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Gerichtsentscheid könnte das Kohle-Aus beschleunigen

Der Klima-Beschluss des Verfassungsgerichts wird die Energiewende vorantreiben. Damit käme auch auf die Sachsen einiges zu.

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Klimaschutz hat jetzt Verfassungsrang und ist einklagbar.
Klimaschutz hat jetzt Verfassungsrang und ist einklagbar. © dpa/Patrick Pleul

Von Hannes Koch

Zu erheblichen Veränderungen im täglichen Leben dürfte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik führen. Benzin, Diesel, Heizöl und Kohle könnten bald schneller als bisher geplant teurer werden. Ein konventionelles Auto zu fahren oder das Haus mit Öl und Gas zu wärmen, verursacht dann höhere Kosten. Als Ausgleich wird aber Strom eventuell billiger. Für die Förderung und Verfeuerung von Kohle bedeutet der Beschluss wohl, dass der Ausstieg deutlich vor dem bisherigen Enddatum 2038 kommt.

Als Antworten auf mehrere Klagen beschlossen die Verfassungsrichterinnen und Richter am vergangenen Donnerstag, dass das von Bundestag und Bundesrat 2020 gebilligte Klimaschutzgesetz die Freiheitsrechte der jungen Generation erheblich einzuschränken droht. Ihr werde eine zu große Last für die Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes aufgebürdet, der gegenwärtigen Generation eine zu geringe. Mindestens müsse man ab 2030 zusätzliche, konkrete Schritte festlegen, um die Abgase zu reduzieren, erklärte das Gericht. Es legte damit auch aus, was das Klima-Abkommen von Paris für Deutschland bedeutet. Der Klimaschutz hat dadurch jetzt Verfassungsrang und ist einklagbar.

Das Klima als politisches Thema ist jedenfalls jetzt der große Hit. Die Parteien versuchen, sich im beginnenden Bundestagswahlkampf so zu positionieren, dass sie profitieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will bereits an diesem Dienstag in der Koalition aus Union und SPD beraten, wie das Klimaschutzgesetz zu ändern ist.

Einen konkreten Vorschlag hat Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) für diese Woche angekündigt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte, die Klimaneutralität schon 2040, nicht erst 2050 zu erreichen. Und die Grünen nennen eine Zahl, die die Kosten für die Privathaushalte und Firmen betrifft: 2023 solle der Ausstoß einer Tonne Treibhausgase nicht 35 Euro, sondern 60 Euro kosten. In diese Richtung denkt auch die Organisation Agora Energiewende.

Alle müssen sich umstellen

Damit ist man an dem Punkt, der viele Menschen interessiert: Was ändert sich für mich? Weil ein wichtiges Werkzeug des Klimaschutzes hierzulande der Emissionshandel ist, geht es darum, wie sich die Gebühren für die Emissionen entwickeln. Heute beispielsweise beträgt der Aufschlag für eine Tonne Kohlendioxid-Ausstoß 25 Euro. Umgerechnet auf einen Liter Super an der Tankstelle macht das etwa sieben Cent, für einen Liter Heizöl ebenfalls. Wer den Kohlendioxid-Ausstoß senken will, muss den Preis erhöhen. Dann, so der Gedanke, verbrauchen die Privathaushalte und Firmen weniger fossile Energie. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Leben für alle einfach teurer wird. Die Koalitionsparteien wie auch die Grünen planen, die sogenannte EEG-Umlage, einen Bestandteil der Stromrechnung, zu senken und schließlich abzuschaffen. Im Idealfall gleichen sich die höheren Abgas- und geringeren Elektrizitätkosten aus.

Für die Beschäftigten der Braunkohleindustrie in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und die Belegschaften der hiesigen Kohlekraftwerke könnten die Folgen einschneidender sein. Je schneller der Preis steigt, desto eher ist der Energieträger am Ende – und zwar nicht erst 2038, sondern deutlich früher. Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes, sprach am Montag vom „Kohleausstieg bis 2030“.

So oder so kommen enorme Veränderungen auf die Gesellschaft zu. Und der Beschluss des Verfassungsgerichts zeigt, dass das zügig gehen könnte. Möglicherweise ist schon in 20 Jahren quasi kein normales Auto mehr auf hiesigen Straßen unterwegs. Gigantische Investitionen der Wirtschaft und des Staates wollen geplant und finanziert werden. Dieser Strukturwandel bringt Millionen neuer Arbeitsplätze, aber er vernichtet auch alte. Sehr viele Menschen müssen sich umstellen und neu lernen – im Alltag und im Berufsleben.