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Ist die Corona-Pandemie jetzt vorbei, Frau Köpping?

Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) spricht im Interview über zwei Jahre Corona-Pandemie und was den Freistaat im Herbst erwartet.

Von Andrea Schawe
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Petra Köpping, 63, ist seit 2019 Ministerin für Soziales, Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Sachsen.
Petra Köpping, 63, ist seit 2019 Ministerin für Soziales, Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Sachsen. ©  dpa/Matthias Rietschel

Dresden. Sachsen hat die zuletzt gültigen Corona-Regeln bis 18. Juni verlängert. Damit gelten die bisherigen Basisschutzmaßnahmen mit den Test- und Maskenpflichten weiterhin. Den Wegfall aller Maßnahmen auch in den Pflegeheimen könne sich Sachsen nach wie vor nicht leisten, sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD).

Im Juni will die Regierung darüber beraten, ob die Verordnung erneut verlängert wird. Auch auf den Herbst müsse sich Sachsen vorbereiten. Wegen der niedrigen Impfquote könnte es wieder viele Todesfälle geben.

Frau Köpping, die Inzidenz in Sachsen sinkt und liegt mittlerweile bei 136,9. Es gibt zwar noch Neuinfektionen, aber es werden nur sehr wenige Menschen in den Krankenhäusern behandelt. Ist die Pandemie vorbei?

Ich würde sagen, die Pandemie macht erwartungsgemäß eine Sommerpause. Durch das warme Wetter findet viel mehr draußen statt. Aber sie ist nicht vorbei. Wir müssen in Sachsen nach wie vor wahnsinnig aufmerksam bleiben. Das hängt natürlich mit unserer geringen Impfquote zusammen, die immer noch die niedrigste bundesweit ist. Deswegen sind auch die Aussichten für den Herbst nicht so optimistisch wie in Bremen oder Schleswig-Holstein. Diese Länder haben sehr hohe Impfquoten.

Das Infektionsschutzgesetz wurde vor allem auf Druck der FDP geändert. War es angesichts der sinkenden Zahlen richtig, fast alle Corona-Maßnahmen zu beenden?

Ich glaube, wir hätten die Inzidenz schneller senken können, wenn wir doch ein paar Maßnahmen mehr hätten ergreifen können. Davon bin ich überzeugt. Wir haben in unseren Modellierungen oft gesehen, dass stärkere Maßnahmen die Pandemie zwar nicht verhindern können. Aber man kann das Ansteigen der Kurve etwas abflachen und vor allem das Absinken beschleunigen. Insofern glaube ich, dass die Maßnahmen, die wir getroffen haben, dazu geführt haben, dass die Zahl der Infektionen so langsam gesunken ist.

Nun gelten immer noch Test- und Maskenpflichten in medizinischen Einrichtungen, Pflegeheimen und im Nahverkehr. Kommen wir damit über den Sommer?

Weil die Infektionen zurückgehen, eine Covid-Erkrankung meist nicht schwer verläuft und die Krankenhäuser nicht mehr überlastet sind, konnten wir immer mehr Einschränkungen zurücknehmen und werden so gut über den Sommer kommen. Die Maßnahmen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sind weiter wichtig, weil es vor allem um den Schutz der älteren Bevölkerung geht. Im Herbst wird es wieder schwierig. Wir werden in Sachsen auch noch mal eine kleinere Kampagne fahren, um dafür zu werben, sich impfen zu lassen. Damit die Menschen schon jetzt beginnen und nicht erst im September oder Oktober, wenn wir wissen, dass es vielleicht eine neue Welle gibt.

Was plant Sachsen für den Herbst?

Der Bund arbeitet bis Mitte Juni daran, wie die Strategien für den Herbst aussehen sollen. Die würde ich gerne noch abwarten, ohne vorschnell selber Dinge herauszugeben. Wir warten zum Beispiel auch auf den angepassten Impfstoff. Dann könnten wir bei dieser Omikron-Variante, die ja sehr ansteckend ist, aber nicht zu so schweren Krankheitsverläufen führt, präventiv ein Stück mehr machen. Und wir werden die Bevölkerung wieder sensibilisieren, dass das Impfen die beste Möglichkeit ist, sich und andere zu schützen.

Ist das nicht ein bisschen spät?

Nein, ich glaube, dass die derzeit geltenden Maßnahmen über den Sommer richtig sind. Ich finde, dass der Bevölkerung in der Vergangenheit sehr viel zugemutet worden ist. Die Fülle an Regeln und Vorschriften, viele wussten gar nicht mehr, was nun gilt. Das ging einher mit Bewegungseinschränkungen, mit Kontaktbeschränkungen und Versammlungsverboten. Das sind wirklich starke Eingriffe in den Alltag, die persönlichen Freiheiten und die Grundrechte.

Wenn ich an die Kunst, Kultur und den Sport denke, an all diese Dinge, die wir zum Zusammenleben brauchen und die weggefallen sind. Viele hatten es sehr schwer in dieser Zeit. Ich denke an Eltern – und noch mal besonders die Alleinerziehenden bei gleichzeitigem Homeoffice und Homeschooling. Oder die Kinder, die kaum soziale Kontakte hatten. Oder die Beschäftigten der Kliniken, die trotz eigener Betroffenheit von der Pandemie um das Leben der Patienten kämpfte. Viele Gastronomen, Handwerker, Einzelhändler und andere Unternehmen, fast die gesamte Wirtschaft, kämpfte ums Überleben. Ja, es ging mitunter um die Existenz.

Aber die Regeln, die wir in Sachsen erlassen haben, waren ja keine sächsischen Regeln. Das waren Maßnahmen, die bundesweit und weltweit ergriffen worden sind, weil sie nötig waren zum Schutz der Menschen. Und da will ich der Bevölkerung auch ein großes Dankeschön dafür aussprechen, dass Sie diese Maßnahmen größtenteils mitgetragen hat.

Nach zwei Jahren Pandemie-Politik: Würden Sie das heute alles noch genauso machen?

Wir haben ganz viel gelernt während der Pandemie. Ich kann mich noch an die erste Phase erinnern, in der wir alle sehr, sehr ängstlich waren. Ich sag’s ganz ehrlich: Als ich das erste Mal aus China gehört habe, dass sie ganze Städte abriegeln, habe ich gedacht: Das geht in Deutschland nie. Haben wir ja auch nicht gemacht. Aber wir haben Schulen geschlossen. Das hätte ich auch nicht für möglich gehalten. Damit würde man heute anders umgehen. Wir haben heute auch Möglichkeiten, die wir damals nicht hatten: Testen, Masken tragen, Impfen. Sie erinnern sich, wir hatten am Anfang nicht mal ausreichend Masken für Pflege- oder medizinisches Personal. Das ist heute einfach anders.

Was war Ihr größter Fehler?

Fehler würde ich nicht sagen. Es gab aber Maßnahmen, die mir unheimlich schwer gefallen sind. Die Besuchsverbote in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Ich kann mich an Leipzig erinnern, dort konnte der Vater des Kindes nicht bei der Geburt dabei sein. Die Maßnahmen waren hart, aber sie waren nötig, weil so viele Menschen in Sachsen gestorben sind. Und es gibt mittlerweile Studien, die ganz klar sagen, wenn wir das oder das nicht gemacht hätten, wären es noch mehr Tote gewesen.

Es gibt immer noch täglich in Sachsen zehn Tote. Wie ist da Ihr Ausblick in den Herbst?

Wir haben eine Impfquote von 65 Prozent. Es gibt auch noch einen relativ großen Anteil von über 60-Jährigen, die nicht geimpft sind. Das sind oft Menschen, die mehrere Erkrankungen haben. Sie können auch die Immunität nicht so stark aufbauen, selbst wenn sie geimpft sind. Das ist eine Gefahr, die ich sehe. Das kann im Herbst dazu führen, dass in Sachsen wieder mehr Menschen als in anderen Bundesländern sterben.

Was mich optimistisch stimmt, ist, dass ich weltweit noch kein Beispiel kenne, wo sich die Varianten Delta und Omikron gemischt haben – also Gefährlichkeit plus Schnelligkeit in einer Variante vereint sind. Aber wir müssen uns vorbereiten, weil wir diese geringe Impfquote haben. Ich kann der Bevölkerung nur immer wieder sagen, ja, keine Impfung schützt hundertprozentig und es gibt auch Nebenwirkungen. Aber das, was wir erleben mit mehr als 15.000 Verstorbenen, das ist eben die andere Seite.

Müssen die Alten- und Pflegeheime wieder mit Einschränkungen rechnen?

In den Alten- und Pflegeheimen und medizinischen Einrichtungen sind die Menschen, die sich nicht schützen können. Eine ältere Dame in einem Pflegeheim hat mir gesagt, sie würde sich so wünschen, dass alles Pflegepersonal geimpft ist, weil sie sich nicht schützen kann. Sie war geimpft, aber sie hat mit über 90 Jahren nicht mehr die Abwehrmechanismen wie ein jüngerer Mensch. Insofern wird es für die Pflegeeinrichtungen und die Krankenhäuser besondere Maßnahmen geben müssen. Bei jeder Operation, unabhängig von Corona, gilt doch schon sowieso eine Maskenpflicht, ebenso wenn man bestimmte Bereiche in Krankenhäusern betritt, in denen eine hohe Infektionsgefahr herrscht.

Seit März gibt es für diesen Bereich auch eine Impfpflicht. Wie ist Ihr Fazit zur Anzahl an ungeimpften Mitarbeitern in Sachsen?

Wir rechnen zurzeit noch, ein Landkreis hat noch keine Zahlen gemeldet. Wir gehen momentan von circa zehn Prozent aus, die nicht geimpft sind. Die Zahl kann sich auch noch einmal ändern, weil sich noch Menschen infizieren. Das ist schon eine relativ hohe Zahl, aber weniger, als wir ursprünglich dachten. Wir sind mal von fast 30 Prozent ausgegangen. Aber es bedeutet eben nach wie vor, dass die Versorgungssicherheit die oberste Priorität hat. Allerdings immer mit der Einschränkung, dass man sich um Menschen kümmert, die sich selber eben nicht schützen können. Insofern appelliere ich hier noch einmal, wirklich die Impfstoffe zu nutzen – es gibt zum Glück ja bereits verschiedene Arten von mRNA-Vakzinen bis Totimpfstoffen.

Nun gibt es seit ein paar Tagen die ersten Fälle von Affenpocken in Deutschland. Kommt da die nächste Pandemie auf Sachsen zu?

Eins kann ich sagen: Nach allem, was ich an Informationen vom Bundesministerium kenne, werden die Pocken keine Pandemie. Das Zweite ist aber, dass man keine Virusinfektionen unterschätzen darf. Deswegen ist es wichtig, dass der Bund Quarantäne-Regeln festlegt, weil es eine Ansteckungsgefahr gibt. Aber man ist noch auf der Suche, wie die Übertragung erfolgt. Erst ging man von Sexualkontakten aus, jetzt gibt es auch Beispiele, wo die Übertragung anders abgelaufen ist.

Eine gute Nachricht ist, dass die Menschen, die eine Pockenimpfung haben, etwas besser geschützt sein könnten. Ich spreche im Konjunktiv, weil alles noch wissenschaftlich geprüft wird. Wir werden sehen, wo das hingeht. In Mitteldeutschland gibt es den ersten Fall, in ganz Deutschland gibt es zwölf Fälle und weltweit über 200. Von einer Pandemie gehe ich nicht aus, aber wir sollten vorsichtig bleiben.