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Menschen mit Behinderung bei Dresdner Breakdancern: "Viele tanzen auf hohem Level"

Die Breakdance-Crew "Saxonz" lebt Inklusion beim Tanzen. Am Wochenende kommt ein Ausnahmeathlet zu den Sächsischen Meisterschaften in die Stadt.

Von Christoph Pengel
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Die Breakdance-Crew "The Saxonz" haben schon einige Preise bei Wettbewerben abgeräumt.
Die Breakdance-Crew "The Saxonz" haben schon einige Preise bei Wettbewerben abgeräumt. © Foto: Lisa Ilgen

Dresden. Der Mann, der für seine spektakulären Bewegungen bekannt ist, liegt auf dem Boden, als wäre er gerade gestürzt. Lange Haare verdecken sein Gesicht. Dann regt er sich, greift nach seinen Krücken, drückt sich nach oben, schwingt seinen Körper nach vorne - und schmeißt die Krücken weg.

Was folgt, ist eine rasante Abfolge komplizierter Moves. Der Mann dreht sich um die eigene Achse, verknotet die Beine, macht Handstand. So was kennt man von Breakdancern. Aber dass jemand mit Rückgratverkrümmung und gehandicapten Beinen so einen Auftritt hinlegen kann, ist dann doch überraschend. Die Jury sitzt mit offenen Mündern da, fassungslos.

Die Performance stammt von B-Boy Haiper, einem Breakdancer aus Frankreich, der in einer französischen Talentshow aufgetreten ist. B-Boys heißen die Tänzer in der Szene, ihre weiblichen Gegenparts nennt man B-Girls. Der Franzose zählt zu den absoluten Ausnahmeathleten. Am Wochenende kommt er nach Dresden. In der Jugendkirche am Trinitatisplatz beginnen am Samstag, 19 Uhr die Sächsischen Meisterschaften im Breakdance. B-Boy Haiper wird in der Jury sitzen.

"Behinderung war für uns nie ein Thema"

Das ganze Wochenende steht im Zeichen der Inklusion. Schon vor dem Wettbewerb ist am Samstag von 12 bis 17 Uhr ein Training in der Turnhalle des Romain-Rolland-Gymnasiums geplant. Jeder kann mitmachen - egal, ob Profi oder Anfänger, mit Behinderung oder ohne. Am Sonntag folgen ab 11 Uhr weitere Workshops. B-Boy Haiper wird einen Kurs für Menschen ohne Behinderung geben.

Organisiert wird das alles vom Verein 84 Til, dem Dresdner Zentrum für Urbane Kultur. Dazu gehören unter anderem Joanna Mintcheva und Felix Roßberg von "The Saxonz", einer Breakdance-Crew, die schon viele nationale und internationale Wettbewerbe gewonnen hat.

"Behinderung war für uns nie ein Thema", sagt Roßberg, auch bekannt als B-Boy Rossi. In der Dresdner Breakdance-Szene seien schon immer Menschen mit körperlichen Defiziten dabei gewesen. Auch international könne man das beobachten. "Viele tanzen auf einem hohen Level. Da hab ich zum Teil keine Chance, die sind besser als ich."

Dass Behinderungen am Wochenende dennoch eine besondere Rolle spielen, hängt damit zusammen, dass der Verein nun von der Ferry-Porsche-Stiftung unterstützt wird. Bei einem Wettbewerb überzeugten die Dresdner mit einem Inklusionsprojekt, zu dem auch die Veranstaltung am Wochenende gehört.

Für den Verein ist das eine Herausforderung. Totale Barrierefreiheit, etwa für Gehörlose oder Blinde, könne man in der Turnhalle noch nicht garantieren, sagt Joanna Mintcheva. Trotzdem seien alle Menschen willkommen, ganz gleich mit welchem Handicap. Ein Helferteam werde dafür sorgen, dass alle Gäste ihren Weg durch die Halle finden.

Kreativer Ausdruck statt strenger Regeln

Zudem stehen die Organisatoren vor der Frage, wie man das Thema Inklusion anpackt, ohne dabei Menschen mit Behinderung zu plakativ ins Scheinwerferlicht zu rücken. Zumal sie ja auch bei Wettkämpfen nicht anders bewertet würden, sagt Roßberg. Der Unterschied zwischen den Tanzenden mit und ohne Handicap sei manchmal kaum zu erkennen.

Dazu man wissen, dass es beim Breakdance keine so strengen Vorgaben gibt wie beim Turnen oder in der Leichtathletik. "Man darf, grob gesagt, machen, was man möchte", erklärt Joanna. Statt eines strengen Regelwerks regieren Kreativität und individueller Ausdruck. Und das gilt auch für Menschen mit Behinderung. "Diese Leute haben es geschafft, die Basics abzuwandeln, sodass sie funktionieren - was ultra beeindruckend ist."

Einer, der bei den Saxonz auf hohem Niveau mittanzt, ist der Dresdner Otto Hänsel. Er ist 16 Jahre alt und hat seit seiner Geburt eine verkürzte Hand. "Ich würde das gar nicht als Behinderung sehen." Otto spricht von einem "Defizit", das ihn aber kaum einschränke. "Es gibt keine Moves, bei denen ich wegen der Hand Schwierigkeiten hätte", sagt er.

Otto tanzt seit sieben Jahren, macht viel Freestyle, arbeitet ständig an seinem Stil, baut neue Details in seine Performance ein. Am Breakdance gefällt ihm, dass es "krass individuell ist und du Sachen machen kannst, die nur in deinem Kopf entstanden sind".

Otto Hänsels rechte Hand ist seit der Geburt verkürzt. Was ihn aber nicht vom Breakdance abhält.
Otto Hänsels rechte Hand ist seit der Geburt verkürzt. Was ihn aber nicht vom Breakdance abhält. © Foto: Carsten Beier

Wenn Breakdancer über Breakdance reden, meinen sie aber nicht nur einen Sport, sondern eine ganze Subkultur, zu der DJs und Hip-Hop ebenso gehören wie Graffiti. Deshalb sehen es in der Szene viele kritisch, dass Breakdance nun olympisch und damit auf eine Disziplin reduziert worden ist. Bei den Spielen in Paris 2024 sollen erstmals auch B-Girls und B-Boys dabei sein - vielleicht auch Dresdner und Dresdnerinnen.

Für Felix Roßberg ist das zurzeit kein Thema, er leidet noch an den Spätfolgen einer Knieverletzung. Aber Joanna Mintcheva bereitet sich gerade auf die Qualifikation vor. Und auch Otto Hänsel trainiert für Olympia. Fünf Tage die Woche, montags bis freitags, übt er jeweils zwei Stunden, dazu kommen Einheiten am Wochenende.

Bei den Sächsischen Meisterschaften am Samstag ist Otto ebenfalls dabei. Als ein Tänzer unter vielen. Er freut sich darauf, zeigt aber keine Aufregung. "Es ist ja nicht mein erstes Battle."

Nach den Herbstferien werden in Dresden regelmäßig Breakdance-Kurse speziell für Menschen mit Behinderung angeboten - jeden Montag von 16 bis 18 Uhr im Jugendhaus Emmers an der Bürgerstraße. Die Kurse sind kostenfrei. Wer das Inklusions-Projekt finanziell unterstützen will, findet dazu Informationen auf der Internetseite www.startnext.com/breaking-out.