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Wenn der Panzer zum Löschen kommt

Die Munitionsräumung in der Dippser Heide läuft trotz Corona weiter. Aber was passiert, wenn es zwischendurch brennt?

Von Jörg Stock
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So könnte die Rettung für die Dippoldiswalder Heide im Falle eines Brandes aussehen: Löschpanzer der Firma Dibuka aus der Altmark operieren mit Vorliebe in munitionsverseuchten Gebieten.
So könnte die Rettung für die Dippoldiswalder Heide im Falle eines Brandes aussehen: Löschpanzer der Firma Dibuka aus der Altmark operieren mit Vorliebe in munitionsverseuchten Gebieten. © Dibuka

Man muss den Blick für das Feuer haben, sagt Hans-Joachim Schulz. Damit meint der Chef der Firma Dibuka aus Seehausen in der Altmark, dass man sein Löschwasser mit Sinn und Verstand einsetzen muss. Aber auch, dass man nahe genug dran sein sollte. Wasserabwurf vom Hubschrauber gut und schön. "Aber ein Waldbrand muss von unten behandelt werden."

Und dafür hält die Firma Dibuka, das Kürzel steht für Dienstleistungen im Brand- und Katastrophenschutzfall, sehr spezielle Fahrzeuge bereit: Löschpanzer. Die Geräte vom Typ Spot 55 besitzen Fahrwerke des sowjetischen Kampfpanzers T 55 und wiegen bis zu 45 Tonnen. Mit ihren Wasserkanonen dringen sie in Gebiete vor, wo keine Feuerwehr hinkommt, oder hin darf - in Gebiete, wo alte Munition lauert.

Die Dippoldiswalder Heide ist so ein Gebiet. Seit 2013 lässt der Freistaat hier Munition aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit suchen und unschädlich machen. Die Menge der Funde hat alle Erwartungen übertroffen. Wie das Polizeiverwaltungsamt mitteilt, sind bislang circa neunzig Tonnen Munition und Waffen im "Eisernen Wald" aufgetaucht.

So fing es an mit der Munitionsräumung in der Dippser Heide: Entschärfung von 11 US-Fliegerbomben im November 2013, hier im Bild Sachsens damaliger Chef-Entschärfer Thomas Lange.
So fing es an mit der Munitionsräumung in der Dippser Heide: Entschärfung von 11 US-Fliegerbomben im November 2013, hier im Bild Sachsens damaliger Chef-Entschärfer Thomas Lange. © Archiv: Jörn Haufe

Die Ausbeute des laufenden Jahres war mit etwa einer Tonne vergleichsweise gering. Vor fünf Jahren waren es noch beinahe elf. Das mag damit zusammenhängen, dass die Suche im Januar und Februar dieses Jahres ruhte. Um die Kampfmittelzerlege-Einrichtung in Zeithain, die coronabedingt auf Sparflamme lief, nicht zu überlasten, waren Räumstellen in ganz Sachsen geschlossen worden.

Düsenschläuche als Riegel gegen das Feuer

Einfluss auf die Fundmenge hat vermutlich auch das beackerte Terrain gehabt. Nicht im tiefen Wald, sondern in den Randbereichen der Heide, nahe den Siedlungen, waren die Räumarbeiter - im Schnitt zehn Mann plus zwei Truppführer - dieses Jahr zugange. Grund dafür ist die Sorge, was passiert, wenn es brennt.

André Mauermeister, der Referatsleiter Kampfmittelbeseitigungsdienst, hatte Ende 2020 im SZ-Interview unmissverständlich die Gefährdungslage beschrieben. Im Falle einer "offenen Stahlsprengung", als solche sei die Explosion eines Geschosses anzusehen, seien tausend Meter Sicherheitsabstand einzuhalten.

Sprengung einer Fliegerbombe in der Heide im Sommer 2014. Die Bombe war für eine reguläre Entschärfung zu sehr verrottet.
Sprengung einer Fliegerbombe in der Heide im Sommer 2014. Die Bombe war für eine reguläre Entschärfung zu sehr verrottet. © Archiv: Karl-Ludwig Oberthür

In einem solchen Sperrkreis befänden sich, je nach Lage, Teile der Rabenauer Ortschaften Oelsa und Karsdorf sowie von Dippoldiswalde. Das Fatale: Auch die Feuerwehr müsste Abstand wahren und dürfte nicht zur Brandstelle vorrücken. Da helfe nur, sagte Mauermeister, ein schnelles, präventives Konzept zur Räumung, "bevor der nächste Waldbrand kommt".

Für die Defensive, also die Errichtung von Abwehrstellungen gegen den Brand, gibt es Möglichkeiten. Thomas Paul, Bürgermeister von Rabenau und selbst Feuerwehrmann, nennt Düsenschläuche und Kreisregner, die ähnlich funktionierten wie automatische Bewässerungsanlagen in der Landwirtschaft. Diese könnten in der Bewegungsrichtung des Feuers aufgebaut werden. Man arbeite an der Beschaffung.

Für den Brandfall ist vorgesehen, dass die Feuerwehren zunächst an einem sicheren Punkt warten, bis feststeht, ob der Brand in einem beräumten oder nicht beräumten Gebiet liegt. Laut Einsatzplan soll dabei ein Hubschrauber der Polizei helfen sowie eine Drohne des Dippser THW.

Seit acht Jahren ein vertrautes Bild in der Dippser Heide: Arbeiter der Firma Heinrich Hirdes Kampfmittelräumung scannen jeden Zentimeter Waldboden.
Seit acht Jahren ein vertrautes Bild in der Dippser Heide: Arbeiter der Firma Heinrich Hirdes Kampfmittelräumung scannen jeden Zentimeter Waldboden. © Oberthür

Brennt es in einem brisanten Bereich in Siedlungsnähe, gäbe es keine Alternative, sagt Thomas Paul: Die Häuser müssten geräumt werden. Mitteilungen in den Medien und Lautsprecherdurchsagen würden die Menschen informieren, von denen man dann Unterstützung erhoffe. "Die Bürger sollen eigenständig reagieren und die Wohnung verlassen", sagt Paul, mit dem Nötigsten für die folgenden zwölf Stunden.

Ernstfall wurde bereits durchgespielt

Durchgespielt wurde das Szenario teilweise diesen Sommer. Bei der Übung "Rauch im Eisernen Wald", die Landkreis und Kommunen gemeinsam abhielten, wurde probeweise auch eine Unterstützungsanfrage an Dibuka geschickt, die Firma mit den Löschpanzern.

Ausgerückt sind die Kettenfahrzeuge damals nicht. Ein richtiger Vertrag sei auch noch nicht abgeschlossen, sagt Dibuka-Chef Hans-Joachim Schulz. Aber es gebe eine Vereinbarung. "Wir wissen voneinander." Die Zeit von der Alarmierung bis zum Eingreifen vor Ort setzt er mit etwa sechs Stunden an.

In einer versteckten Ecke der Heide werden nicht transportfähige Granaten regelmäßig in die Luft gejagt, hier im Sommer 2016. Dieses Jahr gab es nur eine Sprengung.
In einer versteckten Ecke der Heide werden nicht transportfähige Granaten regelmäßig in die Luft gejagt, hier im Sommer 2016. Dieses Jahr gab es nur eine Sprengung. © Egbert Kamprath

Die gepanzerte Löscheinheit rückt gewöhnlich mit zirka zehn Mann und zwei Panzern an, einem zum Löschen und einem zum Schlagen von Schneisen sowie zum Bergen des Löschpanzers, falls dieser liegen bleiben sollte. Außerdem bringt die Truppe alles mit, was sie zur Selbstversorgung braucht. "Wir sind komplett autark", sagt Schulz.

Mit seinen Panzern hat der Dibuka-Chef schon deutschlandweit geholfen, besonders in den sandigen Weiten des Ostens. Bekannte Beispiele sind die Großbrände 2018 bei Klausdorf nahe Treuenbrietzen und - ganz besonders - bei Lübtheen 2019, der als größter Flächenbrand in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns gilt. An beiden Orten befanden sich einst Truppenübungsplätze.

Die Dippser Heide diente in der DDR zumindest zeitweise als Aufenthalt sowjetischer Streitkräfte. Die Munition kam aber wohl schon bei Kriegsende in den Boden, als der Wald zur gigantischen Müllkippe für übrig gebliebene Kampfmittel gemacht wurde. Der mit Abstand größte Teil des Waldes gehört dem Freistaat.

Großfund vor Weihnachten 2020: In Sichtweite der Dippser Dächer wurden neunhundert Flak-Patronen sowie Mörser- und Panzergranaten ausgegraben.
Großfund vor Weihnachten 2020: In Sichtweite der Dippser Dächer wurden neunhundert Flak-Patronen sowie Mörser- und Panzergranaten ausgegraben. © Karl-Ludwig Oberthür

Sachsenforst, so sagt Sprecher Renke Coordes in Graupa, arrangiert sich mit der Lage. Auf den noch nicht untersuchten Flächen finde sicherheitshalber keine Waldbewirtschaftung statt, die zu Erschütterungen oder Erdbewegungen führen könnte. Revierleitung und Räumtrupps stünden in ständigem Kontakt.

Coordes räumt ein, dass im Brandfall wegen des Abstandsgebots ein "flächiger Waldverlust" nicht auszuschließen sei. Aber: "Die Sicherheit von Menschen - das schließt die Kameraden der Feuerwehr ein - hat oberste Priorität." Es seien mit der Feuerwehr Schneisen verabredet worden, die im Falle eines Feuers als Schutzriegel wirken könnten. Mehr sei vonseiten des Forsts nicht machbar.

Wie lange die Munitionsbergung noch dauert, weiß das Polizeiverwaltungsamt nicht zu sagen, da man nicht wisse, wie viele Kampfmittel sich noch im Boden befänden. Aktuell sind 55 Prozent der als belastet eingestuften Waldfläche abgesucht. Die bisherigen Kosten liegen laut Amt im oberen einstelligen Millionenbereich.