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Prozess in Dresden: Lehrer legte Schüler Hand in den Schritt

Über eine lange Zeit wurden vermutlich mehrere junge Männer von ihrem Informatiklehrer an einem Berufsschulzentrum in Dresden belästigt. Der Täter musste sich nun vor Gericht verantworten.

Von Julia Vollmer & Andreas Weller
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Im Dresdner Amtsgericht fand jetzt der Prozess gegen einen Lehrer statt, der Schüler unsittlich berührt haben soll.
Im Dresdner Amtsgericht fand jetzt der Prozess gegen einen Lehrer statt, der Schüler unsittlich berührt haben soll. © Symbolfoto: Marion Doering

Dresden. "Ich hatte jeden Tag Angst, weiter in diese Schule zu gehen und bin seitdem in psychologischer Betreuung." So beschreibt Fabian Weber sein Martyrium. Der junge Mann ist Schüler am Beruflichen Schulzentrum für Elektrotechnik Dresden und wird und wurde von seinem Informatiklehrer sexuell belästigt, bedroht und verfolgt. An diesem Freitag war der Prozess in dem Fall vor dem Amtsgericht Dresden.

Fabian Weber, der eigentlich anders heißt, ist nicht das einzige Opfer von Lehrer Detlef S. Noch mindestens einen anderen Schüler hat der 54-jährige Informatiklehrer unsittlich berührt und belästigt. Der Lehrer unterrichtet bis heute an der Schule, trotz Prozess und Anzeige bei der Polizei.

Fabian Weber ist heute 22 Jahre alt und seit vier Jahren Schüler an der Schule. Im Wechsel hat er Unterricht und ist im Betrieb am Max-Planck-Institut. "2021 begann die sexuelle Belästigung, er fasst mir zwischen die Beine, berührte mich am Oberschenkel", sagt er.

Nach zweitem Übergriff: Schüler wendet sich an Klassenlehrerin

Am 28. September 2021, nach einem weiteren Übergriff, bei dem der Lehrer laut Anklage der Dresdner Staatsanwaltschaft dem Schüler seine Hand in die Innenseite des Oberschenkels gelegt hat und diese "im Schritt verweilte", überwindet Fabian Weber seine Angst und Scham. Er schreibt eine E-Mail mit Angaben zu den Taten an seine Klassenlehrerin. Mit ihm meldet sich auch ein anderer Betroffener zu Wort, der zur Tatzeit noch minderjährig war.

Einen Tag später erfährt die Schulleitung von den Taten. Am 8. November zeigt der Betroffene den Lehrer Detlef S. bei der Polizei an. Auch der Mitschüler erstattet Anzeige, zieht diese aber später zurück, weil er Bedenken hat, einen Prozess nicht durchzustehen. Er berichtet von Selbstmordgedanken.

Ab Ende November ist Fabian in psychologischer Behandlung, zum Teil dreimal in der Woche. Über Monate ist er nicht in der Lage, die Schule zu besuchen. Es geht ihm schlecht. "Bis heute gehe ich nur stundenweise in die Schule", sagt er.

Klassenlehrerin zum Schweigen verdonnert?

Doch auch nachdem sich Fabian der Klassenlehrerin anvertraut und Anzeige erstattet hat, geht es weiter. Läuft der Schüler über die Gänge, schreit der Lehrer ihn an, drängt ihn an die Wand, so der Berufsschüler. Die Schulleitung und er finden einen Weg, wie er teilweise von Zuhause den Unterrichtsstoff erarbeiten kann, um dem Lehrer nicht immer wieder zu begegnen.

Die 52-jährige Klassenlehrerin sagte als Zeugin vor Gericht aus. "So etwas habe ich in 25 Jahren als Lehrerin noch nicht erlebt", sagt die Frau. "Ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet und muss den Dienstweg einhalten, also habe ich die Fachleiterin informiert."

Viele Gespräche habe sie mit den beiden betroffenen Schülern, die sich offenbart haben, geführt - bestimmt 50. "Aber ich wurde von der Schulleitung auf den Schüler- und Lehrerschutz hingewiesen, ich hatte zu schweigen."

"Der Schulalltag war unerträglich"

Die Kollegin des Beschuldigten sagt, es soll noch mehr Fälle gegeben haben. Sie berichtet unter Tränen. "Der Schulalltag war unerträglich, ich konnte meine Obhutspflicht gegenüber den Schülern nicht nachkommen, weil ich die Anordnung bekam, das diskret zu behandeln. Darüber habe ich meine Ideale als Lehrerin verloren."

Wie aber kann es überhaupt sein, dass ein Lehrer, dem derart schwerwiegende Taten zur Last gelegt werden, bis heute weiter täglich unterrichten kann? Fragt man das zuständige Landesamt für Bildung (Lasub), wie lange die Taten dort bekannt sind, muss Sprecher Clemens Arndt einräumen, dass der Verdacht seit anderthalb Jahren bekannt ist.

"Am 28. September 2021 wandte sich der betroffene Schüler via E-Mail an seine Klassenleiterin. Daraufhin wurde das Landesamt für Schule und Bildung bezüglich des Vorliegens eines Verdachtes der sexuellen Belästigung informiert", sagt er. Nach "gründlicher Recherche und dem Einholen verschiedener Stellungnahmen" habe es am 10. November 2021 ein Personalgespräch mit der betroffenen Lehrkraft gegeben.

Sprecher Arndt beteuert: "Die Anzeigen der Schüler wurden und werden durch die Klassen-, Fach- und Schulleitung sehr ernst genommen." Die verdächtigte Lehrkraft wurde seit 1. November 2021 nicht mehr im Präsenzunterricht in den Lernfeldern 5 und 11 der betroffenen Klasse eingesetzt. Er habe von 22. November bis 7. Dezember 2021 seinen Unterricht über die Online-Plattform Lernsax erteilt.

In den anderen Klassen unterrichtet er bis heute. Die Planung des Unterrichtes sei so verändert worden, dass bis zur Beendigung der Ausbildung des betroffenen Schülers kein Unterricht in dieser Klasse durch die verdächtigte Lehrkraft erteilt wird, so das Landesamt. Auf den Gängen und in den Pausen muss Fabian Weber den Lehrer trotzdem sehen.

Lehrer erklärt körperliche Nähe zu Schülern mit Sehschwäche

Der beschuldigte Lehrer sagt vor dem Dresdner Amtsgericht aus, es sei üblich, dass mehrere Schüler bei der Projektarbeit vor einem Monitor sitzen. Er habe sich an dem besagten Tag neben Fabian Weber gesetzt und die Ergebnisse mit insgesamt vier Schülern diskutiert. Sein Verteidiger weist immer wieder darauf hin, dass sein Mandant so nah an dem Schüler gesessen habe, weil er extrem kurzsichtig sei.

Was die Sehschwäche damit zu tun hat, dass der Lehrer seine Hände nicht bei sich behielt, erklärt das nicht. S. sei "extrem überrascht" gewesen, als er von dem "Sachverhalt" gehört habe. Er habe zu keiner Zeit bewusst den Oberschenkel des Schülers berührt oder gestreichelt, man könne aber eine Person "unbewusst berühren".

Wie hat das Dresdner Gericht entschieden?

Nach einem Rechtsgespräch zwischen den beteiligten Juristen wird das Verfahren gegen Detlef S. schließlich nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung eingestellt. Das bedeutet, es wird von einer Strafverfolgung abgesehen, wenn S. 1.250 Euro als Wiedergutmachung an Fabian Weber zahlt.

"Es hat wahrscheinlich eine Reihe von Übergriffen gegeben", erläutert die Richterin. "Auch die Zeugen waren glaubhaft." Aber laut Strafgesetzbuch werden solche Taten nicht als so gravierend eingestuft, dass sie strafrechtlich verfolgt werden müssen. Es bedürfe eines Vorsatzes in sexueller Richtung und der sei hier nicht zu beweisen. "Sicher wären andere außergerichtliche Maßnahmen möglich gewesen, wie eine Versetzung des Lehrers, aber das haben die zuständigen Institutionen nicht verfolgt", so die Richterin.

Allerdings wird S. von seinem Anwalt darauf hingewiesen, dass dies kein Freispruch ist und er nicht voraussehen könne, ob sein Dienstherr deshalb versuchen wird, ihn aus dem Dienst zu entfernen. Für die Opfer bleibt das Ergebnis unbefriedigend. "Ich wollte, dass der Mann nie mehr Schüler unterrichtet", so Fabian Weber. Das aber ist weiter ungewiss.

Anmerkung der Redaktion: An der Schule unterrichtet auch Lehrer Detlef Simon. Er ist unbescholten und hat mit den Vorwürfen nichts zu tun.