Dresden. Vor der Tür liegen am Donnerstagmorgen Glasscherben, der Boden ist nass, es riecht noch nach Rauch. Die Wohnung im ersten Obergeschoss der Rudolf-Leonhard-Straße 31 ist komplett ausgebrannt, Fensterrahmen sind verkohlt. Hier starb in der Nacht ein 26-jähriger Dresdner. Was war passiert?
Es ist früher Mittwochnachmittag, als hier ein mutmaßlich bewaffneter Mann an einem Fenster gesichtet wird. Daniel und Vincent arbeiten im Fahrradladen gegenüber: "Gegen 14 Uhr begann er sich auffällig zu verhalten", wird Vincent am Tag danach sagen.
Kisten und Glas aus dem Fenster geworfen
Der Mann habe Kisten aus dem Fenster geworfen, später auch Glas. Als die beiden den Mann am Mittwoch mit etwas sehen, was sie für eine Waffe halten, rufen sie die Polizei. "Die Beamten haben uns gesagt, wir sollen ihn im Auge behalten, bis sie da sind", sagt Daniel später. "Da wurde uns etwas mulmig, weil wir dachten, er hat gemerkt, dass wir ihn beobachten."
Kurze Zeit später trifft die Polizei ein, und es beginnt ein Einsatz, der Stunden andauern wird und erst mitten in der Nacht zu Ende geht.
Die Beamten sperren dabei zunächst den Bereich um das Haus in der Leipziger Vorstadt. Auch Spezialkräfte sind vor Ort: schwer bewaffnete Polizisten, das Kriseninterventionsteam, die Verhandlungsgruppe des Landeskriminalamtes das Spezialeinsatzkommando (SEK), die Gruppe für Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV).
Die Beamten versuchen zunächst mit dem Mann Kontakt aufnehmen. Der zieht sich in seine Wohnung zurück und ist von der Straße aus nicht mehr zu sehen. Zu dem Zeitpunkt sind Daniel und Vincent in ihrer Fahrradwerkstatt auf Rückseite des gegenüberliegenden Hauses. Vorne, in der Werkstatt, haben Polizisten Stellung bezogen.
Lange passiert scheinbar nichts. Als gegen 18 Uhr ein Anwohner neben dem observierten Hausaufgang seine Wohnung verlassen will, darf er nicht raus. Mittlerweile ist auch das SEK vor Ort.
Waffe ähnelt einer Maschinenpistole
Der 26-jährige Bewaffnete, so erzählt man sich im Viertel, sei vermutlich der Mieter der Zweiraum-Wohnung im ersten Stock schräg über dem "Martinez", einem kubanischen Restaurant. An diesem Nachmittag lehnt er sich aus seinem Fenster und hält dabei etwas in der Hand, das wie eine Maschinenpistole aussieht. Später werden die Beamten feststellen, dass es sich dabei nicht um eine echte, sondern eine Softairwaffe handelt. Der Mann ist vermummt und blutet augenscheinlich an beiden Unterarmen, die verbunden sind.
Der Einsatz dauert an. Aus den umliegenden Wohnungen werden Menschen in Sicherheit gebracht. Andere, die nach Hause wollen, lässt die Polizei nicht in ihre Wohnungen. Inzwischen stehen zwei Busse der Dresdner Verkehrsbetriebe bereit, in denen sich die Anwohner aufwärmen können. Viele finden aber offenbar bei Bekannten oder in einer Kneipe Obdach.
Laut Polizei scheitern immer wieder Kommunikationsversuche mit dem Mann. Dieser kündigt an, einen selbstgebauten Sprengsatz zu zünden, falls Polizisten in die Wohnung kämen. Auch diese Drohung nimmt die Polizei ernst. Am Abend verstärken Sprengstoff-Spezialisten die Beamten vor Ort. Die Gruppe für Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) gehört zum LKA und ist für die Sicherung oder Entschärfung ausgebildet.
Der Mann hat am Nachmittag mehrmals mit einer Pistole aus dem Fenster geschossen und die Waffe dann nach den Polizeibeamten geworfen. Es handelt sich um eine Schreckschusswaffe.
Als Feuer ausbricht, stürmt das SEK die Wohnung
Gegen 21.45 Uhr bemerken die Einsatzkräfte schließlich einen Brandausbruch in der Zweiraum-Wohnung, in der sich der 26-Jährige noch immer verschanzt hält. Jetzt muss es schnell gehen. Das SEK stürmt die Wohnung. Es sind fünf dumpfe Knallgeräusche zu hören. Vielleicht Blendgranaten, vermuten Schaulustige, die das Geschehen aus knapp 100 Metern an der abgesperrten Kreuzung Rudolf-Leonhard-/Erlenstraße verfolgen.
Ein ganzer Löschzug der Feuerwehr fährt nun dort vor. Polizisten lotsen die Retter vorbei. Sie halten vor dem kubanischen Restaurant, inzwischen steigen Rauchschwaden aus den schräg darüber liegenden Fenstern. "Wir haben einen massiven Wohnungsbrand", sagt Polizeisprecher Marko Laske. Den Gesuchten finden die Beamten nicht. Offenbar ist es selbst den SEK-Leuten vorher nicht gelungen, den Mann aus seiner verqualmten Wohnung zu befreien. Sechs Beamte werden verletzt, weil sie die giftigen Dämpfe einatmen.
Brandermittler werden später feststellen, dass es an mehreren Stellen gleichzeitig zu Feuern kam. Die Kriminalisten gehen daher davon aus, dass der 26-Jährige die Wohnung selbst in Brand gesetzt hat.
Gegen 21.45 Uhr gehen mehrere Trupps der Feuerwehr in das Haus und löschen den Wohnungsbrand. Sie tragen Atemschutzmasken. Es dauert eine ganze Weile, ehe sie einen leblosen Menschen in der Wohnung finden. Rettungsassistenten und Notarzt versuchen, ihn zu reanimieren. Doch jede Hilfe kommt zu spät. Der Mann erliegt noch vor Ort seinen schweren Verletzungen.
Auch die sechs verletzten SEK-Beamten werden mit sogenannten Brandfluchthauben aus dem verqualmten Haus gerettet und vor Ort behandelt. Anschließen bringt man sie in Krankenhäuser. Am frühen Donnerstagmorgen ist der Einsatz beendet. Mehr als 140 Polizeibeamte waren beteiligt, 60 Feuerwehrleute, Kriseninterventionsteams, Sanitäter.
Leiche soll untersucht werden
Auch am nächsten Tag bleibt das Motiv des 26-Jährigen unklar. Die Polizei macht keine konkreten Angaben dazu, was mit ihm los war. Die Staatsanwaltschaft hat eine Sektion des Leichnams angeordnet, um die Todesursache festzustellen. Auch die Frage nach der Ursache der fünf dumpfen Knallgeräusche lässt die Polizei offen.
Am Donnerstagmittag ist die Rudolf-Leonhard-Straße wieder belebt. In Restaurants und Cafés sitzen Menschen, Hundehalter führen ihre Tiere aus. Kleinkinder toben durch die Straße. Der Kubaner hat um die Zeit noch geschlossen. Nur Glasscherben und die ausgebrannte Wohnung deuten auf das Drama hin, dass sich am Vortag hier abgespielt hat.