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Stadtfestüberfall: Kann man Kronzeugen glauben?

Die langwierige Verhandlung gegen zwei Rechtsextreme wegen des Überfalls auf Ausländer beim Dresdner Stadtfest 2016 zieht sich weiter in die Länge.

Von Alexander Schneider
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Wie hier auf einer Hebebühne wachten Ordnungskräfte über das Stadtfest im August 2016. Kurz nach dem Anschlag in Nizza war die Angst vor islamistischem Terror groß. Den Schrecken verbreiteten in Dresden jedoch Rechtsextremisten.
Wie hier auf einer Hebebühne wachten Ordnungskräfte über das Stadtfest im August 2016. Kurz nach dem Anschlag in Nizza war die Angst vor islamistischem Terror groß. Den Schrecken verbreiteten in Dresden jedoch Rechtsextremisten. © Archiv: Christian Juppe

Dresden. Der Prozess um geplante Jagden auf Ausländer während des Dresdner Stadtfestes im August 2026 ist immer wieder für eine Überraschung gut. Schon seit September 2019 stehen zwei Rechtsextremisten vor dem Landgericht Dresden. Ihnen wird Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Sie sollen maßgeblich an den wahllosen Angriffen auf Flüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan beteiligt gewesen sein.

In der Nacht zum 21. August 2016 hatten bis zu 40 dunkel gekleidete und zum Teil vermummte Täter, ein Großteil ist bis heute unbekannt, Ausländer angegriffen und teilweise schwer verletzt. Die Überfallenen waren völlig überrascht worden, sie hatten den Abend bis dahin auf den Neustädter Elbwiesen genossen.

Der Prozess gegen die beiden Dresdner Christian L. (31) und Rene H. (34) war erst nach der Zeugenaussage eines Mittäters möglich geworden, der sich Ende 2018 an die Polizei gewandt hatte. Der ebenfalls 34-Jährige war erst im Frühjahr 2018 selbst wegen seiner Tatbeteiligung an diesen Überfällen in zweiter Instanz verurteilt worden. Ende Januar und Anfang Februar 2021 wurde der Kronzeuge in dem Prozess vernommen, wiederholte seine Aussage und belastete die beiden Angeklagten schwer.

Neue Beweisanträge

Die Kammer war davon ausgegangen, dass die Beweisaufnahme nach der späten Vernehmung des Kronzeugen, immerhin fast eineinhalb Jahre nach dem Beginn der Hauptverhandlung, langsam beendet werden könne. Mitte/Ende März sollte das der Fall sein. Doch die Verteidiger stellten mehrere Beweisanträge, um die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen nachhaltig anzugreifen. Die Kammer musste daher weitere Zeugen laden und so wurde auch das Gerichtsverfahren, das nach zwei Instanzen zur Verurteilung des Kronzeugen geführt hatte, aufgearbeitet.

Konkret ging es um drei Zeugen, die mit ihrer damaligen Aussage dem Kronzeugen ein Alibi verschafft hatten. Es handelte sich um die Lebensgefährtin des Kronzeugen und um ein befreundetes Pärchen. Sie alle hatten ausgesagt, sich am Abend des 20. August 2016, einem Sonnabend, kurz nach 23 Uhr getroffen und das Stadtfest gemeinsam verlassen zu haben. Über zwei Instanzen hielten sie durch – erst jetzt stellte sich das Zeitmanagement in der Befragung des befreundeten Pärchens anders heraus. Natürlich torpedieren die Verteidiger der jetzigen Angeklagten diese Aussage.

Wie glaubwürdig waren die Zeugen?

Jetzt musste die Richterin als Zeugin aussagen, die den Kronzeugen in dessen eigenen Prozess im Frühjahr 2017 am Amtsgericht Dresden verurteilt hatte. Sie berichtete, dass die sogenannten Alibizeugen wenig detailliert geschildert hätten, was sie am Stadtfest unternommen haben. Bestimmte Aussagen jedoch seien auffällig übereinstimmend gewesen. Etwa dass sie zwischen 17 und 18 Uhr mit der Straßenbahn in die Innenstadt gefahren seien, oder wann sie sich zum Gehen verabredet hätten. Steif und fest hatte das Pärchen behauptet, dass sie sicher gewesen seien, am Sonnabend das Stadtfest besucht zu haben, weil sie an jenem Abend das erste Mal seit langem „kindfrei“ gehabt hätten.

Interessanterweise wurden die gescheiterten Alibi-Zeugen nie für ihre Falschaussage in zwei Gerichtsverhandlungen belangt. Jetzt, nachdem der Kronzeuge, der in seinem eigenen Prozess seine Tatbeteiligung bestritten hatte, gegen L. und H. ausgesagt hatte, korrigierten auch die Zeugen ihre Angaben. Demnächst soll auch die Lebensgefährtin vor der Kammer vernommen werden.

Ob das die Aussage des Kronzeugen erschüttern kann? In diesem langen Prozess ist alles denkbar. Auch ein psychiatrischer Gutachter war zu einem Großteil der Verhandlung anwesend, um die Aussage des Kronzeugen zu begutachten.

Besorgnis der Befangenheit. Mal wieder.

Ruppig läuft die Beweisaufnahme auch in anderen Bereichen der Aufarbeitung des nächtlichen Geschehens. Als der Vorsitzende Richter Christian Linhardt an jenem Sitzungstag einem Beamten der Bereitschaftspolizei befragt, kassiert er wieder einen Befangenheitsantrag von L.s Verteidiger. Der Richter hatte versucht, dem Zeugen, der sich fast fünf Jahre nach dem Stadtfest, an dem er mit seiner Einheit an mehreren Nächten im Einsatz gewesen war, nicht mehr präzise an jeden einzelnen Einsatz erinnern konnte, eine Brücke zu bauen. Es ging um die Frage, in welcher Nacht und zu welcher Uhrzeit der Uniformierte es mit welchen Verdächtigen zu tun gehabt hatte.

Der Richter habe dem Beamten eine Suggestivfrage gestellt, das sei manipulativ und voreingenommen mit dem Ziel, dass die Uhrzeiten so zusammenpassen sollen, wie es das Gericht wünsche, argumentierte der Anwalt seine Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden. Die Folge war eine fünfstündige Unterbrechung.

Am Nachmittag ließ sich dann die nachvollziehbare Unschärfe des Zeugen anhand der Akten schnell aufklären. Die Einsätze sind ja alle dokumentiert - insofern konnte diese Zeugenbefragung, der Mann hatte nun das dritte Mal in dieser Hauptverhandlung im Zeugenstand gesessen, die Angeklagten wohl auch im Ansatz nicht entlasten.

Längst hat das Gericht weitere Verhandlungstage terminiert. Im Moment sind noch neun Sitzungstage bis zum 9. Juni geplant.

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