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"Mama, was passiert beim Sterben?"

Corinna Nordhausen begleitete Kinder an ihren letzten Lebenstagen. Nun will die Dresdnerin auch Ärzten und Pflegern die Angst vor schwierigen Fragen nehmen.

Von Henry Berndt
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"Die Ängste werde ich ihm nicht nehmen": Corinna Nordhausen mit ihrem vierjährigen Sohn Bruno.
"Die Ängste werde ich ihm nicht nehmen": Corinna Nordhausen mit ihrem vierjährigen Sohn Bruno. © Sven Ellger

Dresden. Emmi wurde nur neun Jahre alt. Als sie in einem Hamburger Kinderhospiz starb, lag sie in Corinnas Armen. Corinna, ihre Sterbebegleiterin, war da längst schon zur Freundin und Weggefährtin geworden. Sie war dabei, als Emmi wie Schneewittchen in einem Sarg aufgebahrt wurde, damit ihre Eltern Zeit hatten, um zu verstehen, was da gerade passierte. Als Corinnas Arbeit getan war, blieb Emmi in ihrem Herzen.

"Ich habe entschieden, mir Gefühle und Tränen zu erlauben", sagt Corinna Nordhausen. "Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich lasse zu, dass die professionelle Distanz verschwindet, weil es sich für mich sonst nicht richtig anfühlen würde."

Vor wenigen Wochen zog die 36-Jährige mit ihrem vierjährigen Sohn Bruno aus Nordrhein-Westfalen nach Dresden. Aufgewachsen ist sie in Potsdam und lebte zwischendurch auch eine Zeitlang in einem Gemeinschaftswohnprojekt in Bischofswerda.

Pia Schnurr und Corinna Nordhausen (vorn): Verliebte, Seelenverwandte, Geschäftspartnerinnen.
Pia Schnurr und Corinna Nordhausen (vorn): Verliebte, Seelenverwandte, Geschäftspartnerinnen. © privat

Corinna ist ausgebildete Kinderkrankenschwester. Über den ambulanten Dienst kam sie in Kontakt mit der Hospizarbeit und so führte sie ihr Weg über die jahrelange Betreuung von Emmi nach Hamburg, wo sie fünf Jahre lang dabei half, Kinder auf ihrem letzten Lebensweg zu begleiten.

In Hamburg traf sie auch auf Pia Schnurr, ebenfalls 36. Die beiden verliebten sich und gründeten zusammen mit ihren Kindern aus früheren Beziehungen eine Patchworkfamilie. Auch wenn sie inzwischen getrennt sind, haben sie doch bis heute täglich miteinander zu tun. Nun als Gründerinnen und Geschäftspartnerinnen.

Nach einem Zwischenspiel als Reittherapeutin und drei Jahren Elternzeit wollte Corinna sich beruflich neu erfinden. Ein Acht-Stunden-Job in der Pflege kam für sie als alleinerziehende Mutter allerdings nicht infrage. Für sie stand fest, dass sie sich weiterhin für ein selbstbestimmtes Sterben einsetzen wollte. "Mein Ziel war es immer, dass Sterben in Würde sein darf und wieder da hinrückt, wo es hingehört. In die Mitte der Gesellschaft." Doch was konnte sie dafür am besten unternehmen?

Projekt "Traudichkeit"

"Und dann sind wir auf die Idee gekommen, einen Schritt vorher ansetzen", sagt sie. Vielen Pflegekräften, Hebammen, Ärzten und Therapeuten sei gar nicht bewusst, dass auch sie das Lebensende von Menschen begleiten. "Und wenn sie gefragt werden, trauen sie sich nicht, zu antworten."

Kein Wunder, findet Corinna. In ihrer dreijährigen Ausbildung zur Kinderkrankenschwester sei es gerade mal drei Tage lang um das Sterben gegangen. "Dabei ist das so ein essenzielles Thema, was uns früher oder später alle betrifft." Das Resultat: Den Fachkräften fehlten Aufklärung, Anleitung und die Fähigkeit zur emphatischen Begleitung im Sterbeprozess.

Corinna und Pia schmiedeten einen Plan. "Unsere Vision ist es, die Fachkräfte besser auf solche Situationen vorzubereiten." Ihr gemeinsames Projekt haben sie "Traudichkeit" getauft. Traurigkeit und sich trauen, das hat für sie viel mehr miteinander zu tun, als es auf den ersten Blick scheint.

Das geht schon im Kleinen zu Hause los. Wenn das Kind plötzlich fragt: "Mama, was passiert beim Sterben? Fressen mich dann die Würmer?" Viele Eltern versuchen dann, unauffällig das Thema zu wechseln, um sich vor einer Antwort zu drücken und ihren Nachwuchs damit vermeintlich zu schützen.

Kongresse und Workshops

Dabei hätten Kinder Antworten verdient. "Wenn mir Bruno sagt, dass er Angst davor hat, dass ich eher sterbe als er, dann kann und will ich ihm diese Angst nicht nehmen. Aber ich kann ihm zeigen, dass ich immer für ihn da sein werde."

Beruflich hat sich Corinna Nordhausen in den vergangenen Wochen darauf spezialisiert, über verschiedene Onlineformate über das Thema aufzuklären. Für ersten Onlinekongress interviewten Pia und sie im vergangenen November 29 Experten auf diesem Gebiet und zeichneten die Gespräche auf.

Das Interesse sei auf Anhieb groß gewesen. 3.000 Teilnehmer aus vier Ländern interessierten sich für die Inhalte - und zahlten dafür. Es folgte ein erster Workshop für Fachkräfte und persönlich Betroffene mit dem Titel "Wenn Menschen sterben". Wiederum online.

"Der Fokus auf das Internet gibt mir die Chance, zeitlich flexibler zu sein und gleichzeitig mehr Menschen anzusprechen", sagt Corinna. Was im ersten Moment überrascht: Auch viele ihrer Kunden bevorzugten die Online-Variante, selbst diejenigen, die Corinna auf diese Weise weiterhin in deren letzten Wochen und Monaten begleitet. "Sie müssen nicht aufräumen und sich nicht chic machen. Und wenn es ihnen zu viel wird, machen sie einfach aus."

"Keine Angst vor dem Leben"

Während Corinna sich mit den Pflegern und Ärzten über Themen wie Sterbehilfe austauscht, die sie als Teil eines selbstbestimmten Lebens für unbedingt erforderlich hält, will sie Privatpersonen vor allem auf den Moment vorbereiten, in dem der Tod in irgendeiner Form in ihr Leben tritt.

Inzwischen kann Corinna von "Traudichkeit" leben. Sie hat ihren eigenen Podcast "Das Lebensende" gestartet. Ihrem Instagram-Profil folgen 5.000 Menschen.

"Durch meine Arbeit habe ich weder die Angst vor dem Sterben, noch die vor dem Tod verloren", sagt sie. "Aber ich habe mich ganz bewusst gegen die Angst vor dem Leben entschieden."