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Kritik an Dresdner Flüchtlingshilfe - was stimmt, was nicht?

In sozialen Medien häufen sich kritische Stimmen zum Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen in Dresden. Was ist dran an den Behauptungen in den Kommentarspalten?

Von Julia Vollmer & Sandro Pohl-Rahrisch
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Dresden nutzt mehrere Turnhallen zur Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine. Der Schulsport wird dafür oftmals nach draußen verlagert.
Dresden nutzt mehrere Turnhallen zur Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine. Der Schulsport wird dafür oftmals nach draußen verlagert. © Marion Doering

Dresden. Stillgelegte Turnhallen, angemietete Hotels, Osterüberraschungen für ukrainische Kinder: Die Hilfsmaßnahmen für Kriegsflüchtlinge in Dresden werden nicht von allen Einwohnern begrüßt.

Auf Facebook finden sich allerlei kritische Kommentare mit Behauptungen, die oft kaum hinterfragt werden. Sächsische.de hat fünf Aussagen, die sich auf die Berichterstattung der vergangenen Tage beziehen, einem Check unterzogen.

Kommentar 1: Öffnet die Hallen wieder für den Schul- und Vereinssport! Es gibt andere Unterbringungsmöglichkeiten.

Hintergrund: Dresden nutzt neben der Messe auch elf Schulsporthallen als Notunterkünfte für ukrainische Flüchtlinge. Sie stehen daher nicht für den Unterricht oder den Vereinssport zur Verfügung. Abgesichert seien nur die Sportstunden in den gymnasialen Oberstufen und bei den Abschlussklassen der betroffenen Schulen, so die Stadt.

Fakten: Von über 150 Turnhallen dienen elf als Notunterkunft. Sie zu nutzen, resultiert einerseits aus der Not heraus, Zelte und Hallen aufzutreiben. "Alternativen wie Zelte, mobile Hallen oder Container sind ja aktuell nicht nur in Dresden nachgefragt", so die Stadt. Der Markt sei begrenzt.

Andererseits ist der Aufbau komplizierter geworden. Für Zelte und Leichtbauhallen müssten zunächst Standorte gefunden werden, so die Stadt. So ist die Bremer Straße keine Option mehr, da sich dort inzwischen eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes befindet, die genutzt wird. Darüber hinaus sind Genehmigungen, sanitäre Einrichtungen, Heizungen und Klimaanlagen nötig. Zelte und Hallen seien zwar nach wie vor eine Option und man prüfe intensiv mögliche Standorte. Ob und wann das zu einer Entlastung der Turnhallen führen kann, sei jedoch offen.

Turnhallen seien bis dahin eine bewährte Lösung, wobei die erste - am Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium - am Montag wieder vollumfänglich für den Schul- und Vereinssport genutzt werden kann. Folgen soll Anfang Mai die Turnhalle des Gymnasiums Bürgerwiese. In Abhängigkeit der Lage gehen diese Hallen aber in einen Stand-by-Modus. Das heißt, sie können bei Bedarf wieder zur Flüchtlingsunterbringung genutzt werden.

Darüber hinaus versucht die Stadt, Wohnungen aufzutreiben. Aber: "Da der Wohnungsmarkt in Dresden seit Langem sehr angespannt ist, werden viele Geflüchtete nur im Umland Wohnraum finden."

Die Forderung nach Öffnung der Turnhallen sei legitim, so die Stadtverwaltung, "aber wir helfen Menschen, die aus einem Kriegsgebiet flüchten. Diese Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf und ein Bett. Schnell und unkompliziert. Diesem Leid den Verzicht auf Sport in der Halle entgegenzusetzen, entspricht nicht der städtischen Auffassung von Menschenwürde und Hilfe."

Kommentar 2: An alle privaten Hotels und Airbnb-Ferienwohnungen: Erhöht gleich mal die Preise für Sommer und Herbst. Diese Gast-Betten werden fehlen.

Hintergrund: Die Stadt mietet mehrere Hotels an, da sie mit ihren Kapazitäten für Flüchtlinge an ihre Grenzen gekommen ist. Ein Facebook-Nutzer vermutet, dies könnte die Preise für Hotelzimmer nach oben treiben.

Fakten: Wenn das Angebot sinkt, die Nachfrage aber steigt, so klettern die Preise. Jeder kennt diese marktwirtschaftliche Aussage noch aus der Schule. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass in diesem Sommer und Herbst wieder mehr Touristen nach Dresden kommen, jetzt, wo ein Großteil der Corona-Regeln weggefallen ist. Ob dadurch aber die Zimmerpreise steigen, ist zumindest unwahrscheinlich.

Im Top-Ferienmonat Juli 2021 sind in Dresden 23.727 Betten in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen angeboten worden. Mit seinem Hotel-Plan würde Dresden dem Markt 1.290 Betten entziehen, wobei ein Betrieb, das NH-Hotel auf der Hansastraße, bereits nicht mehr zur Verfügung steht, sodass es sich um rund 750 Betten weniger handelt. Das entspricht drei Prozent aller im letzten Sommer angebotenen Gästebetten in der Stadt.

Das dürfte kaum ins Gewicht fallen, insbesondere mit Blick auf die üblichen Bettenauslastungen. So waren im Juli 2021 lediglich 18 Prozent aller Betten und 53 Prozent aller Zimmer ausgelastet. Im Vor-Corona-Jahr 2019 lag die Bettenauslastung über das gesamte Jahr hinweg bei durchschnittlich 55 Prozent. Eine Abfrage bei einschlägigen Buchungsportalen am Freitag ergab, dass man Mitte Juli im Dresdner Zentrum immer noch Zimmer für unter 100 Euro pro Nacht bekommt – und dies bei vier Sternen und mehr.

Kommentar 3: Für die Tafeln gibt es auch keine App.

Hintergrund: Das Netzwerk "Stark 4 Sachsen" hat eine App entwickelt, mit der die Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge in Dresden erleichtert werden soll. Die App ist für Helfer gedacht, die sich nun mit einem zeitlichen Vorlauf um eine Bleibe für Neuankömmlinge kümmern können. Die Kritik der Facebook-Nutzer: Für die Flüchtlingshilfe werden extra Apps programmiert und für andere Hilfsbedürftige nicht.

Fakten: Auch der Verein Tafel Deutschland hat eine App. Allerdings bietet sie Tafel-Nutzern kaum einen Mehrwert. So sind zum Beispiel die Dresdner Läden und ihre Öffnungszeiten nicht hinterlegt. Aus Sicht des Dresdner Tafel-Vorstands Alrik Schumann ist das aber kein Problem. Denn die Öffnungszeiten seien bei Google vermerkt und ließen sich über eine Suche schnell finden.

Außerdem gibt es eine mobile Version der Homepage, auf der Adressen und Informationen für Neukunden zu finden sind. Der einzige Nachteil, der auch ukrainische Tafelnutzer betrifft: Alle Informationen sind ausschließlich auf Deutsch verfügbar. "Wer für uns eine App entwickeln möchte, kann das gern tun", so Schumann.

Kommentar 4: Für die Ukrainer wird alles gemacht und andere Kinder werden vergessen, armes Land.

Hintergrund: Als gemeinsame Aktion von Stadt und verschiedenen Supermarkt-Ketten sind zu Ostern kleine Osterüberraschungen an die ukrainischen Kinder im Ankunftszentrum in der Messe verteilt worden.

Fakten: Auch die Kinder, die in Dresdner Wohngruppen und Heimen leben, bekommen Präsente zu Ostern. "In den stationären Einrichtungen werden Feiertage ebenso begangen wie im Familienkontext. Dazu gehören auch kleine Geschenke an den Ostertagen", teilt die Stadt mit. Die konkrete Gestaltung der Feiertage ist in den Einrichtungen unterschiedlich, viele unternehmen Ausflüge und kochen zusammen mit den Kindern. Das Jugendamt der Stadt betreut aktuell 827 Kinder und Jugendliche, die in einer stationären Einrichtung untergebracht sind.

Kommentar 5: Würden sie sich mal so um unsere Obdachlosen so kümmern.

Hintergrund: Im Zusammenhang mit den Ostergeschenken für ukrainische Kinder kritisierte ein Facebook-User, für Obdachlose würde nicht genug getan.

Fakten: Sozialarbeiter schätzen die Zahl der Obdachlosen in Dresden auf etwa 800. Das Sozialamt kann nur die Zahl der Wohnungslosen benennen, die in Heimen der Stadt untergebracht sind. Das sind etwa 320 Menschen.

Natürlich könnte und müsste es an vielen Stellen noch mehr Unterstützung für obdachlose Menschen geben. Fakt ist aber auch, dass die Stadt allen Menschen ein Dach über dem Kopf verschafft, die das wollen - in Übergangswohnheimen oder in Wohnungen, die der Stadt extra für solche Fälle zur Verfügung stehen.

Daneben gibt es über den Winter Nachtcafés, die in Kirchräumen einen Platz zum Schlafen und eine warme Mahlzeit anbieten. Außerdem ist die Bahnhofsmission ein Anlaufpunkt für alle, die Hilfe benötigen und diese nicht selbst organisieren können. Heilsarmee, Treberhilfe und Streetworker sind ebenfalls unterwegs und helfen.