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Warum Seniorinnen in Dresden fremde Frühchen kuscheln

Das Universitätsklinikum in Dresden belebt ein besonderes Ehrenamt wieder. Dabei werden Freiwillige den Patienten Zuwendung geben - vom Frühchen bis zum Sterbenden.

Von Nadja Laske
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Die "Grüne Dame" Erika Demmer kommt bis zu fünfmal pro Woche zu den Frühchen am Universitätsklinikum Dresden, denen sie Geborgenheit gibt. (Hinweis: Aus rechtlichen Gründen hält sie hier fürs Foto eine Puppe statt eines Frühchens.)
Die "Grüne Dame" Erika Demmer kommt bis zu fünfmal pro Woche zu den Frühchen am Universitätsklinikum Dresden, denen sie Geborgenheit gibt. (Hinweis: Aus rechtlichen Gründen hält sie hier fürs Foto eine Puppe statt eines Frühchens.) © Marion Doering

Dresden. Dieses klitzekleine Wesen muss sich fühlen, wie mit einem Ufo in futuristischer Welt gelandet. Was genau es von seiner Umgebung hören und sehen kann, weiß niemand so genau. Aber ganz sicher spürt es das Herz im Körper an den ihn liebevolle Hände sanft drücken.

Es ist nicht der gleiche Herzschlag, den es viel zu wenige Monate gehört hat. Dennoch war der Winzling lange genug mit ihm im Einklang, um auf dieser Welt anzukommen und nun auf der Frühchen-Intensivstation des Dresdner Universitätsklinikums stark für dieses Leben zu werden.

Dazu gehören nicht nur all die Apparaturen: Kabel, Stecker, Infusionen, Überwachungsgeräte und Monitore, die es hier umgeben. Ganz wichtig für sein Gedeihen ist Geborgenheit. "Ich merke genau, wenn ein Baby sich entspannt und in der körperlichen Nähe wohlfühlt", sagt Erika Demmer.

Mit einem Frühchen auf der Brust sitzt sie zwischen Wärmebettchen und Inkubatoren in einem Sessel. Nur das Köpfchen schaut aus der grünen Kuscheldecke heraus. Keinen Mucks gibt das Menschlein von sich, dessen Mama jetzt ganz sicher auch gern an dieser Stelle wäre. Doch sie kann es nicht.

"Grüne Damen" sind Kuschler im Ehrenamt

Dafür ist Erika Demmer da - ehrenamtliche Frühchen-Kuschlerin im Dienst der "Grünen Damen". Seit vergangenem Sommer kommt sie mehrmals pro Woche ins Haus 21. Dort ist die Frauen- und Kinderheilkunde beheimatet. Dass sie hier auf diese Weise gebraucht wird, erfuhr sie von einer Freundin ihrer Tochter, die selbst am Uniklinikum arbeitet.

Sogenannte "Grüne Damen" haben an Krankenhäusern seit 1969 Tradition. Ehemals trugen sie auf den Stationen grüne Kittel. Inzwischen ist eine solche Kleiderordnung nicht mehr überall vorgesehen, und auch "Grüne Herren" sind dazu gekommen. An der Dresdner Uniklinik sind derzeit sechs Frauen und ein Mann ehrenamtlich beschäftigt. Es sollen mehr werden. Dafür machen sich die Klinikleitung und die Chefin des "Grünen Teams", Katrin Weigelt, stark.

Die Kinderkrankenschwester hat 47 Jahre lang an der Uniklinik gearbeitet, zuletzt als stellvertretende Pflegedirektorin. Als sie die Gruppe nach der Coronazeit übernahm, war sie kaum mehr existent. Die pandemiebedingten Beschränkungen hatten den Service der Grünen Damen und Herren unmöglich gemacht. Inzwischen lebt er wieder auf und hofft auf weiteren Zulauf.

Rente: Sinnvolle Aufgabe gesucht

Als Erika Demmer in Rente ging, war ihr klar, dass mehr freie Zeit schön, aber eine sinnvolle Aufgabe auch wichtig für sie sein würde. Zunächst suchte sie im Internet nach freien Stellen im Ehrenamt. Der persönliche Tipp jedoch traf einen besonderen Nerv. "Es hat mich aufmerken lassen, dass meine Tochter zu mir sagte: Das wäre etwas für dich", erzählt die ehemalige Staatsanwältin, Familien- und Strafrechtlerin.

"Einfühlungsgespräch" nennt Katrin Weigelt, was sie mit jeder neuen Bewerberin, jedem neuen Bewerber führt. Darin geht es um Motivationen und Erwartungen, Bereitschaften und Erfahrungen. Für einen Einsatz bei Kindern ist ein erweitertes Führungszeugnis nötig, außerdem der Impfstatus, den eine Klinik von ihren Mitarbeitern generell verlangt. Bewerber sollten wenigstens 25 Jahre alt sein und sich gründlich Gedanken über das künftige Ehrenamt gemacht haben.

Erika Demmer wollte weder in der Geriatrie noch auf einer Palliativstation arbeiten. Die Idee, für Frühchen da zu sein, gefiel ihr gut. In ihrem Beruf hatte sie täglich mit den Belangen von Kindern und Familien zu tun. Sie kennt deren Bedürfnisse, aber auch die Umstände, unter denen Mütter und Väter ihre Rolle manchmal nicht so ausfüllen können, wie sie es eigentlich wollen und wie es nötig wäre. Auch deren Zwänge sieht und versteht Erika Demmer als Mutter: "Meine eigenen beiden Töchter sind die schönste und nachhaltigste Veränderung meines Lebens."

Karten spielen, vorlesen, zuhören

In aller Regel sind räumliche Gegebenheiten verantwortlich dafür, dass Eltern ihr Baby im Krankenhaus nicht häufig genug im Arm halten können. Sie wohnen weit weg vom Uniklinikum, haben noch weitere Kinder, für die sie da sein müssen, und berufliche Zwänge. Aber auch Babys, die von ihren Eltern abgewiesen oder ihnen entzogen worden sind, bekommen nun regelmäßig Zuwendung von Erika Demmer.

Die Frühgeborenen in ihren schützenden Händen sind manchmal kaum 1.000 Gramm schwer. "Ihnen lege ich im Inkubator nur ganz vorsichtig die Hand auf, damit sie meine Körperwärme spüren." Größere Frühchen nimmt sie aus ihren Bettchen und merkt auch dabei, wie sie sich der Körperkontakt beruhigend auswirkt: "Das ist eine ganz beeindruckende Erfahrung."

Wenigstens zwei Stunden pro Wochen sollten Grüne Damen und Herren ihr Ehrenamt ausüben. Erika Demmer kommt bis zu fünfmal zu ihrem Frühchen, sogar Weihnachten. Über einen gewissen Zeitraum ist das immer das gleiche Kind, mit dessen Eltern oder offiziellen Betreuungspersonen das Kuscheln abgesprochen ist. "Manche Mütter haben anfänglich mit dem Angebot Schwierigkeiten. Es kommt ihnen so vor, als nehme man ihnen etwas weg." Dabei füllen Grüne Damen nur eine Lücke, die aufgrund bestimmter Umstände entstanden ist.

Das tun sie nicht nur bei Babys, sondern auch bei größeren Kindern, mit denen sie spielen, Schulaufgaben lösen, musizieren. Für erwachsene Patienten sind sie ebenfalls da, führen Gespräche mit ihnen, hören zu, spielen Karten, lesen aus der Zeitung vor oder halten einfach nur still eine Hand. Damit tun sie Gutes für Menschen in bedrängter Lage und helfen Pflegern, deren Kompetenzen keine Zeit für Zuwendungen dieser Art lassen.

"Für mich ist es eine wunderbare Aufgabe, die den Kindern und auch mir guttut, zeitlich flexibel ist und wertgeschätzt wird", sagt Erika Demmer. "Diese kleinen, schutzbedürftigen Wesen berühren mich zutiefst."