2014 sagt der Moderator, der zumindest bis Ende 2016 Vorstandsmitglied im Bautzner Frieden war*: „Es verbindet uns mehr als uns trennt. (…) Lasst die unterschwellige Kritik gegen links, lasst die unterschwellige Kritik gegen rechts.“ Kurz darauf bittet er einen jungen Mann ans Mikrofon, der gleich klarstellt: „Ich bin bekennender Nationalsozialist.“

Als das geschieht, ist der Ukraine-Konflikt noch frisch, die Friedensmahnwachen erleben ihre Renaissance. In den Reden, die dort gehalten werden, geht es oft um die Nato und andere „kapitalistische Kriegstreiber“. Die Mahnwachen-Teilnehmer skandieren „Lügenpresse“, Monate bevor das bei Pegida in Dresden geschehen wird. Linke und rechte Friedensaktivisten tun sich zusammen, sie verbreiten die Theorie von der unsichtbaren Hand, die deutsche Mainstream-Medien lenke, um „das Volk“ zu belügen.

Der Naturarzt Uwe Wilhelm Haspel lebt auf dem Lebensgut Pommritz bei Hochkirch. Er engagiert sich beim Bautzner Frieden um mitzuhelfen bei der Ursachenforschung für Kriege wie in der Ukraine oder in Syrien.
Der Naturarzt Uwe Wilhelm Haspel lebt auf dem Lebensgut Pommritz bei Hochkirch. Er engagiert sich beim Bautzner Frieden um mitzuhelfen bei der Ursachenforschung für Kriege wie in der Ukraine oder in Syrien. © Foto: Carmen Schumann

Auch Haspel ist Medienkritiker. Und Impfskeptiker.** Und Verfechter des Heilfastens.  Seine Praxis hat der Naturarzt in Bautzen. Vor 17 Jahren kam der gebürtige Augsburger über Würzburg nach Sachsen, seit 2002 lebt er im Weiler Pommritz, nahe des gleichnamigen Lebensguts***. Auf den Holztisch im Gemeinschaftsraum des Lebensguts hat er eine Kanne selbst gemachten Kräutertee gestellt. Er sagt, der Ukraine-Konflikt habe in ihm dem Wunsch verstärkt, mithelfen zu wollen, die Ursachen für Kriege und die wirtschaftlichen Zusammenhänge dahinter zu erklären. Darum engagiere er sich im Bautzner Frieden.

Das ist ein nicht eingetragener, gemeinnütziger Verein, dessen Gründung auf die erste Friedensmahnwache in Bautzen im April 2014 zurückgeht. Initiator Johannes Wenzel sagte damals, man wolle nicht nur meckern, sondern irgendetwas tun. Ein Video im Internet zeigt, wie Wenzel interveniert, als sich eine Rednerin gegen Nazis ausspricht: „Hier ist jeder willkommen, egal welche Hautfarbe, Religion oder Nationalität er hat. Es gibt weder rechts noch links.“ Wo er selbst politisch stehe, wollte Wenzel seinerzeit nicht sagen. Und tut es auch heute nicht: Auf Gesprächsangebote der SZ reagiert er nicht. Das macht stattdessen Haspel. Er sagt, der Bautzner Frieden setze sich für eine Kultur ein, in der „freie Argumente“ zählen sollten statt Macht, Geld und Willkür.

Im September 2016 hatten die teils islamfeindlichen Proteste in Bautzen ihren Höhepunkt. Zuvor hatte es Krawalle zwischen Deutschen und Flüchtlingen auf dem Kornmarkt gegeben.
Im September 2016 hatten die teils islamfeindlichen Proteste in Bautzen ihren Höhepunkt. Zuvor hatte es Krawalle zwischen Deutschen und Flüchtlingen auf dem Kornmarkt gegeben. © Archivfoto: Uwe Soeder

Wenzel, Haspel und ihre Mitstreiter organisieren Proteste, Feste und stiften Preise. Das Friedensthema, oft kombiniert mit Ökologie und Ökonomie, findet Zuspruch. Gleichwohl dominierten in Bautzen derzeit Grabenkämpfe und Polarisierung, räumt Haspel ein. Es gebe auch Vorwürfe gegen den Friedensverein. Von Verschwörungstheorien sei die Rede, von Reichsbürgern, von Rechtspopulisten und Antisemitismus. 

Er, Haspel, aber sehe das eher von der positiven Seite. „Ich bin tief berührt vom Interesse der Bürger.“ Er nehme „erfreulicherweise etliche Ansätze einer guten Entwicklung wahr, die ich nach Kräften unterstütze“. Man sei in Bautzen in einer entscheidenden Phase, „das ist fast genial“. Diese Aussage Haspels kann man als Anspielung auf das Entstehen einer Gegenöffentlichkeit verstehen, die bereits im Spätherbst 2015 zu wachsen beginnt.

Der fundamental-christlich geprägte Spielzeughändler Veit Gähler hat zu einer Demonstration seiner Wir-sind-Deutschland-Bewegung aufgerufen. Thematisch dreht es sich um Frieden und Aufrüstung, um den Abzug der US-Militärs aus Europa, um die Ablehnung von TTIP, um Meinungsfreiheit und Volksentscheide, um Frieden mit Russland, um Asylreformen, um eine sichere Zukunft „für unsere Kinder“. 

Zu den Rednern gehört ein Friedensaktivist aus Halle, der die „BRD-Behördendiktatur“ kritisiert und vor der „drohenden Ausrottung des deutschen Volkes“ warnt. Auf späteren Gähler-Demos sollten Vertreter der Montagsmahnwachen und Mitglieder des Bautzner Friedensvereins sprechen. Der einflussreichste Bauunternehmer der Stadt, Jörg Drews, unterstützt das. Er gibt Geld und seine Reputation für Proteste, für Bürgerforen und neue Lokalmedien wie Ostsachsen-TV.

Der Sender gehört dem aus Südhessen stammenden David Vandeven. Der 43-Jährige erzählt, der Liebe wegen sei er in der Lausitz gelandet. Erst habe er es als Papageienzüchter versucht, dann als Internetberater, dann als Anlagen- und Edelmetallvermittler. Inzwischen besitze er die Werbegemeinschaft Oberlausitz „und mehrere andere kleine Unternehmungen“. Dazu zähle auch Ostsachsen-TV. Er habe den Sender im September 2017 übernommen und 125.000 Euro investiert. „Ich bin damit volles Risiko gegangen“, sagt Vandeven. Die Firma Hentschke-Bau von Jörg Drews sei derzeit sein wichtigster Werbekunde.

Erst Papageienzüchter, dann Anlageberater und Netzwerker, jetzt Chef von Ostsachsen-TV: Der Hesse David Vandeven (rechts) will mithelfen, damit in Bautzen Meinungen zu hören sind, "die sonst ausgeblendet werden".
Erst Papageienzüchter, dann Anlageberater und Netzwerker, jetzt Chef von Ostsachsen-TV: Der Hesse David Vandeven (rechts) will mithelfen, damit in Bautzen Meinungen zu hören sind, "die sonst ausgeblendet werden". © Foto: Carmen Schumann

Der Eindruck entsteht, als greife in Bautzen ein Zahnrad ins andere. Vandeven sagt, er sei aus der Kirche ausgetreten, aber „tief überzeugter Christ“ geblieben. Das verbindet ihn mit Spielzeughändler und Demo-Organisator Gähler. Der gibt ein weiteres Lokalmedium heraus, das Magazin Denkste?!. Dort schreibt er: „Bilden wir also eine Querfront in dem, was uns eint. Lassen wir uns nicht durch einige Wenige gegeneinander aufhetzen, egal, ob durch sogenannte Historiker, Journalisten oder Pfarrer.“

Auch diese Publikation unterstützt Drews, obwohl deren Redaktion auf Verschwörungstheorien einer radikal christlichen Gruppierung aus der Schweiz arbeitet. Deren Dunstkreis wiederum sind einige der Referenten zuzuordnen, die Gähler und Drews zu ihren monatlich stattfindenden Bürgerforen einladen. Schließlich treten Drews, Vandeven, Friedensvereins-Chef Wenzel und auch Mündige-Bürger-Unterstützer Stephan Juros  bei den anstehenden Kommunalwahlen als Stadtratskandidaten für das Bürgerbündnis Bautzen an. Dessen Verlautbarungen stellt Ostsachsen-TV mittlerweile wörtlich ins Internet. Die der lokalpolitischen Konkurrenz nicht.

Der 43-Jährige sagt, Ostsachsen-TV sei offen „für Meinungen, die sonst ausgeblendet werden“. Dem wolle er entgegenwirken durch Dokumentationen. „Ohne Schnitt, ohne kürzen.“ Als Beispiel gibt der Netzwerker die Verleihung des Bautzner Friedenspreises an den früheren Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer im Februar dieses Jahres an.

Im Februar 2019 erhält der frühere Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer (links) den Bautzner Friedenspreis. Ostsachsen-TV-Chef David Vandeven (2. v. r.) moderierte die Veranstaltung. 
Im Februar 2019 erhält der frühere Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer (links) den Bautzner Friedenspreis. Ostsachsen-TV-Chef David Vandeven (2. v. r.) moderierte die Veranstaltung.  © Foto: privat

Der Ex-Politiker war zuvor nicht nur auf den von Gähler und Drews veranstalteten Bürgerforen aufgetreten. Er war zuvor nicht nur zum Schirmherrn der Oberlausitzer Erklärung ernannt worden, in der Geschäftsleute, Juristen und Gastronomen gegen die angebliche Verunglimpfung ihrer Heimat aufbegehrten. Er hatte vor der Preisverleihung auf Ostsachsen-TV auch einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel: „Die Hunnen in Washington.“ Darin schreibt Wimmer: „Der Weg in den Ersten Weltkrieg war davon bestimmt, dass internationale und nationale jüdische Interessen auf der Seite des kaiserlichen Deutschlands standen.“ Erst die britisch-französische Zusage für eine „Heimstatt Palästina“ habe den Kriegseintritt der USA bewirkt. Zuvor stand der Text auch auf der deutschsprachigen Seite der russischen Nachrichtenagentur Sputnik.

Die Bautzener SPD wertet bis heute die Äußerungen Wimmers als „unerträgliche Mischung aus Geschichtsverklärung und Antisemitismus“. Schon in der Vergangenheit sei der Bautzner Frieden sporadisch dadurch aufgefallen, „Menschen mitwirken zu lassen, die als Rechtsextreme eingestuft werden“. Der den Sozialdemokraten angehörende Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens sagte seine Teilnahme an der Preisverleihung ab.

Die Mitglieder des Bautzner Friedens hingegen sehen in Wimmer einen visionären Mahner. Zur Preisverleihung im Deutsch-Sorbischen Volkstheater platzieren sie den 75 Jahre alten Mann in einen roten Sessel. Ostsachsen-TV filmt. Wimmer sagt, die Ehrung berühre seine Seele. Der Landrat von der CDU redet. Ein Teilnehmer der Druschba-Friedensfahrt nach Russland schimpft über den „zensierten deutschen Mainstream“. Dafür erhält er Applaus. Die regionalen Spitzenpolitiker der AfD sind mit nahezu voller Kapelle angetreten. Und auch Drews ist da. Für ihn sind die Leute vom Bautzner Frieden „zutiefst humanistisch“, ihre Arbeit empfinde er als „beachtlich“.

Der Bauunternehmer Jörg Drews (links) und Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens sind politisch mitunter anderer Meinung. Künftig werden sie sich wohl auch im Stadtrat begegnen. Drews kandidiert auf der Liste des Bürgerbündnisses Bautzen.
Der Bauunternehmer Jörg Drews (links) und Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens sind politisch mitunter anderer Meinung. Künftig werden sie sich wohl auch im Stadtrat begegnen. Drews kandidiert auf der Liste des Bürgerbündnisses Bautzen. © Foto: Uwe Soeder

Offenbar hält er auch die Friedensaktivisten für unterstützenswert. Warum sonst sollte Drews seinen fast 700 Mitarbeitern eine „Information von Willy Wimmer zum Thema 100 Jahre und der Kriegseintritt der USA gegen Deutschland und Österreich-Ungarn“ verschicken? Oder den ebenfalls mit einem Friedenspreis bedachten AfD-Geopolitiker Rainer Rothfuß zu seinen Bürgerforen einladen? Oder mit einem Aufkleber am Briefkasten seiner Firma für den Verein Druschba werben? Für einen Verein, für den „die Völkerfreundschaft mit Russland alternativlos“ ist und der von den Kreml-Medien RT-Deutsch und Sputnik-News unterstützt wird? Warum sonst sollte er eine Fotoausstellung über die Druschba-Friedensfahrt 2017 durch Russland in der Volksbank Bautzen unterstützen? Eine Fahrt, zu deren Teilnehmern auch der Friedensvereins-Chef Wenzel und der Wir-sind-Deutschland-Gründer sowie Denkste-Herausgeber Gähler gehörten? Die SZ hat sechs Wochen lang vergebens versucht, auf diese und andere Fragen Antworten zu erhalten.

So jedoch lässt sich nur darüber spekulieren, ob die Antworten der Gählers, Wenzels und Drews ähnlich ausfielen wie die von Naturarzt Haspel. Er fragt sich, inwieweit man sich von einem politischen System beherrschen lassen dürfe, das „in großem Maß die Zerstörung unserer Natur sowie Elend, Krieg und Tod von unzähligen Menschen fördert, oder es zumindest billigend in Kauf nimmt“?

Er sei deshalb symbolisch aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik ausgetreten. Er hoffe auf ein politisches und wirtschaftliches System, das auf Liebe basiere und das die Menschen mit Gottes Hilfe errichten würden. Zudem bezeichnet Haspel es als „wissenschaftliches Unding sondergleichen“, die Geschichtsschreibung der Zeit von 1933 bis 1950 nicht hinterfragen zu dürfen. Er sei überzeugt, „dass wir Deutschen einen großen Packen voll von teils massiven Lügen und Verzerrungen eingeimpft bekommen haben“. Britische und US-amerikanische Akten dazu seien nach wie vor geheim. Vieles werde vertuscht, vermutet Haspel.

Auch Jürgen Wagner, Gründer der Schenker-Bewegung und bekannter als Waldmensch Öff!-Öff!, hat in Bautzen seine Anhänger. Darunter ist der Naturarzt Uwe Wilhelm Haspel vom Bautzner Frieden.
Auch Jürgen Wagner, Gründer der Schenker-Bewegung und bekannter als Waldmensch Öff!-Öff!, hat in Bautzen seine Anhänger. Darunter ist der Naturarzt Uwe Wilhelm Haspel vom Bautzner Frieden. © Archivfoto: Matthias Weber

Und auch mit den Medien hat der Naturarzt seinen Frieden nicht gemacht. Die Berichte über den Terrorangriff vom 11. September sieht er als „Paradebeispiel des Versagens“. Denn die britische BBC habe bereits den Einsturz eines Hochhauses gemeldet, als das noch intakt gewesen sei. Die Aufzeichnungen davon seien aber verschwunden. „Und die Weltmedien schreien nicht auf, um diese Verschwörung aufzuklären. Sherlock Holmes würde einen Herzinfarkt bekommen ob solchen Unterlassens.“

So wird auch Haspel, der sich zur sogenannten Schenker-Bewegung des Waldmenschen „Öff! Öff!“ bekennt, weiter seinen Beitrag zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit leisten. Erst am Freitag vergangener Woche stand er für den Bautzner Frieden wieder auf der Bühne. Er moderierte eine Diskussion zum Thema: „Massenmedien in der demokratischen Gesellschaft. Anspruch und Realität journalistischer Arbeit.“

*In einer ersten Version hatten wir geschrieben: "Auf einer Friedensmahnwache in Bautzen im Mai 2014 sagt der Moderator, der bis heute Mitglied ist im Bautzner Frieden ...". Besagte Person hatte das selbst auf seinem Profil im Karriere-Netzwerk Linked-In  angegeben. Er ist aber nach nachträglicher Anfrage und eigenen Angaben "vor gut  zwei Jahren schweren Herzens aus dem Verein ausgetreten".

**In einer ersten Version hatten wir - beruhend auf der Literaturliste seiner Homepage - geschrieben, Herr Haspsel sei "Impfgegner". Er wünscht jedoch, lediglich als Impfskeptiker bezeichnet zu werden.

***In einer ersten Version hatten wir geschrieben, Herr Haspel wohne auf dem Lebensgut Pommritz. Er wohnt jedoch im gleichnamigen Weiler.