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Wissenschaftler antworten auf Facebook-Kommentare

Bei Thema Corona schäumen die Kommentarspalten von SZ Meißen, Radebeul, Riesa und Großenhain über. Jetzt antworten Wissenschaftler.

Von Marvin Graewert
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Viele Nutzer werden, sobald es ums Thema Corona geht, "faktenresistent". Aber sicherlich nicht alle.
Viele Nutzer werden, sobald es ums Thema Corona geht, "faktenresistent". Aber sicherlich nicht alle. © SZ-Montage

Unsere Redaktion freut sich über Feedback, Anregungen und konstruktive Kritik. Doch sobald sich ein Artikel ums Thema Corona dreht, schäumen die Kommentarspalten mit hasserfüllten Aussagen über. Dass sich dazwischen berechtigte Fragen von verunsicherten Lesern befinden, geht leider oft unter.

Genau solche Kommentare haben wir auf den Facebook-Seiten der SZ Meißen, Radebeul, Riesa und Großenhain herausgesucht, diese gebündelt, ein bisschen förmlicher umformuliert und an Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen geschickt. Das sind ihre Antworten.

Wieso können deutsche Krankenhäuser COVID-19-Patienten aus Italien, Rumänien und Frankreich aufnehmen, wo sie doch an der Kapazitätsgrenze sind?

"Solidarität wird in einer solchen Krise großgeschrieben – wir waren gut beraten, den Rumänen zu helfen, denn bald könnte es bei uns ähnlich schwierig werden", antwortet Michael Bauer, Chefarzt des Jena-Klinikums für Intensivmedizin. "Das 'Kleeblatt'-Steuergremium hat auch bewusst keine Patienten aus Rumänien nach Sachsen oder Thüringen zugewiesen, da zum Zeitpunkt des Hilfeersuchens hier in der Region die Belastung überproportional hoch ist."

Elblandklinik-Vorstand Rainer Zugehör ergänzte bei der Pressekonferenz am 10. November, dass entgegen der medialen Präsenz diese Fälle nur einen kleinen Anteil ausmachen würden.

Warum wurden dann in der schlimmsten Pandemie aller Zeiten so viele Betten abgebaut und Kliniken geschlossen?

"Betten wurden nicht 'abgebaut', sondern können aufgrund von Personalmangel nicht betrieben werden", fährt Bauer fort, der sich als Intensivmediziner nur für die Intensivstationen äußern kann. "Die Überlastungssituation, die aus der durch Impfskepsis weiter tobenden Pandemie resultiert, ist hier ein weiterer Treiber für Pflegepersonal, der Intensivmedizin den Rücken zu kehren."

Was soll eigentlich 2G bei diesen vermehrten Impfdurchbrüchen?

Am 18. November lag die Sieben-Tage-Inzidenz der nicht (vollständig) geimpften Sachsen bei 1.838,3, die ermittelte Inzidenz unter den Geimpften lag bei 47,5: "Allein das zeigt, dass es die Nicht-Geimpften sind, die im Moment ein besonderes Infektionsrisiko tragen", sagt Michael Albrecht, der medizinische Vorstand des Uni-Klinikums Dresden. "Etwa 20 Prozent dieser Infizierten werden später so einen schweren Krankheitsverlauf entwickeln, dass sie ins Krankenhaus müssen. Davon wird wieder ein gewisser Anteil so schwer betroffen sein, dass eine intensivmedizinische Versorgung unumgänglich wird." Deshalb sei es unverantwortlich, sich und andere nicht davor zu schützen.

Seit dem 20. November schlüsselt der Freistaat die Inzidenz nicht mehr zwischen Geimpften und Ungeimpften auf. Grund dafür seien die "extremen Fallzahlen und daraus folgenden Meldeverzögerungen". Im Landkreis Meißen gibt es diese Unterscheidung weiterhin für die Krankenhauseinlieferungen: Am Dienstag gab es 172 hospitalisierte Personen, die aufgrund von Corona behandelt werden, 23 sind geimpft und 149 ungeimpft, von den ITS-erfassten Personen sind vier geimpft und 40 ungeimpft.

Wenn die Geimpften mal getestet werden würden, könnte die Inzidenz nicht so hochkochen. Das sind doch die Treiber.

"Ganz grundsätzlich ist Fakt: Wenn alle impfberechtigen Personen in Deutschland geimpft wären, hätten wir nicht die Probleme, die wir aktuell haben! Die momentan vorliegenden Inzidenzen für sich alleine betrachtet, wären in einer Gesellschaft, die zu 100 Prozent geimpft wäre, kein so großes Problem wie jetzt, da der Schutz der Impfstoffe vor schwerer Erkrankung beziehungsweise Tod ausgezeichnet ist", sagt Ralf Bartenschlager, Leiter der Abteilung für Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg und Präsident der Gesellschaft für Virologie.

Problematisch werde es, wenn infizierte Personen in großer Anzahl und in kurzer Zeit in der Klinik behandelt werden müssen: "In Deutschland haben wir leider immer noch knapp 15 Millionen ungeimpfte Personen über 18 Jahre, wovon 3,4 Millionen zur Hochrisikogruppe der über 60-Jährigen gehören."

Ungeimpfte Personen beider Altersgruppen würden hauptsächlich in den Kliniken behandelt. "Es kann also nicht davon die Rede sein, dass Geimpfte die Pandemie treiben, denn die Folgen der Pandemie werden nicht durch die Infektion allein bestimmt, sondern durch die Folgen, die sie für die infizierte Person haben. Und die sind eindeutig für Ungeimpfte schwerwiegender als für geimpfte."

Bartenschlagers persönliche Einschätzung ist, dass 2G bei der momentanen Dynamik der Infektion leider nicht helfen werde, die vierte Welle schnell zu brechen, dafür sei der Anstieg zu steil: "Vermutlich wird es weitere Einschränkungen brauchen. 2G ist allerdings eine sehr gute Maßnahme, um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen."

Ich arbeite in der Pflege und alle die geimpft sind, stecken jetzt alle anderen an, komisch oder?

"Es ist unbestritten, dass geimpfte Personen sich anstecken, erkranken und das Virus weiterverbreiten können. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit dafür deutlich geringer als bei ungeimpften Personen. Zudem ist die Virusausscheidung bei Menschen, die trotz Impfung eine SARS-CoV-2-Infektion haben, kürzer als bei ungeimpften Personen - Geimpfte sind also kürzer ansteckend als Ungeimpfte", fährt Bartenschlager fort. "Für pflegebedürftige Menschen, die auf unseren Schutz angewiesen sind, bedeutet der Kontakt mit ungeimpften Pflegenden deshalb leider ein zusätzliches Risiko, denn sie erleiden aufgrund ihres Alters häufiger Impfdurchbrüche." Deshalb sei es wichtig, dass unter anderem in Kliniken und Pflegeeinrichtungen auch geimpfte Angestellte regelmäßig getestet würden. In vielen Klinken würde das schon so gehandhabt.

Schnelltests sind überhaupt nicht aussagekräftig, da diese auch bei Grippeviren anschlagen.

"Antigen-Schnelltests verwenden hochspezifische Antikörper. Es ist völlig ausgeschlossen, dass diese Tests auf Influenzaviren A/B („Grippeviren“) anschlagen. Eine Kreuzreaktion mit anderen Coronaviren, die in der Regel viel harmloser als das aktuelle Coronavirus SARS-CoV-2 sind, ist theoretisch denkbar und muss deshalb bei der Produktzulassung durch die Testbeschaffenheit ausgeschlossen werden", erklärt der Geschäftsführer vom Verband der Diagnostica-Industrie Martin Walger. "In der Regel ist die falsch-positiv Rate bei Antigen-Schnelltests deutlich unter zwei Prozent der positiven Ergebnisse." Ein positives Schnelltestergebnis sollte immer durch einen PCR-Test bestätigt werden.

Allerdings unterscheiden sich die Schnelltests auch sehr stark in der Qualität: Das Paul-Ehrlich-Institut hat insgesamt 122 COVID-19-Antigen-Schnelltests auf ihre Sensitivität untersucht. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Tests sehr stark in der Qualität unterscheiden: „96 Antigen-Schnelltests erfüllten die geforderten Kriterien teilweise mit sehr guten Ergebnissen, 26 Tests boten nicht die geforderte Sensitivität.“