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Streit um Kündigungen in Dresdner Kleingartenverein

Tiefe Gräben ziehen sich durch den Kleingartenverein Nautelweg in Coschütz. Es wird geschrien, gespuckt und geklagt. Nun sollen reihenweise Pächter gehen.

Von Henry Berndt
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Ullrich Hauptmann verlässt seine Parzelle im Kleingartenverein Nautelweg nur unter Protest.
Ullrich Hauptmann verlässt seine Parzelle im Kleingartenverein Nautelweg nur unter Protest. © Henry Berndt

Dresden. An diesem Nachmittag soll es nun um Parzelle 154 gehen. Nichts weiter. Dabei geht es in Wahrheit um viel mehr. Es geht um verwilderte Gärten, verbotene Bauten, um seit Jahren schwelende Konflikte und ungeheuerliche Vorwürfe.

All das sind Dinge, die man zum Geburtstag nun wirklich nicht gebrauchen kann. Der Kleingartenverein Nautelweg wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Auf rund 3,7 Hektar gibt es hier 148 Gärten. Das große Jubiläums-Fest wurde aus Corona-Gründen auf das kommende Jahr verschoben.

Ob sich die Gründerväter 1921 hätten vorstellen können, wie sich die Gartenfreunde im Jahr 2021 mal gegenseitig das Leben schwermachen würden?

Parzelle 154 wurde in den vergangenen zehn Jahren von Ullrich Hauptmann gepachtet. Allerdings hat er sich mit dem Vorstand entzweit, unter anderem wegen einer nicht genehmigten Solaranlage, mit der er seine Laube mit Strom versorgte. "Ich habe damit den Kühlschrank zwei Stunden laufen lassen, um mein Bier zu kühlen", sagt der 64-Jährige. Auch mit seinem Teich gab es Probleme.

"Alles Mobbing hier"

"Für mich ist das alles Mobbing hier." Seine Klage gegen die Kündigung ist jedoch vor Gericht abgewiesen worden. Bei der obligatorischen Schätzung der Parzelle verweigerte Hauptmann dem Vereinsvorsitzenden den Zugang.

Frank Hoffmann, Chef des Stadtverbandes "Dresdner Gartenfreunde", kann sich sicher schönere Beschäftigungen für den Freitagnachmittag vorstellen, als in dieser verfahrenen Situation eine Lösung durchzusetzen. Er ist gekommen, um die Parzelle persönlich vom Pächter entgegenzunehmen.

Zum Termin 15.30 Uhr sind auch eine Handvoll andere Mitglieder erschienen, die zuletzt Abmahnungen und Kündigungen erhalten haben. Bis zu Hoffmanns Eintreffen warten sie in vielfachem Corona-Sicherheitsabstand zu den Vertretern des Vereins und würdigen sie keines Blickes. Besonders weit entfernt steht Enrico Bakan. Das frühere Mitglied hat in der Anlage Hausverbot, nachdem er die Übergabe seiner Parzelle im Mai 2020 heimlich auf Band mitgeschnitten hatte. Nun will er nicht noch einmal riskieren, von der Polizei hinausbegleitet zu werden. Deswegen wartet der 49-Jährige freiwillig am Tor.

Badeöfen und Sickergruben?

Als Hoffmann eintrifft, möchte der Chef rasch zur Tat schreiten. Hauptmann aber will lieber über das Mobbing sprechen. "Einspruch, Einspruch, Einspruch", ruft er laut und schon scheint die Situation zu eskalieren. Hoffmann droht, abzubrechen, wenn das Geschrei nicht aufhöre, allerdings wissen beide, dass sie sich besser doch einigen sollten, um weiteren Ärger zu vermeiden. In der folgenden Woche würde sonst ein Gerichtsvollzieher die Räumungsklage durchsetzen.

Es dauert eine Weile, bis Hauptmann sich beruhigt. "Das Gerichtsurteil beruht auf einer Lüge und das wissen Sie", sagt er noch, lässt die gemeinsame Begutachtung der Parzelle dann doch über sich ergehen und gibt anschließend den Schlüssel ab. Da er jedoch den Rückbau eines Gerätehauses und die Beseitigung von Sträuchern im Grenzbereich ablehnt, müssen nun potenzielle Nachpächter diese Missstände beseitigen.

Unterdessen geht draußen auf dem Weg der Streit weiter. "Es gab noch nie so viele Kündigungen und Abmahnungen wie in Ihrer Diktatur", schimpft einer. Von "Stasi-Methoden" ist die Rede. Außerdem werfen die Verstoßenen den Vorstandsmitgliedern vor, sich selbst nicht an die Kleingartengesetze zu halten, Badeöfen und Sickergruben zu betreiben. Einmal in Fahrt, fahren sie noch schwerere Geschütze auf: "In der Vereinskasse fehlen 30.000 Euro. Wo sind die?"

Frank Hoffmann, Vorsitzender des Dresdner Kleingärtner-Verbandes (hinten), traf sich am Freitag mit Pächter Ullrich Hauptmann.
Frank Hoffmann, Vorsitzender des Dresdner Kleingärtner-Verbandes (hinten), traf sich am Freitag mit Pächter Ullrich Hauptmann. © Henry Berndt

Die Gärtner aus dem Vorstand haben offensichtlich wenig Lust, sich auf Diskussionen einzulassen und drehen sich weg. "Das geht schon seit Jahren so", sagt Bernd Henning, der vor vier Jahren zum Vorsitzenden gewählt wurde. "Wir wollen niemanden kündigen, aber schauen Sie sich die Gärten doch mal an." Auf einer Mängelliste, die im Herbst im Schaukasten öffentlich ausgehängt wurde, fand sich etwa die Hälfte aller Pächter wieder.

Dem 79-jährigen Günter Scharkowitz wurde zum November dieses Jahres gekündigt. "Dabei hatte ich Zucchini, Gurken und Tomaten angebaut, aber beim Rundgang im Herbst konnte man davon natürlich nichts mehr sehen." Auch Uwe Krüger und Peter Franz müssen ihre Parzellen abgeben. Ernst Pomassl hat bereits die zweite Abmahnung erhalten. Meist geht es um fehlenden Obst- und Gemüseanbau oder einen allgemein verwilderten Zustand der Parzelle. "Mein Schilf steht seit Jahrzehnten an dieser Stelle und hat nie jemanden interessiert", sagt der 74-jährige Peter Franz. "Ich fühle mich nicht mehr im Stande, das auszugraben."

Das frühere Mitglied Enrico Bakan ist der Ansicht, es würden nur Kleinigkeiten gesucht, um sich unliebsamer Mitglieder zu entledigen. Er selbst hatte sich schon lange vor seiner Kündigung 2019 bei einem Teil der Vereinsmitglieder unbeliebt gemacht. "Bei einer Mitgliederversammlung wurde ich angespuckt und mir wurden Schläge angedroht", sagt er.

"Kein guter Stil"

Haupt-Streitthema war in seinem Fall die Sanierung des maroden Vereinshauses, die die Mitglieder mitbezahlen sollten. Bakan zahlte nicht und behauptet heute, man hätte für die Änderung der Vereinssatzung in einem Protokoll die Unterschrift seiner Frau gefälscht, die früher Schriftführerin war. Das Verfahren dazu läuft noch vor Gericht.

Frank Hoffmann verfolgt all diese Geschehnisse in der Anlage Nautelweg mit zunehmender Sorge. "Ich habe alle seitenlangen Briefe sachlich beantwortet und jeden vernünftig behandelt", betont er.

Einerseits seien die beanstandeten Gärten tatsächlich teilweise in einem "desolaten" Zustand gewesen. "In der Parzelle von Herrn Bakan musste kubikmeterweise Müll ausgegraben werden. Er hat den Verein auf einem großen Schaden sitzen gelassen."

Auf der anderen Seite sieht er auf Seiten des Vorstands Probleme mit einer angemessenen Kommunikation. "Nur mit Abmahnungen zu hantieren und Mängellisten öffentlich auszuhängen, das ist sicher kein guter Stil", sagt er. "Man sollte immer versuchen, die Pächter mitzunehmen." Auch das Herumbrüllen sei letztlich nur ein Zeichen von Sprachlosigkeit. Jetzt sei es wieder Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

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