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Mutter warf Zwillinge von Balkon in Dresden: Freispruch wegen Drogenwahn

Eine 37-Jährige, die im Juni 2022 ihre Zwillinge vom Balkon ihrer Wohnung warf, kann für die Tat nicht verurteilt werden. Gründe sind eine Persönlichkeitsstörung und anhaltender Drogenkonsum.

Von Alexander Schneider
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"Schuldlos schuldig“: Am Dienstag wurde die 37-jährige Angeklagte, die im Wahn ihre Kinder vom Balkon fallen ließ, freigesprochen. Sie soll aber in eine Entzugseinrichtung.
"Schuldlos schuldig“: Am Dienstag wurde die 37-jährige Angeklagte, die im Wahn ihre Kinder vom Balkon fallen ließ, freigesprochen. Sie soll aber in eine Entzugseinrichtung. © Jürgen Lösel

Dresden. Eine 37-jährige Dresdnerin hat ihre beiden erst sieben Monate alten Zwillingsjungen vom Balkon im ersten Stock ihrer Gorbitzer Wohnung fallen lassen, ehe sie selbst über das Geländer kletterte und in die Tiefe sprang. Die beiden Kinder wurden so massiv verletzt, dass sie wohl ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen sein werden.

Nach zwei Monaten endete der Prozess wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen gegen die Mutter am Landgericht Dresden. Die Frau sei zur Tatzeit schuldunfähig gewesen und habe das Unrecht ihrer Tat nicht einsehen können, begründete das Schwurgericht die Entscheidung: Die Angeklagte wurde freigesprochen, soll aber für zwei Jahre in einer Entzugsanstalt untergebracht werden, um von ihrer Crystal-Abhängigkeit loszukommen. Empfehlenswert wäre auch eine Psychotherapie, sagte der Vorsitzende Richter Herbert Pröls.

Die Tat am Abend des 13. Juni 2022, einem Montag, hatte auch bei den Ersthelfern von Polizei und Rettungsdienst tiefe Spuren hinterlassen, als sie die schwerstverletzten Babys vor dem Mehrfamilienhaus am Limbacher Weg regungslos liegen sahen, neben der bewusstlosen Mutter.

Richter spricht von einer "Tragödie"

Richter Pröls sprach von einer Tragödie, über die das Gericht zu urteilen hatte, und einer Frau, die "schuldlos schuldig" sei. Nach dem Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen habe die Angeklagte aufgrund einer psychiatrischen Persönlichkeitsstörung, Borderline, und ihres anhaltenden Drogenkonsums keine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gehabt.

Die 37-Jährige, die auch einen zehnjährigen Sohn hat, war seit Jahren im Kontakt mit dem Jugendamt. Den Sozialarbeitern sei zwar das Kindeswohl wichtig gewesen, aber weniger die Drogenabhängigkeit der Mutter. Als sie mit den Zwillingen schwanger war, habe die Angeklagte es geschafft, den Behörden weißzumachen, sie sei von den Drogen los. Die Suchterkrankung sei auch kein Thema gewesen, als das Jugendamt nach der Geburt der Kinder von der Klinik darüber informiert wurde, dass die Mutter weiterhin konsumiere.

Die Angeklagte habe ihr Umfeld, die Behörden, Sozialarbeiter und Familienhelfer "manipuliert", so Pröls. Man habe ihr geglaubt, dass sie keine Drogen nimmt und keine Tests veranlasst. Man habe ihr auch abgenommen, dass sie sich von ihrem drogensüchtigen Partner getrennt habe – doch der Mann und mutmaßliche Vater der Zwillinge, habe sich praktisch "mit der Familienhelferin die Klinke in die Hand gegeben", sei täglich ein- und ausgegangen.

37-Jährige hatte Wahnvorstellungen am Tattag

Am Tattag habe die Angeklagte nach einem Konsum-Wochenende Wahnvorstellungen gehabt. Sie dachte, jemand wolle in die Wohnung eindringen, habe sich Brandgeruch eingebildet – und ging auf den Balkon, um ihre Kinder fünf Meter in die Tiefe fallenzulassen und selbst zu springen. Die 37-Jährige hatte gesagt, sie könne sich nicht an die Tat erinnern, habe ein "komisches Gefühl" gehabt, kaum Luft und Panik bekommen, weil jemand an der Tür war.

Das Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Verteidigerin Uta Modschiedler will das Urteil überprüfen lassen. Sie hatte Freispruch ohne eine Unterbringung gefordert, ihre Mandantin wolle sich selbst darum bemühen.

Um die Zwillinge kümmert sich jetzt die Schwester der Angeklagten, die für die Betreuung sogar ihren Beruf aufgegeben habe. Das sei "hochanerkennenswert", sagte Pröls, und mehr, als der Staat für die Kinder leisten könne.