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Flixbus-Prozess in Dresden: Gehst Du zu Gericht, vergiss' die Trompete nicht

Nach zwei langen Sitzungstagen im Amtsgericht Dresden spielt der Angeklagte bei seiner eigenen Verurteilung ein Ständchen – von draußen. Warum er aus seinem eigenen Prozess herausgeflogen ist.

Von Alexander Schneider
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Nach wiederholten Störungen fliegt Heiko B. aus seinem Prozess am Amtsgericht Dresden. Wachtmeister bringen ihn nach draußen. Zuvor hatte der Richter dem lautstarken Angeklagten dreimal ein Ordnungsgeld von je 150 Euro aufgebrummt.
Nach wiederholten Störungen fliegt Heiko B. aus seinem Prozess am Amtsgericht Dresden. Wachtmeister bringen ihn nach draußen. Zuvor hatte der Richter dem lautstarken Angeklagten dreimal ein Ordnungsgeld von je 150 Euro aufgebrummt. © SZ/Alexander Schneider

Dresden. Heiko B. ist immer für eine Überraschung gut. Schon am ersten Verhandlungstag hatte der 58-jährige Stolpener ein ganzes Konvolut an Papier auf der Anklagebank ausgebreitet, um seine angebliche Unschuld zu belegen. Er soll am 1. Dezember 2022 in der Hansastraße vor dem Bahnhof Neustadt gegen 9 Uhr einen Flixbus gestoppt haben, mit dem er nach Berlin fahren wollte.

Das Problem: Die Haltestelle war baustellenbedingt verlegt worden. Der Bus durfte dort nicht halten. Einen Strafbefehl wegen Nötigung hatte B. nicht akzeptiert.

B. hatte am zweiten Sitzungstag wieder reichlich Klamauk im Amtsgericht Dresden veranstaltet, teils mit Sprachwitz, teils mit bis hin zur Beleidigung reichenden Provokation, teils auch mit Maskerade. Er regte sich über verschiedene Staatsanwälte auf, verlangte, die Verhandlung mitzuschneiden, er spielte vor seinem Publikum, einer Schulklasse, im Saal sogar einen Film auf seinem Laptop ab und ähnliches mehr.

Vor allem fiel der Mann auch an diesem zweiten Verhandlungstag immer wieder dem Richter Rainer Gerards ins Wort, was dieser ungewöhnlich lange ertrug. Gerards weiß, dass B. leicht reizbar ist. Er hatte ihn schon 2022 wegen einer Corona-Sache vor sich – und ihn damals sogar freigesprochen.

Studierter Physiker, nicht vorbestraft, anstrengend

Heiko B. ist studierter Physiker, muss jedoch irgendwann den Halt verloren haben. Sichtlich erregt wurde er, als der Richter ihn auf seine Knieverletzung ansprach. B. berichtete von einem selbst verschuldeten Skateboard-Unfall und dass er in der Folge angeblich falsch behandelt worden sei. Auch das war offenbar eine Ursache für seinen Frust auf die Justiz. Jetzt lebt er von Bürgergeld, kümmert sich um allerlei Vögel, wie er sagt, kämpft gegen Rechtsbeugungen – und ist bislang nie verurteilt worden. Immerhin.

Am Mittwoch wiederholte B., dass er den Bus angehalten habe, weil er fürchtete, nicht mitgenommen zu werden, obwohl er - angeblich - eine Fahrkarte gehabt habe. Der Bus sei mehrfach an ihn herangefahren, schließlich sei B. sogar gestürzt, behauptete er. Als der Busfahrer wenig später mit Polizeibeamten gesprochen habe, sei er schnell in den Bus gestiegen.

Dann kam im Prozess, endlich, der Busfahrer an die Reihe. Der 77-Jährige war schon am ersten Verhandlungstag umsonst für seine Aussage nach Dresden gereist. Wegen des Theaters, das B. veranstaltet hatte, war so viel Zeit vergangen, dass sich Richter Gerards gezwungen sah, den Prozess fortzusetzen und den Rentner unvernommen nach Hause zu schicken.

Der Zeuge ist in jeder Hinsicht er"fahren". Schon sein ganzes Leben fährt er Bus, unterbrochen nur von seiner Wehrpflicht. Auch jetzt als Rentner kann er es nicht lassen. Im Sommer steuere er Reisebusse nach Italien und Spanien, im Winter pendle er im Flixbus zwischen Berlin und Dresden. Der Mann berichtete, dass die Haltestelle in der Hansastraße wegen der Baustelle nicht bedient worden sei.

"Er wollte mit Gewalt in den Bus"

Er hatte nach seinem Start am Dresdner Hauptbahnhof um 8.40 Uhr an der Haltestelle "Hainstraße" gestoppt, ein gutes Stück vor der Hansastraße. In der Hansastraße habe er dann den Angeklagten auf die einspurige Fahrbahn laufen sehen. Deswegen habe er angehalten. Er sei dort verkehrsbedingt nur zehn bis 15 km/h schnell gewesen. "Ich musste daher keine Gefahrenbremsung machen", so der Fahrer.

Der Angeklagte habe mit seinen Händen auf die Frontscheibe gefasst, die Straße aber nicht freigegeben. Er hätte den Mann und auch keinen anderen Fahrgast dort nicht einsteigen lassen. "Das darf ich auch nicht", sagte er. Als er dann die Tür öffnete, um mit einem Polizisten zu sprechen, habe sich der Angeklagte an ihm vorbei in den Bus gedrängt. "Sehr aggressiv. Er wollte mit Gewalt in den Bus." Und nein, so der Fahrer auf Nachfrage, er sei weder mehrfach auf den Angeklagten zugefahren, noch sei der Angeklagte gestürzt.

Als zweiter Zeuge berichtete ein Polizist, dass er mit seinem Kollegen zufällig etwa 50 Meter hinter dem Flixbus gestanden hatten: "Der Verkehr stockte." Sie hätten sich über den Stau gewundert, da habe er einen lauten Schrei aus der Richtung des Busses gehört und sei hingelaufen, so der 27-jährige Polizeimeister. Dann habe er eine Person, den Angeklagten, vor dem Bus stehen sehen, die die Fahrbahn nicht freigegeben habe.

Der Blockierer sei mehrfach aufgefordert worden, zu gehen. Als er im Bus saß, mussten die Beamten Verstärkung alarmieren, um ihn aus dem Fahrzeug zu bekommen. Eigentlich hat B. auch einen Hausfriedensbruch begangen. Doch weil Flixbus auf einen Strafantrag verzichtet hatte, wurde B. dieser Tatbestand nicht auch noch vorgeworfen.

Niemand hat die Fahrkarte gesehen

B. ertrug die Vernehmungen, stellte den Zeugen dann eigene Fragen, die jedoch entweder längst beantwortet waren oder sich als Versuch entpuppten, den Zeugen etwas einzureden: "Erinnern Sie sich, dass ich auf der Straße lag?" - "Nein". Interessant war, dass weder der Busfahrer noch der Polizist eine Fahrkarte von B. zu Gesicht bekommen hatten.

Der Richter ertrug den Angeklagten an diesem Tag "nur" die gut eineinhalb Stunden, in denen er die beiden Zeugen vernahm. Dann passierte, was Gerards bereits am ersten Tag und nun erneut mehrfach angekündigt hatte: Er brummte B. in kurzer Zeit dreimal ein Ordnungsgeld von je 150 Euro, wahlweise je drei Tage Haft, wegen ungebührlichen Verhaltens auf. Nach der letzten Verwarnung mussten Wachtmeister den jetzt mit einer weißen Perücke verkleideten Querulanten aus dem Saal entfernen. Das Plädoyer der Staatsanwältin und die Verurteilung fanden vor einer unbesetzten Anklagebank statt.

Während im Gerichtssaal das Urteil verkündet wird, spielt Heiko B. vor dem Fenster des Gerichtssaals auf seiner Trompete. Das klang so gut, dass irritierte Zuschauer im Saal zunächst glaubten, ein Handy klingelt.
Während im Gerichtssaal das Urteil verkündet wird, spielt Heiko B. vor dem Fenster des Gerichtssaals auf seiner Trompete. Das klang so gut, dass irritierte Zuschauer im Saal zunächst glaubten, ein Handy klingelt. © SZ/Alexander Schneider

Der Angeklagte Heiko B. wurde in Abwesenheit zu der Geldstrafe aus dem Strafbefehl von 600 Euro verurteilt. Das heißt, ganz abwesend war er nicht. B. stand draußen vor dem Fenster und spielte die Nationalhymne auf seiner Trompete.

Richter Gerards sagte, man könne sich streiten, ob die Blockade der Straße schon eine Nötigung gewesen sei - doch spätestens als der Angeklagte in den Bus stieg, sei der Tatbestand vollendet gewesen. B. sei "völlig uneinsichtig" gewesen, was strafschärfend berücksichtigt wurde. Für den Angeklagten habe gesprochen, dass er bislang nicht vorbestraft sei und, so hatte B. es behauptet, einen kranken Freund habe besuchen wollen. Auch wenn unklar blieb, ob B. tatsächlich eine Fahrkarte hatte, sei ihm jedoch nicht zu widerlegen, dass er möglicherweise nie eine gehabt habe, so Gerards.

Was das angeht, hätten ein Flixbusfahrer oder eine Flixbusfahrerin nun argumentiert, dass auf einer solchen Fahrkarte vermerkt gewesen wäre, dass die Haltestelle von der Hansastraße in die Hainstraße verlegt worden war.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Beim Sendungsbewusstsein des 58-Jährigen wird man wohl mit einer Neuauflage vor einer Berufungskammer des Landgerichts rechnen müssen.