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Ein rechter Verein aus Dresden hilft Obdachlosen – nette Geste oder gefährliche Strategie?

Im Dezember hat die Dresdner Obdachlosenhilfe zum achten Mal ein Weihnachtsessen für Bedürftige veranstaltet. Warum das aus seiner Sicht gefährlich ist, erklärt Michael Nattke vom Kulturbüro im SZ-Gespräch.

Von Theresa Hellwig
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Kein harmloses Treffen für Obdachlose, sondern rechte Strategie, erklärt Michael Nattke vom Kulturbüro: das Weihnachtsessen des Dresdner Obdachlosenhilfevereins "Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V.".
Kein harmloses Treffen für Obdachlose, sondern rechte Strategie, erklärt Michael Nattke vom Kulturbüro: das Weihnachtsessen des Dresdner Obdachlosenhilfevereins "Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V.". © Matthias Rietschel (Archiv)

Dresden. Es hatte bereits für Aufregung unter den Dresdner Stadträten gesorgt, als die Dresdner Obdachlosenhilfe im November Geld von der Stadt haben wollte. Mit der Finanzspritze wollte der Verein ein Weihnachtsessen für Bedürftige organisieren. Das klingt erst einmal nett – ist aber eben nicht so harmlos, wie es scheint, erklärt Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros, im Gespräch mit Sächsische.de. Denn der Verein fällt immer wieder auf durch seine Nähe zu Rechtsextremen.

Herr Nattke, gerade hat das Weihnachtsessen des Vereins "Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen" stattgefunden. Der Verein ist wegen seiner Unterstützung von Rechtsaußen umstritten. Was hat sich vor Ort abgespielt?

Ich war nicht da, aber ich habe mir die Berichterstattung in den sozialen Medien angeschaut; sowohl bei dem Verein als auch auf den Kanälen der Protagonisten. Es wird ein Bild gemalt von einem Verein, der Armen hilft; der einen Tag schafft, an dem Kinder Spaß haben.

Das klingt harmlos.

Erst einmal vielleicht. Wenn man genauer hinschaut, dann sieht man, dass die Veranstaltung von Andreas Hofmann moderiert wurde; besser bekannt als DJ Happy Vibes. Er ist ein wichtiger Protagonist der Neonazi-Partei Freie Sachsen. Nicht einfach nur ein Mitglied oder ein Mitläufer, sondern einer der Moderatoren des sogenannten Sonntags-Gesprächs auf YouTube. Dabei handelt es sich um ein wichtiges Format der Freien Sachsen, zu dem organisierte Rechtsextreme eingeladen werden, um ihre Positionen in die Welt zu tragen.

Sind rechtsextreme Äußerungen gefallen?

Das ist das Besondere an der Dresdner Obdachlosenhilfe und an der Strategie, die dahintersteht: Dass genau das nicht passiert. Es wird darauf geachtet, dass bei den Veranstaltungen explizit keine rechtsextremen Parolen geäußert werden und dass man sich nicht klar rechtsextrem positioniert.

Ein Hilfsverein – das klingt ja erst einmal gut. Nun sprechen Sie von einer Strategie. Wie ist das alles einzuordnen?

Es gibt von rechten Vordenkern, unter anderem Götz Kubitschek, eine Strategie, die vor einigen Jahren ausgerufen wurde: die Strategie der Selbst-Verharmlosung. Götz Kubitschek betreibt ein privates Institut: das Institut für Staatspolitik. Beide, also er und das Institut, werden als rechtsextrem eingestuft. In diesem Institut werden rechte Theorie-Seminare veranstaltet und Schriften publiziert. Und vieles, was so in der rechten Szene gemacht wird, das orientiert sich an dessen Strategien.

Was meint diese Strategie der Selbst-Verharmlosung?

Das Ziel der Strategie ist es, die emotionale Barriere einzureißen, die in der Gesellschaft zum Rechtsextremismus aufgebaut wurde. Um Menschen zum Mitmachen zu bewegen, müssten die sogenannten Patrioten Dinge tun, die allen zivilgesellschaftlichen Standards entsprechen, heißt es. In den Schriften wird unter anderem empfohlen, eine rechte Bürgergesellschaft für Obdachlose zu gründen, um Solidarität aufzubauen. Dort steht auch, dass die Vereine sich dann nicht explizit rechtsextrem äußern sollen. Aber es gibt bestimmte Chiffren, die der Verein eben doch bedient. Wenn die Protagonisten über ihre Aktionen berichten, dann wird das Ganze meistens überschrieben mit "Dresden zeigt, wie es geht". Hört sich erst mal unverfänglich an. Wenn man sich mit Pegida beschäftigt, dann weiß man aber, dass genau das der Spruch ist, den Lutz Bachmann bei vielen Pegida-Demonstrationen ruft.

Wer steckt hinter dem Verein?

Die Protagonisten des Vereins sind Ingolf Knajder und Uwe Riedel. Beide haben sich in der Vergangenheit immer wieder rassistisch positioniert und gehetzt und standen schon vor Gericht. Sie haben beispielsweise Facebook-Posts rechtsextremer Gruppen geteilt. Beide machen keinen Hehl daraus, dass sie Pegida-Unterstützer der ersten Stunde sind.

Bei Knajder sind die Postings in den letzten Jahren weniger geworden, bei Riedel nicht. Gerade erst hat er auf Facebook von "Ratte Kasek" gesprochen – er meint den Leipziger Rechtsanwalt Jürgen Kasek. Gestern postete er ein Foto von einer Ampel an einem Galgen. Am Sonntag hat er dazu aufgerufen, bei der OB-Wahl in Pirna die rechtsextreme AfD zu wählen. Wenn es um irgendwelche Politiker geht, postet er dazu "merkt euch die Namen" – eine szenetypische Drohung.

Und dann, zwischendurch, ein ganz anderes Bild: ein Selfie beim Schokoweihnachtsmann-Kauf für Obdachlose. Wer sein Profil besucht, sieht einerseits einen karitativen Menschen – und andererseits Hetze und Demokratiefeindlichkeit. So findet eine Normalisierung von rechten Positionen statt.

Woran machen Sie fest, dass es dem Verein um eine Strategie geht – und nicht ums Helfen?

In den Videos, die der Verein von seinen Aktionen veröffentlicht, sind in der Vergangenheit immer wieder rechtsextreme Akteure gezeigt worden, die Obdachlosen helfen. Außerdem haben verschiedene rechte Akteure auf ihren eigenen Plattformen Bilder gezeigt, wie sie dem Verein spenden. Es wird so ein Möglichkeitsraum geschaffen, in dem sich Rechtsextreme als Helfer in Szene setzen können.

Und: Der Verein stellt sich gegen andere Helfer, anstatt gemeinsam zu denken. So diffamiert der Verein beispielsweise die Bahnhofsmission Dresden, weil sie am Wochenende nicht öffnet. Ich denke, wenn es einem wirklich um die Obdachlosen geht und nicht um Ideologie, dann würde man mit anderen Hilfsorganisationen solidarisch sein und kooperieren.

Rechtsextreme im Ehrenamt: Gibt es weitere Beispiele in Dresden?

Auch zu den Schöffen-Wahlen wird immer wieder in rechtsextremen Kreisen aufgerufen. Ich weiß aber, dass die Stadträte in Dresden sensibilisiert sind und sich die Listen anschauen. Es standen wohl auch Rechtsextreme darauf – sie haben aber das Amt nicht bekommen.

Wie sollte die Gesellschaft mit dem Verein umgehen?

Mir ist wichtig, klarzustellen: Natürlich ist es auch Rechten erlaubt, karitativ unterwegs zu sein. Wir leben in einem freien Land. Die Frage ist: Müssen Demokraten sie dabei unterstützen? Da geht es mir um die Fördermittel der Stadt, die der Verein beantragt - und zum Glück nicht bekommen hat. Es geht mir auch um die Frage, ob für die Veranstaltung wirklich die Ballsport-Arena zur Verfügung gestellt werden muss. Ob der Handball Club Dresden als Unterstützer auftreten muss. Und so weiter. Es gibt viele andere Organisationen in Dresden, die Obdachlose unterstützen und dabei keine politische Agenda verfolgen.