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Prozess in Dresden: Tödlicher Streit um den kleinen Sohn

Während im Landgericht der Prozess gegen einen 31-Jährigen aus Dresden beginnt, protestieren Frauen vor dem Gebäude gegen die Tat als Mord.

Von Alexander Schneider
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Igor P. hat laut Geständnis im vergangenen Jahr seine Ex-Freundin erstochen. Jetzt steht er in Dresden vor Gericht.
Igor P. hat laut Geständnis im vergangenen Jahr seine Ex-Freundin erstochen. Jetzt steht er in Dresden vor Gericht. © René Meinig

Es ist nur eine kleine Meldung. Am Sonntag, 16. Oktober 2022, teilt die Polizei mit: "Einsatzkräfte haben am Samstag in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Dresden-Seevorstadt eine leblose Frau (31) festgestellt. Ein hinzugerufener Notarzt konnte nur noch ihren Tod feststellen. Polizisten haben einen Tatverdächtigen (30) vorläufig festgenommen." Mutmaßlich handelt es sich um eine Beziehungstat, der Verdächtige ist der Vater des gemeinsamen Kindes, lebte getrennt vor der Mutter, es gab Streit um den Umgang mit dem eineinhalb Jahre alten Kind.

Der Mann, Igor P., sitzt seitdem in Haft und steht seit Dienstag wegen Mordes vor dem Landgericht Dresden. Er soll unmittelbar an der Wohnungstür auf die Frau eingestochen haben, als sie ihm geöffnet habe. Zwei Stiche in Hals und Brustkorb, vier in den Rücken. Mordmerkmale sind niedrige Beweggründe – der Streit ums Kind – und Heimtücke – die Frau habe mit dem Angriff nicht rechnen können. Mit der Tat habe der Angeklagte "seine Machtansprüche" gegenüber der Geschädigten demonstrieren und sie für den Streit um den Umgang mit dem gemeinsamen Sohn bestrafen wollen, so der Staatsanwalt.

Frauendemonstration gegen Femizide am Dienstag vor dem Dresdner Landgericht.
Frauendemonstration gegen Femizide am Dienstag vor dem Dresdner Landgericht. © René Meinig

Frauendemonstration gegen Femizide

Noch ehe der Prozess beginnt, demonstriert ein gutes Dutzend Frauen vor dem Gerichtsgebäude unter dem Motto "Nehmt ihr uns eine, antworten wir alle! – Femizide stoppen". Jeden dritten Tag, argumentieren sie, stirbt in Deutschland eine Frau, meist durch die Hand ihres Mannes oder Partners, aber: "weil sie eine Frau ist". Das sagt etwa Andrea Pankau vom Landesfrauenrat Sachsen und Leiterin der Demonstration. In Sachsen seien seit 2020 bereits 19 Frauen Opfer von Femiziden geworden, in diesem Jahr vier. Erst am Freitag wurde in Flöha ein 85-jähriger Rentner verhaftet, der verdächtigt wird, seine Ehefrau (71) getötet zu haben.

Auch der Angeklagte Igor P., dessen Prozess nun beginnt, da sind sich die Demonstrantinnen sicher, habe einen solchen Mord begangen. Sie fordern, diese Taten auch offiziell Femizide zu nennen. Der Staat müsse im Vorfeld häuslicher Gewalt mehr tun. Man könnte die Aggressoren, überwiegend seien es Männer, neben einem Platzverweis etwa auch präventiv in Polizeigewahrsam nehmen, sagt etwa Sylvia Müller von der Dresdner Interventions- und Koordinierungsstelle für Opfer häuslicher Gewalt (DIK) und kritisiert, dass die "Istanbul-Konvention", in der solche Regelungen festgehalten sind, nicht umgesetzt werde.

Auch die Ausübung von Sorge- und Umgangsrechten dürfe nicht zur Gefährdung von Frauen oder ihrer Kinder führen. Weiter behaupten die Demonstrantinnen, die deutsche Justiz spreche getöteten Frauen oft eine Teilschuld für ihren Tod zu, so würden Gerichte sogar "Besitzansprüche von Männern legitimieren".

Drinnen im Saal ist man von der Demo zum Prozessauftakt, von der eine "unnötige Unruhe" ausgehe, dem Vernehmen nach nicht begeistert. Die Beweisaufnahme steht vor ihrem Anfang, der Angeklagte hat sich bislang selbst noch nicht zu den Vorwürfen geäußert, das Motiv der Tat: bislang unklar. Anwältin Susanne Köhler, Chefin des Landesfrauenrates, vertritt die Nebenklage der Hinterbliebenen und sitzt mit am Verhandlungstisch.

Totschlag oder Mord?

Auch Igor P. hat mit seiner Ex-Partnerin um Umgangs- und Sorgerecht gestritten. Das sagt Verteidigerin Linda Röttig, die eine lange und ausführliche Erklärung ihres Mandanten verliest. Der Mann gesteht nun erstmals, die 31-Jährige an jenem Freitagabend erstochen zu haben. Allerdings habe er zuvor länger mit ihr in deren Wohnung gestritten. Er habe sich provoziert gefühlt, als sie gesagt habe, sie wolle das alleinige Sorgerecht. Das sei für P. "ein Schlag ins Gesicht gewesen".

Er habe ein Küchenmesser in der Spüle gegriffen und zugestochen, seiner Erinnerung nach dreimal. Er sei dann "wie erstarrt gewesen, völlig überfordert". Habe versucht, das Blut mit Handtüchern aufzuwischen, die Handys ausgeschaltet und die Tote auf das Sofa gelegt. Dann habe er die Sachsen seines Sohnes, er habe im Nebenraum geschlafen, zusammengepackt, ihn in den Kinderwagen gesetzt und sei nach Hause Richtung Südhöhe gelaufen. Unterwegs habe er die Handtücher und das Tatmesser in einen Mülleimer geworfen, wahrscheinlich an einer Haltestelle am Hauptbahnhof.

Nach P.s Version könnte es sich bei der Tat im Affekt um einen Totschlag handeln, der anders als beim Mord nicht zwangsläufig mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet wird. Diese Frage wird nun wohl im Mittelpunkt der Beweisaufnahme stehen.

Der Leichnam wurde am Sonnabendnachmittag gefunden, Igor P. am frühen Sonntag gegen 3 Uhr festgenommen. Da war er mit seinem Sohn in der Wohnung seiner Mutter und seinem Stiefvater. Man hatte dort die Polizei offenbar schon erwartet. Der Stiefvater habe sofort geöffnet, als er das Wort Polizei gehört habe, berichtet eine Beamtin im Zeugenstand.

Igor P. wurde in der Ukraine geboren, kam mit zwölf nach Dresden und ist deutscher Staatsbürger. Nach dem Abitur machte er eine Ausbildung zum Fahrdienstleiter bei der Bahn, wo er bis Mitte 2022 arbeitete. Dann begann er ein Studium zum Kommunikationselektroniker. Das Paar hatte sich im Herbst 2021 getrennt. Ende 2021 hat er seine Ex-Partnerin geschlagen und wurde dafür zu einer Geldstrafe verurteilt, die er in der Untersuchungshaft abgesessen hat.

Das Gericht hat vorerst zehn Sitzungstage bis Ende Oktober angesetzt.