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Ist das Sport oder macht das krank?

Gerade jetzt, wo alle zu Hause bleiben sollen, ist E-Sport angesagter denn je. Ärzte und Wissenschaftler sind besorgt. Eine kritische Einordnung.

Von Tino Meyer
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Der Ball ruht, die Bundesliga aber spielt weiter – als organisiertes Computerspiel-Turnier.
Der Ball ruht, die Bundesliga aber spielt weiter – als organisiertes Computerspiel-Turnier. © Jan Huebner

Ein Virus im System, das ist der Alptraum der virtuellen Welt. Dann geht nichts mehr: totaler Programmabsturz. Es ist so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann. Ein gefürchtetes Szenario, das inmitten der Corona-Krise jetzt aber gerade der Sport erlebt – und von dem nun ausgerechnet der E-Sport, der elektronische Sport, profitiert.

Während der Spiel- und Trainingsbetrieb fast komplett ruht, sind Video- und Computerspiele gefragter denn je. Mit der geforderten sozialen Distanz hat die seit Jahren wachsende Branche, die mittlerweile Millionenumsätze generiert, überhaupt keine Probleme. „Wir eröffnen neue soziale Räume im Kampf gegen Isolation und bieten Ablenkung beim Zuhausebleiben“, sagt Hans Jagnow, Präsident des deutschen E-Sport-Verbandes ESBD in einem Gastbeitrag für die Sächsische Zeitung.

Die Bundesliga spielt virtuell weiter

Und Ralf Reichert, Geschäftsführer der Electronic Sports League ESL, einer der weltweit agierenden Branchenführer, geht noch weiter. „Unser Ansatz ist eher, den klassischen Sport in der Rolle, in der wir jetzt sind, zu umarmen und Möglichkeiten zu bieten, die digitale Welt zu verfolgen.“

Wie gut die Sache mit dem Umarmen unter Einhaltung der Kontaktsperre funktioniert, zeigte das vergangene Wochenende. Die Deutsche Fußball Liga lud zur „Bundesliga Home Challenge“– und 26 der 36 Profivereine nahmen an dem E-Sport-Turnier teil. Jeweils zwei Spieler pro Verein traten nacheinander an der Playstation gegeneinander an, live übertragen auf dem Youtube-Kanal der „Virtual Bundesliga“.

Stundenlang konnte man zusehen, wie sich Bundesliga-Profis aus dem echten Leben an der Spielkonsole duellieren. Dynamo Dresden mit Marco Terrazzino und Baris Atik war übrigens chancenlos gegen Eintracht Frankfurt, 0:4 und 2:4 endeten die zwei Partien. Vergleichbares bieten die Formel 1, Motorrad, Basketball. Und die Reihe lässt sich inzwischen beliebig fortsetzen. Es ist ein florierender Wirtschaftszweig, der sich hinter dem Begriff E-Sport verbirgt mit eigenen Turnieren, eigenen Stars. Ein Geschäftsmodell, das weit über den Sport hinausgeht und schnell auch bei Computerspielen wie Counterstrike und Fortnite landet, den ebenso beliebten wie umstrittenen sogenannten Ballerspielen.

Doch anderen zusehen ist eben nur das eine. Die E-Sport-Branche, deren olympische Ambitionen 2018 im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD verankert wurden, lebt vor allem auch vom Selbermachen – und mit reichlich Kritik. Eine Reihe führender deutschen Sportwissenschaftler, darunter Soziologen, Pädagogen und Psychologen, hat gemeinsam mit Sportmedizinern vor gut einem halben Jahr eine umfassende Stellungnahme veröffentlicht und sich darin kategorisch festgelegt: E-Sport kann weder als Sport bezeichnet noch als Sportart anerkannt werden.

Sportärzten geht es um die Gesundheit

Im Wesentlichen zwei Punkte werden für diese grundlegende Ablehnung angeführt: Zum einen sei die Bedienung des Eingabegeräts nicht der für eine Sportart notwendige Selbstzweck der Betätigung, sondern lediglich Mittel zum Zweck. Nämlich um eine Figur auf dem Bildschirm zu bewegen. Vergleichbar sei dies mit einem Pianisten, der, so heißt es in der Stellungnahme, „ja auch nicht zeigen möchte, wie virtuos und koordinativ anspruchsvoll er die Tasten seines Flügels bedienen kann, sondern die Motorik ist auch hier nur Mittel zum Zweck, Klänge und Melodien zu erzeugen“.

Zum anderen verweisen die Experten auf jene kommerziell am erfolgreichsten und die Wettkampfszene im E-Sport dominierenden Spiele, in denen es um die Simulation von Töten, Zerstören und Erobern geht. Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat sich gegen eine Anerkennung des E-Sports ausgesprochen und auch gegen die Bezeichnung. Beim DOSB spricht man stattdessen von E-Gaming und virtuellen Sportarten.

Begrifflichkeiten sind das, die Sportärzte wenig interessieren. Ihnen geht es um Grundsätzliches, um die Gesundheit. Gerade in Zeiten von Digitalisierung und einem zunehmend sitzenden Lebensstil nehme der Sport für die Erhaltung körperlicher Leistungsfähigkeit eine immer wichtigere Funktion ein. „Wettkampfmäßige Video- und Computerspiele wirken jedoch den positiven gesundheitlichen Effekten des Sports entgegen: Sie sind auf die Bewegung der Finger beschränkt und fördern die allgemeine Bewegungsarmut durch das Sitzen vor den Bildschirmen“, heißt es in der Stellungnahme, die auch der Dresdner Sportarzt Dr. Axel Klein unterzeichnet hat. Mit Sorge beobachtet er die Entwicklung. „Für eine kurze Zeit mögen Computerspiele eine Ablenkung sein, aber auf lange Sicht sehe ich das in Bezug auf die kindliche Entwicklung angesichts der ohnehin festgestellten Bewegungsarmut sehr kritisch“, sagt Klein, zugleich Vorsitzender des Sächsischen Sportärztebundes.

Ob es sich zu Hause um Fernsehen oder Videospiele handelt, spielt laut Klein nur eine untergeordnete Rolle. Sitzen ist sitzen. Und doch macht er einen Unterschied. Schnelle Bildschnitte, massives Flimmern, dazu die beim Zocken erhöhte Herzfrequenz, der Adrenalin-Anstieg im Körper und vermehrte Stressreaktionen – gesundheitsfördernd sei das nicht. „Computerspiele bergen ein hohes Suchtpotenzial, was dazu geführt hat, dass die WHO im Juni 2018 Computerspielsucht als offizielle Krankheit eingestuft hat“, sagt Klein.

Kein Vergleich mit analoger Welt

Dass es sich in diesen Corona-Tagen mit Kontaktsperre und Schulausfall um eine Ausnahmesituation handelt, sei unbestritten. Umso mehr sieht Klein die Eltern gefordert, Bewegungsangebote für Kinder zu schaffen. Als Grundregel gelte dabei, dass körperliche Bewegung mindestens etwa in gleicher Menge stattfinden sollte wie die Zeit vor dem Bildschirm.

Der These, E-Sport könne an sportliche Aktivitäten im echten Leben heranführen, widersprechen Klein und seine Kollegen: „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Kinder und Jugendliche, die ihr Können an der Konsole oder am PC zeigen und darüber Anerkennung erfahren, plötzlich in die analoge Version der jeweiligen Sportart wechseln, zumal beide Tätigkeiten hinsichtlich der motorischen Anforderungen nichts miteinander gemein haben.“ Die Analogie liege allein darin, dass in den Spielen sportliche Handlungen simuliert werden. Den Bewegungsmangel verursachen Sportsimulationen aber genauso wie alle übrigen Spiele. Fakt ist: Das Virus wird irgendwann gehen, die Debatte aber bleiben. 

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