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Eine Familie, eine Woche, 100 Euro fürs Essen. Wir haben es probiert!

Das freiwillige Experiment verlangt einer vierköpfigen Familie mehr ab als erwartet. Aber es setzt gute Ideen frei und verschafft etliche Erkenntnisse. Teil 2 des Versuchs.

Von Susanne Plecher
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Es gibt Matjes. Weil der fertig eingelegte Sahnehering teurer ist, bereitet Sächsische.de-Redakteurin Susanne Plecher die Remoulade selber zu. So weiß sie auch genau, was drin ist.
Es gibt Matjes. Weil der fertig eingelegte Sahnehering teurer ist, bereitet Sächsische.de-Redakteurin Susanne Plecher die Remoulade selber zu. So weiß sie auch genau, was drin ist. © Jürgen Lösel

Eine Woche lang, von Montag bis Montag, wollten meine Familie und ich für unsere Lebensmittel nicht mehr als 100 Euro ausgeben. Das ergab ein Tagesbudget von 3,57 Euro pro Person. Um es einzuhalten, schrieben wir Einkaufslisten, planten unsere Mahlzeiten, legten als Einkaufstage Montag und Freitag fest. So ist unsere Woche verlaufen:

Montag: Am ersten Tag kommen mir ernsthafte Zweifel.

Die Lebensmittel, die ich am Morgen für 57,83 Euro bei Aldi gekauft habe, sollen bis Freitag reichen. Als ich sie daheim für das Foto auf dem Küchentisch ausbreite, überkommen mich Zweifel. Zum Glück isst wenigstens unser Sohn drei Tage in der Schule zu Mittag, für unsere Tochter ergibt sich das wegen diverser Projekte in dieser Woche nicht. Die 10,76 Euro dafür ziehen wir vom Familienbudget ab. Bleiben noch 31,41 Euro für den Wochenendeinkauf. Das wird knapp! Wir verabreden, dass wir außer der Reihe kein Geld für Lebensmittel ausgeben wollen. Von Donnerstag bis Montag plane ich warmes Essen für alle vier ein.

Mein Mann und ich arbeiten heute im Homeoffice. Unsere Tochter kommt gegen 13 Uhr aus der Schule nach Hause. Gemeinsam essen wir eine schnell zubereitete Mahlzeit: Spaghetti mit gebratenen Zucchini und gerösteten Sonnenblumenkernen. Die Zutaten kosten 1,60 Euro. Abends gibt es Brot und Rucola-Tomaten-Salat mit Kichererbsen. Den Rucola pflücke ich im Garten. Es fühlt sich an wie ein ganz normaler Lockdowntag. Während der Monate damals haben wir auch jeden Tag gekocht und mit den Kindern gegessen. Der Start unseres Experiments verläuft friedlich.

Der erste Einkauf für 57,83 Euro muss bis Freitag reichen. Schaffen wir das?
Der erste Einkauf für 57,83 Euro muss bis Freitag reichen. Schaffen wir das? © Jürgen Lösel

Dienstag: Schnitte essen auf Arbeit macht einsam.

Meine Kollegen blicken mit großen Augen auf meine Lunchbox. „Kommst du nicht mit essen?“, fragen sie. Nein, Nein, Kantinenessen ist mit vier bis fünf Euro zu teuer. Das kann ich mir in dieser Woche nicht leisten. Ich bleibe eisern – und während der Pause am Arbeitsplatz. Sie in die Kantine zu begleiten und zuzusehen, was sie essen – das muss nun auch nicht sein. So bleibe ich meinem Vorhaben treu, bekomme aber von den Gesprächen bei Tisch nichts mit. Das mag eine Woche lang nicht weiter ins Gewicht fallen, denke ich und beiße vom Käsebrot ab. Müsste ich das länger so handhaben, würde es mir schwerfallen, ich würde mich einsam fühlen. Gemeinsam zu essen ist eben mehr als Nahrungsaufnahme.

Abends machen wir vegetarische Flammkuchen und Pflücksalat aus dem Garten. Kostenpunkt: 2,58 Euro für zwei Flammkuchenteige, dazu etwa 1,50 Euro für den Belag, der aus Frischkäse, einer Zucchini, zwei Tomaten, einer Paprikaschote, einer halben Dose Mais aus dem Vorrat und etwas geriebenem Käse besteht. Den mittelalten Gouda habe ich im Stück gekauft. Das ist günstiger als geriebener Tütenkäse.

Das Obst ist schrumpelig geworden, aber zu schade zum Wegwerfen. Da fällt mir etwas Gutes ein ....
Das Obst ist schrumpelig geworden, aber zu schade zum Wegwerfen. Da fällt mir etwas Gutes ein .... © Torsten Plecher

Mittwoch: Drei von uns verstoßen heute gegen die Regeln.

So ein Experiment strengt an, weil es abweicht vom normalen Alltag. Wir müssen viel mehr planen, bedenken, uns disziplinieren als sonst. Ein bisschen schief geht das heute. Mein Mann hat vergessen, sich Schnitten zu schmieren, und nach einem Außentermin hungrig an der Tankstelle angehalten. Sein Bockdog – eine Bockwurst im getoasteten Teigmantel– kostete 3,19 Euro. Ich schaffe es auch nicht, mich an unsere Null-Euro-außer-Haus-Abmachung zu halten. Während eines Elternstammtisches beim Griechen fühle ich mich genötigt, ein Getränk zu bestellen. Das Günstigste kostet 2,20 Euro. Die anderen ordern Essen und große Getränke.

Die Woche unseres Selbsttests fällt ausgerechnet auf die letzte Schulwoche vor den Sommerferien. Eltern wissen, dass man dann nicht Herr seines eigenen Kalenders ist. Nach langen Arbeitstagen haben wir neben dem Elterntreffen eine Theatervorstellung und das Schulfest. Zudem feiert die Klasse unserer Tochter ihr Abschlussfest mit Picknick am Fluss. Jeder bringt etwas mit. Das bedeutet wieder Zusatzkosten.

Für die Zutaten der Blätterteigröllchen mit Frischkäse und Bio-Schinken bezahlen wir 5,57 Euro. Weil am Donnerstag Schulfest ist und die Kinder erst am Nachmittag in der Schule sein müssen, übernachten beide bei Freunden. Wir Eltern machen uns, als wir kurz nach neun endlich zu Hause sind, ein schnelles Rührei mit Gemüse. Zum Glück war mein Mann einkaufen: Brot, Milch und Butter waren schon alle. 2,20 Euro kostet ein Stück jetzt. Es ist noch nicht so lange her, dass wir dafür 1,85 Euro bezahlt haben. Hoffentlich profitieren auch die Bauern von den gestiegenen Preisen.

Donnerstag: Wir gehen Fremdessen. Gott sei Dank!

Eine Freundin hat Geburtstag und lädt uns abends zum Grillen ein. Wie praktisch! Ich komme etwas später dazu und werde mit den Worten begrüßt: „Ich habe gelesen, dass Du Hunger hast?“ Der Selbsttest ist auch am Tisch Thema, während wir Gemüsespieße und Steaks verspeisen. Die Hälfte der Gäste ist davon überzeugt, dass das Budget nie reichen wird. Die andere Hälfte meint, es sei locker möglich. Wir, die mitten drin stecken, können zum jetzigen Zeitpunkt sagen: Möglich ist es, aber locker ganz bestimmt nicht!

.... aus dem schrumpeligen Obst mache ich ein Mus. Dazu gibt es Naturjoghurt, Nüsse und Honig.
.... aus dem schrumpeligen Obst mache ich ein Mus. Dazu gibt es Naturjoghurt, Nüsse und Honig. © Torsten Plecher

Freitag: Sparen kann sich richtig und gut anfühlen.

Unser Experiment ist zur Hälfte vorüber, aber wir schlagen uns gut. Heute kaufe ich fürs Wochenende ein und kann unser Vorhaben, Wurst und Fleisch nur in Bio-Qualität zu essen, weiter einhalten. Ich bezahle 23,68 Euro. Das restliche Gemüse, das vom Montagseinkauf übrig war, verarbeite ich zu einer Gemüsepfanne. Dazu gibt es Couscous. Dieses Essen hat etwa drei Euro gekostet.

Drei Pfirsiche, eine Birne und ein Apfel sind im Lauf der Woche schrumpelig geworden. Sie sind zu schade zum Wegwerfen – aber mit den braunen Flecken und der wabbeligen Konsistenz mag sie hier niemand mehr essen. Ich schäle, koche und püriere sie und schmecke mit Honig ab. Das Mus gibt es als Nachtisch zusammen mit Naturjoghurt und Nüssen. Lebensmittel gerettet und gut und günstig gegessen. Sparen kann auch Spaß machen.

Wochenende: Es gibt zum ersten Mal in dieser Woche selbst gekauftes Fleisch

Am Wochenende verzichten wir auf die Bäckerbrötchen und essen Toast. Ein Ei ist trotzdem drin, Wurst, Käse, Marmeladen, Pfirsiche und Weintrauben. Am Samstag essen wir Kartoffeln mit Quark, das mag jeder von uns gern. Aber der Jubel ist groß, als es am Sonntag Fleisch gibt: Klopse mit Kohlrabigemüse und Kartoffelbrei. Für die insgesamt 750 Gramm gemischtes Biohackfleisch haben wir 9,48 Euro bezahlt. Der riesige Kohlrabi kostete 0,49 Euro, die Kartoffeln etwa genau so viel. Weil noch Butter übrig ist und die Johannisbeeren reif sind, backen wir einen Beeren-Crumble. Jetzt ist der Zucker alle.

Das wird unser Sonntagsessen....
Das wird unser Sonntagsessen.... © Torsten Plecher

Montag: Am letzten Tag fühlt sich das Sparen schon ganz normal an.

Wir sind wieder im Homeoffice, deshalb gibt es ein warmes Mittagessen und keine Schnitten. Auf dem Speisenplan stehen Matjes mit Kartoffeln und Salat. Die 400-Gramm-Packung Sahneheringe kosten bei Aldi 1,69 Euro. Davon sind aber nur 165 Gramm Fisch, der Rest Remoulade. Deshalb habe ich eine Packung Matjesfilets (256 Gramm) für 1,49 Euro gekauft und mit Apfel, Zwiebel, Gurke, Joghurt und saurer Sahne eingelegt. Die Kinder essen Fischstäbchen.

Obwohl unser Experiment heute endet, ist unser Kühlschrank nicht leer. Wir haben noch einen halben Camembert, einige Scheiben Wurst, drei Kiwis, zwei Bananen, drei Äpfel, zwei Tomaten, eine Milch, ein halbes Stück Gouda, einen großen Becher Naturjoghurt und ein halbes Stück Butter. Brot und Toastbrot sind aber genau so alle wie der Kaffee. Wegen der Essenseinladung von Donnerstag haben wir eine Mahlzeit gespart: Die Packung Spinat liegt noch im Kühlfach, dazu sind ausreichend Kartoffeln und Eier übrig.

Am Sonntag gibt es Klopse mit Kohlrabigemüse, brauner Butter und Kartoffelbrei.
Am Sonntag gibt es Klopse mit Kohlrabigemüse, brauner Butter und Kartoffelbrei. © Torsten Plecher

Fazit 1: Das Budget

Für den ersten Einkauf am Montag habe ich 57,83 Euro bezahlt. Am Mittwoch mussten wir für 8,66 Euro nachjustieren. Der Wochenendeinkauf am Freitag kostete 23,68 Euro. Zuzüglich der 10,76 Euro Essengeld für unseren Sohn bezahlten wir insgesamt 100,93 Euro und lagen damit 0,93 Euro über unserem Budget. Die zusätzlichen, ungeplanten Ausgaben – Blätterteigröllchen, Bockdog und Limo– schlugen jedoch mit 10,96 Euro zu Buche. Damit landen wir bei 111,89 Euro.

Fazit 2: Der Vorrat

Eine kleine Dose Mais, ein Glas Kichererbsen, Sonnenblumenkerne, Honig und Marmeladen sowie Gewürze, Olivenöl, Zucker und Mehl haben wir aus unserem Vorrat genommen. Salat, Beeren und Kräuter steuerte der Garten bei, auch frische Minze, um unser Leitungswasser aufzupeppen

Unsere drei Kassenbons. Dazu kommen noch 10,76 Euro für das Schulessen und 10,96 Euro für ungeplante Ausgaben.
Unsere drei Kassenbons. Dazu kommen noch 10,76 Euro für das Schulessen und 10,96 Euro für ungeplante Ausgaben. © Jürgen Lösel, www.loesel-photographie.de

Fazit 3: Was wir gelernt haben

Wer sparen muss, muss nicht hungern, aber gut planen. Und er muss sehr diszipliniert sein. Jeder, der das schon jetzt macht, verdient meinen Respekt. Uns ist das schwergefallen und nicht komplett gelungen. 100 Euro pro Woche sind 400 Euro für die Monatsverpflegung. Auch die – ein Leser schrieb es – muss man erst einmal aufbringen. Wegen der stark gestiegenen Preise und der Furcht vor hohen Energienachzahlungen werden sich jetzt viele, die vorher nicht so genau auf den Cent schauen mussten, einschränken. Alleinerziehende, Geringverdiener oder Menschen, die von Hartz IV leben müssen, betrifft das besonders. Der Verpflegungssatz bei Letzteren liegt bei 145,40 Euro pro Monat. Heruntergebrochen auf den Tag sind das 4,85 Euro.

Unser Budget, auch das ist eine Erkenntnis aus dieser Woche, hätte nicht gereicht, wenn beide Kinder jeden Tag eine warme Mahlzeit in der Schule eingenommen hätten. Schulessen muss endlich für alle kostenlos werden. Eine Gesellschaft, die sich Tankrabatte oder Bankenrettungen leisten kann, darf bei den Kindern nicht länger versagen.

Gemeinschaft ist oft mit Geld verbunden. Das Essen mit den Kollegen, das Abschlussfest der Kinder, das gemütliche Beisammensein mit anderen Eltern - immer fallen dabei Kosten an. Ein Großteil unserer Extraausgaben sind genau in diesen Situationen angefallen. Wer sich das nicht leisten kann, grenzt sich selber aus. Vielleicht auch, weil es ihm peinlich ist. Man wird einsamer.

Wer beim Einkauf auf das Geld achten muss, gerät ganz schnell in Konflikt mit seinen Werten und Überzeugungen. Bio, regional, fair, frisch, verpackungsarm – uns ist es nicht gelungen, das alles einzuhalten. Aber man schafft es, jeden Tag, Obst und Gemüse zu essen, frisch zu kochen und Biofleisch zu essen, wenn es nur einmal in der Woche auf den Tisch kommt.

Das ist allerdings alles andere als leicht. Denn Kochen ist zusätzliche Arbeit, die Zeit und Muße braucht. Wer nach einem langen Arbeitstag abends erschöpft heimkommt, wird diese Kraft nicht immer aufbringen.

Sparen ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Jeder definiert für sich, worauf er am ehesten verzichten kann. Wer den Rotstift beim Essen ansetzt, lässt zwangsläufig nicht nur überflüssigen Schnickschnack wie Süßes, Knabberzeug oder Alkohol weg. Wir haben auch Wurst vom Fleischer und Brot vom Bäcker gestrichen, bei manchen Produkten die Bioqualität oder die faire Erzeugung. Das hat Auswirkungen auf die Hersteller – kleine Betriebe in der Nachbarschaft, Kaffee- und Bananenbauern in Übersee bekommen Sparzwänge der Bevölkerung sehr schnell zu spüren.

Zum Schluss zwei positive Feststellungen: Wir haben sehr bewusst gegessen und unser Essen genossen. Und wir haben nichts weggeworfen.