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„Geht’s Ihnen denn wirklich so schlecht?“: Wie ich mit Long Covid alleingelassen wurde

Jung, sportlich – und dauerkrank: Long Covid hat unserer Autorin nicht nur ihr altes Leben genommen, sondern auch ihr Vertrauen in Ärzte. Monatelang musste sie um Hilfe kämpfen.

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Weltweit leiden einer Studie zufolge rund 65 Millionen Menschen unter den Folgen einer Covid-19-Infektion.
Weltweit leiden einer Studie zufolge rund 65 Millionen Menschen unter den Folgen einer Covid-19-Infektion. ©  Pixabay (Symbolfoto)

Von Tanja Kunesch

Es ist Dezember 2022, ich sitze im Behandlungszimmer meines Hausarztes und frage: „Finden Sie es nicht komisch, dass eine gesunde, sportliche Person seit bald fünf Wochen im Bett liegt?“ Seit mehr als einem Monat geht es mir so schlecht, dass ich kaum meine Wohnung verlasse. „Das wird schon wieder“, höre ich meinen Arzt zum dritten Mal in dieser Sitzung sagen. Ein Blutbild will er immer noch nicht machen. Nur zu einem Lungen-CT hat er mich vor Wochen geschickt, weil ich so stark gehustet habe.

Kurz vor Weihnachten ruft er an. „Das CT sieht gut aus, alles prima. Machen Sie sich keine Sorgen, schöne Feiertage und alles Gute.“ Ich fasse es nicht. Kurz bevor er auflegt, zwänge ich dazwischen: „Ich liege aber immer noch flach.“ Stille. Ich solle im neuen Jahr wiederkommen, sagt er schließlich.

Fünf Monate sind seither vergangen. Und seit vier Monaten weiß ich, warum ich nicht gesund werde: Ich habe Long Covid.

Eine Million Betroffene in Deutschland

Weltweit leiden einer Studie der Fachzeitschrift „Nature Reviews Microbiology“ zufolge rund 65 Millionen Menschen unter den Folgen einer Covid-19-Infektion. Das heißt, Symptome wie schwere Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen halten mindestens vier Wochen nach der Infektion an, bei einigen über Jahre. Viele Betroffene sind in ihrem Alltag stark eingeschränkt. Laut einer Studie aus den Niederlanden, die vergangenes Jahr das Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte, erkranken 12,7 Prozent der Corona-Infizierten an Long Covid. In Deutschland geht man von etwa einer Million Betroffenen aus, wie die Tagesschau berichtet. Eine davon bin ich.

Therapien oder Medikamente, die helfen könnten, gibt es noch nicht. Und oft auch keine professionelle Hilfe. Es fehlen Anlaufstellen und Ärzt:innen, an die sich Betroffene wenden können.

Was ist Long Covid?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Long Covid als gesundheitliche Beschwerden, die vier bis zwölf Wochen nach einer Corona-Infektion anhalten und nicht anders zu erklären sind. Bleiben sie auch nach drei Monaten bestehen, spricht man vom Post-Covid-19-Syndrom. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe oft synonym verwendet.


Für mehr Aufklärung und bessere Versorgung setzt sich die Initiative Long Covid Deutschland ein. Sie listet 93 Long-Covid-Ambulanzen in der gesamten Bundesrepublik. Zu wenig, wie Martin Walter, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Universität Jena, vorrechnet. Rund 3000 Patient:innen seien in seiner Ambulanz seit 2020 behandelt worden, erklärt Walter, der auch den 2021 vom Bundesgesundheitsministerium gegründeten „Ärzte- und Ärztinnenverband Long Covid“ leitet. 93 Ambulanzen können insgesamt 280.000 Betroffene versorgen. „Das ist nicht mal ein Drittel aller Fälle.“

Deutschland hat also ein Problem. Eine neue und komplexe Erkrankung betrifft mehr als 1,2 Prozent der Bevölkerung – und weil die allermeisten Ärzt:innen nicht wissen, wie sie Long Covid behandeln sollen, sind diese Patient:innen oft allein damit. Warum ist das so? Wie kann sich das ändern? Oder muss ich jetzt damit leben? Für immer?

Ein Kratzen im Hals, alle Corona-Tests negativ

Anfangs kratzte es nur ein bisschen im Hals. Ich kam im November 2022 erholt aus dem Urlaub und hielt die eisige Klimaanlage im Flugzeug für die Übeltäterin. Bestimmt nur eine Erkältung. Zwei Tage später hustete ich ununterbrochen und kam kaum noch aus dem Bett. Alle Corona-Tests waren negativ. Ich war erleichtert. Nochmal wollte ich die Zeit meiner Corona-Infektion im Juni zuvor nicht durchmachen. Danach war ich zwei Monate kaum belastbar gewesen und immer wieder krank geworden. Aber ich konnte normal weiterleben.

Normal, das bedeutet für mich: Im stürmischen Regen 20 Kilometer radeln, um einen Kaffee mit jemandem zu trinken. Oder im Sommer jede freie Minute auf einem Beachvolleyballfeld stehen, trainieren und in die Natur fahren, am besten auf einen Berg oder ans Meer. Vielleicht ist meine Fitness auch ein Grund, wieso mein Arzt zunächst nur ein Hustenvirus vermutet.

Doch es wird nicht besser. Der Husten lässt zwar nach, dafür bin ich in den Wochen vor Weihnachten immer erschöpfter. Mir fehlt oft die Energie, vor drei Uhr nachmittags aufzustehen, ich beantworte kaum noch Nachrichten und verlasse nur selten die Wohnung. Ich, die sonst noch um 23 Uhr joggen geht, um mich auszupowern. An Arbeiten ist nicht zu denken.

Irgendwie schleppe ich mich Mitte Dezember zu meinen Eltern nach Bayern aufs Land. Meine frühere Arztpraxis dort nimmt mir endlich Blut ab. In Berlin wollte mich vor Jahresende keine Praxis mehr aufnehmen.

„Vielleicht müssen wir in Richtung Long Covid denken“, sagt die Ärztin. Ich schlucke. Meine Ohren werden heiß, mein Herz klopft gegen meine Rippen. Es könne sein, dass mein Immunsystem durch die Corona-Infektion „einen Knacks“ bekommen hat, sagt sie. Weil ich nie vollständig genesen bin, habe das Virus im November dann Long Covid ausgelöst. Die Ärztin will mir helfen, weiß aber nicht, wie. Ich solle mich an Fachärzt:innen wenden, an Long-Covid-Ambulanzen wie die der Charité in Berlin.

Zurück bei meinen Eltern breche ich zusammen und weine. Das war’s dann mit meinem bisherigen Leben, denke ich. Kein Beachvolleyball mehr, bloß nicht überlasten – wer weiß, vielleicht nicht mal mehr arbeiten. Wieso trifft es mich? Ich bin 32 Jahre alt, gesund, sportlich. Was habe ich falsch gemacht?

Bei der Charité geht nur das Band ran

Irgendwann beschließe ich, dass es keine Option ist, nicht wieder zu genesen. Ich fülle den Screening-Fragebogen für die Long-Covid-Ambulanz der Charité aus. Meine Beschwerden markiere ich als „Ja, stark“, die höchste Stufe, und schicke die Antworten mit einem Mausklick ab.

Schnell kommt die Rückmeldung. Per Post. Bis Ende Juni seien sie ausgebucht. Es ist Anfang Januar. Sollte ich im Mai noch Beschwerden haben, könne ich den Bogen noch einmal schicken. Keine Warteliste, kein:e Ansprechpartner:in. Ungläubig starre ich auf das Schreiben. Ich versuche, in der Ambulanz anzurufen. Eine Bandansage: Wegen erhöhter Nachfrage könne man leider keine Anrufe persönlich entgegennehmen. Ich muss laut lachen, so absurd finde ich das.

„Wir können nicht einfach unsere Kapazitäten verdreifachen und aus dem Stand neues Personal einstellen“, sagt Carmen Scheibenbogen. Die Immunologin leitet das Fatigue-Zentrum der Charité und forscht unter anderem zu Therapieansätzen für Long Covid. Sie spricht von einer Versorgungsnot. „Long-Covid-Betroffene brauchen viele zusätzliche Untersuchungen.“ Für jeden Patienten und jede Patientin bekämen Ärzt:innen jedoch einen einheitlichen Tarif, der die Kosten nicht decken kann.