Eine Nacht, drei Schlösser, 1.000 Möglichkeiten - So war die Schlössernacht in Dresden
Dresden. "Dresden, meine Perle, ich liebe es", röhrt Julia Neigel mit ihrer markanten rauen Stimme ins Mikrofon, kaum dass ihr zweites Set auf der Ostterrasse von Schloss Albrechtsberg begonnen hat. Im grünen Pailletten-Overall singt die mehrfach ausgezeichnete Sängerin, die viele hier noch als Jule Neigel kennen, von Sehnsucht und Freiheit. Ihr Publikum auf den Stuhlreihen vor der Bühne trifft sie damit direkt am Nostalgienerv. Das ist Schlössernacht. Oder besser: Das ist eine Variante von Schlössernacht. Eine von 1.000.
Denn nur ein paar Meter weiter, die Stufen runter zur Südseite des Schlosses, geht Schlössernacht so: Ein deutlich jüngeres Publikum feiert hier bis zwei Uhr morgens abwechselnd zu DJ Speedy House und der Dresdner Band Manina. Stillsitzen? Unmöglich. Tanzen! Oder noch einen Wein holen oder einen Flammkuchen. Vielleicht mal beim Türsteher probieren, ob man nicht doch mit den anderen Stilettos zur VIP-Party ins Schloss darf? Darf man nicht. Dann eben noch ein Wein.
Ein Tribut an Queen und den Swing bei der Schlössernacht in Dresden
Wein? Bei einem Rockfestival trinkt man keinen Wein. Und am Schweizer Haus wähnt man sich zu den Klängen der Queen-Tribute-Band MerQury bei einem solchen. Am Stand links holt man sich noch ein Bier, von rechts duften Baumstriezel, warum auch nicht. Und erst, wenn der Brite Jody Cooper in Freddy Mercurys Königsrobe zum - pardon - krönenden Abschluss auf die Bühne tritt, erinnert man sich vage, dass es hier irgendwo auch Schlösser geben muss.
Viel Wasser statt Alkoholischem ist dagegen am benachbarten Kavaliershaus gefragt, zumindest für die Swingtänzerinnen und -tänzer der Dresden Hepcats, die trotz Hitze fast den ganzen Abend mit Lindy Hop und Charleston das Publikum begeistern. Immerhin wurde vor der Bühne, die abwechselnd Marc Hartmann mit seinem 18-köpfigen Tanzorchester und Fräulein Clara allein bespielen, extra Tanzparkett verlegt. Eine Stimmung wie an einem entspannten Dixieland-Nachmittag im Grünen. Auch hier sind die Schlösser - nicht nur geografisch - vergleichsweise weit weg.
Projektionen auf Schloss Albrechtsberg begeistern
Nicht so am Römischen Bad, wo Tom Roeder mehrfach am Abend zum "ganz, ganz großen Zirkus" lädt. Das baufällige Wasserbecken wird hier zur Manege, das "Universal Druckluft Orchester" - ein Ein-Mann-Orchester auf Rädern - sorgt für die nötige Zirkusmusik. Nur für die Darsteller wünscht man sich angesichts der basslastigen Beschallung vom Schloss oberhalb Mikrofone.
Ohnehin stiehlt Schloss Albrechtsberg den Künstlern hier ein wenig die Show. Wie es wunderbar rot-pink beleuchtet über dem knallroten Römischen Bad thront, während die untergehende Sonne den Himmel in ein immer tieferes Blau färbt, dürfte eines der meist fotografierten Motive der Schlössernacht sein.
Übertrumpft nur von seiner eigenen Nordseite, hier, wo traditionell die Projektionen von Rico Meier auf die Fassade Tausende begeistern, so auch an diesem Abend. Die Standbilder - ein stolzer Lipizzaner, der Vollmond oder eine Frau im riesigen roten schwingenden Rock - weichen einer Show, in der Hirsch, Wolf und Bär die Hauptakteure sind und vor einer unsichtbaren Gefahr davonlaufen. Die, das wird spätestens am Ende klar, als die blaue Erdkugel auftaucht, wir selbst sind. Wir haben nur eine Erde, so die Botschaft von Meiers Show. Lasst uns in Frieden auf ihr leben.
Feuerwerk zur Schlössernacht in Dresden nur vom Süden gut zu sehen
Vorher lässt der Illuminator der Dresdner Schlössernacht Wellen über die Fassade branden, digitale Flammen aus den realen Fenstern lodern und irgendwann alles in sich zusammenstürzen, sodass man tatsächlich kurz Angst um das ehrwürdige Gemäuer hat. Als die Show um kurz nach halb elf wieder einem Standbild weicht, bewegen sich die wenigsten hier vom Fleck, nicht nur, weil die Botschaft noch nachhallt: Gleich wird es das Feuerwerk geben, für viele das Highlight der Schlössernacht.
Nach wenigen Minuten steigt auch die erste Rakete über Schloss Albrechtsberg auf und explodiert zu einer großen weißen Pusteblume, was bei vielen den panischen Griff zur Handykamera auslöst - doch von den meisten Raketen, die Mathias Kürbs danach in den Himmel schickt, werden die Besucher hier, auf der Rückseite des Schlosses, weg von der Elbe, nur hören und Rauchschwaden verdampfen sehen.
Erstmals wird das Feuerwerk von der anderen Elbseite aus gezündet, sodass man von der Südseite der Schlösser beste Sicht darauf hat. Ob es über der illuminierten Fassade von Albrechtsberg zu sehen sein würde, sei sehr ungewiss, hieß es im Vorfeld. Auf dieses klassische Schlössernacht-Motiv hatten sich aber offenbar viele Besucher eingestellt. "Ein wenig enttäuschend ist es schon", sagt ein Mann, der dabei eher amüsiert, als ernsthaft enttäuscht wirkt.
Überlasteter Schienenersatzverkehr und Knöllchenreigen
Für die meisten ist die Schlössernacht nun zu Ende, Tausende strömen in Richtung Bautzner Straße, wo sie den eigentlich sehr straff getakteten Schienenersatzverkehr in Richtung Innenstadt heillos überfordern dürften. Schon am frühen Abend grenzte es an ein Wunder, wenn man von der Stadt aus kommend gleich den ersten oder zweiten Bus zu den Schlössern erwischte, das heißt: sich reinquetschen konnte. Bei 36 Grad wurde die Anreise in der fahrenden Sardinenbüchse zur Zumutung, und auch, dass selbst Wasserflaschen aus Plastik nicht mit aufs Gelände genommen werden durften, ist eine eher fragwürdige Entscheidung an diesem heißen Tag. Dafür soll es einen zusätzlichen Getränkestand für die Ticketkäufer an der Abendkasse vor dem Eingang gegeben haben.
Und wie immer gehört auch das zur Schlössernacht: der Knöllchenreigen entlang der Bautzner Straße. Wer mit seiner, meist nicht zu bescheidenen, Karosse auf dem Gehweg, dem Radweg, der schmalen Wiese oder gleich allen dreien parkt, hat gegen Mitternacht einen Gruß vom Ordnungsamt an der Windschutzscheibe - neben einem Werbeheftchen von "Erlebe Dresden" für historische Stadtführungen.
Wahrscheinlich haben viele Autobesitzer diese "Parkgebühr" schon mit eingepreist und können sie neben dem Flanierticket für 48,50 Euro oder einem VIP-Ticket für 165 Euro gut verschmerzen. Aber wie immer sind nicht nur die Gutbetuchten bei der Schlössernacht, die, die mehr gesehen werden, als sehen wollen. Die, die am Türsteher von Schloss Albrechtsberg vorbeikommen, und für die überall im Gelände Porsches als Kaufanreiz aufgestellt wurden. Auch Familien mit kleinen Kindern sind hier, Senioren, Ehepaare, die sich vielleicht zum Hochzeitstag einmal etwas gönnen wollten. Und die ihre ganz persönliche Schlössernacht aus 1.000 Möglichkeiten zusammenstellen.
Die 14. Dresdner Schlössernacht findet am 20. Juli 2024 statt.