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Sie kämpfen um jedes Spenderorgan

Nur 56 Menschen im Jahr spenden in Sachsen ein Organ. Es könnten mehr sein, meinen zwei Intensivmedizinerinnen aus Zwickau und Dresden – und sagen, was sich dazu ändern muss.

Von Stephanie Wesely
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Organspende ist für sie eine Herzensangelegenheit – Dr. Anne Trabitzsch, Intensivmedizinerin am Uniklinikum Dresden (links), und Dr. Mandy Olbrecht, Intensivmedizinerin am Heinrich-Braun-Klinikum Zwickau.
Organspende ist für sie eine Herzensangelegenheit – Dr. Anne Trabitzsch, Intensivmedizinerin am Uniklinikum Dresden (links), und Dr. Mandy Olbrecht, Intensivmedizinerin am Heinrich-Braun-Klinikum Zwickau. © ukd zb kom; HBK/Patricia Langbein

Tagtäglich stehen sie an den Betten Schwerstkranker. Die Endlichkeit des Lebens rückt dort besonders ins Bewusstsein. Die beiden Intensivmedizinerinnen Mandy Olbrecht vom Heinrich-Braun-Klinikum Zwickau und Anne Trabitzsch vom Universitätsklinikum Dresden kämpfen darum, dass mehr Patienten durch Organspenden gerettet werden können. Sie sind Transplantationsbeauftragte. Doch es warten fast zehnmal mehr Menschen auf eine Spende, als Organe entnommen werden können. Auch wenn ihre Kliniken verschieden sind, haben die Ärztinnen die gleichen Sorgen.

Problem 1: Die Corona-Pandemie

Sachsen wurde zum Ende des vergangenen Jahres stärker von der Pandemie getroffen als andere Bundesländer. Das hatte Auswirkungen auf die Organspende. Während deutschlandweit 2021 die Spenderzahl leicht nach oben ging, sank sie im Freistaat. So spendeten 933 Verstorbene in Deutschland ein oder mehrere Organe – 20 mehr als 2020. In Sachsen waren es 56 Menschen – zwölf weniger als 2020. Das änderte sich im ersten Quartal 2022: Deutschlandweit ging die Spenderzahl um 29 Prozent zurück, in Sachsen blieb sie konstant – auf niedrigem Niveau.

"In unserer Klinik waren von 85 potenziell als Spender infrage kommenden Patienten sieben Corona positiv. In drei Fällen wurde eine Hirntoddiagnostik durchgeführt, doch nur eine Familie hat ihre Zustimmung zur Spende gegeben", sagt Mandy Olbrecht. Auch im Uniklinikum Dresden war die Situation angespannt. Dennoch war das Klinikum mit 15 realisierten Organspenden 2021 Spitzenreiter der Region Ost, zu der Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gehören.

Ein positiver Coronatest schließe eine Organspende jetzt nicht mehr kategorisch aus, sagt die Dresdner Transplantationsbeauftragte. Ist die Infektion nur ein Nebenbefund bei vorliegendem schweren Hirnschaden, sei eine Organspende möglich. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) werden seit März Organe dieser Spender bei Eurotransplant angeboten.

Problem 2: Die Vorurteile

© Bildstelle

"Die Organspende ist in Deutschland immer noch zu negativ belegt", sagen die Ärztinnen. So fürchten viele, dass nicht alles für sie getan werde, wenn sie erst Inhaber eines Organspendeausweises sind, oder dass Angehörige sich nicht angemessen von dem Verstorbenen verabschieden könnten. "Doch diese Sorgen sind unbegründet", so Anne Trabitzsch. Das Ziel aller Mediziner sei es, das Leben des Patienten zu retten. "Notärzte, Rettungsteams und Intensivmediziner, die sich um das Leben des Patienten bemühen, haben nichts mit der Organentnahme und der Transplantation zu tun. Alles andere wäre unethisch", sagt sie. Voraussetzung für eine Entscheidung über eine Organspende sei der irreversible Hirnfunktionsausfall, der sogenannte Hirntod. Eine solche Situation kann nach Unfällen oder Schlaganfällen auftreten. Kreislauf und Atmung müssen dann künstlich aufrechterhalten werden. Passiert dies nicht, ist eine Organentnahme nicht mehr möglich. "Der Ablauf der Hirntoddiagnostik ist durch die Bundesärztekammer genau vorgeschrieben und muss durch zwei unabhängige Ärzte mit spezieller Qualifikation erfolgen. Nach zwölf Stunden wird die Diagnostik wiederholt", so Mandy Olbrecht.

Nach der Organentnahme, die unter den gleichen Bedingungen wie jede andere Operation erfolgt, verschließen die Chirurgen die Operationswunden und übergeben den Spender in würdigem Zustand. Er wird dann für eine Aufbahrung vorbereitet, sodass Angehörige Abschied nehmen können.

Laut DSO helfen auch Organe alter Menschen, es gebe keine Altersgrenze. Die bisher älteste Spenderin Deutschlands war 98 Jahre alt. Ihre Leber konnte erfolgreich transplantiert werden.

Problem 3: Der Zeitmangel

Der Eintritt des Hirntodes ist zwar ein plötzliches Ereignis, deutet sich aber oft schon vorher an. Um diese irreversiblen Hirnschädigungen rechtzeitig zu erkennen und damit den Kreislauf aufrechterhalten zu können, wurde von Anne Trabitzsch und dem DSO-Koordinator des Uniklinikums das elektronische Screeningtool "Detect" entwickelt, das anhand der Patientendaten ein solches drohendes Ereignis anzeigt. "Damit haben wir mehr Zeit, auch um Angehörige in dieser schweren Zeit besser begleiten und beraten zu können." Das Screeningtool habe dazu beigetragen, dass am Uniklinikum mehr Hirntoddiagnostiken erfolgen konnten. In der gesetzlich vorgeschriebenen Nachbetrachtung von Fällen irreversibler Hirnschädigung wurden 2016 elf Patienten übersehen, seit "Detect" keiner mehr.

"Wir wissen natürlich nicht, ob die elf Patienten 2016 auch wirklich zu Organspendern geworden wären, doch aus Unkenntnis haben wir die Frage gar nicht gestellt", sagt sie. Viele deutsche Kliniken hätten bereits Interesse an dem Screeningtool bekundet. "Damit könnte sich die Spenderzahl möglicherweise erhöhen. Wir müssen alle vorhandenen Möglichkeiten nutzen, um die Situation der Menschen auf der Warteliste zu verbessern."

Problem 4: Die gesetzlichen Regelungen

In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Hat der Verstorbene seinen Willen zur Organspende nicht in einem Ausweis dokumentiert, schriftlich niedergelegt oder mündlich geäußert, werden die Angehörigen gebeten, eine Entscheidung nach dem vermuteten Willen oder den Wertvorstellungen des Verstorbenen zu treffen. "Das ist eine große Belastung", sagt Mandy Olbrecht. " Angehörige haben oft Angst, falsch zu handeln und lehnen die Spende ab." So schwierig das Thema auch sei, sollte es unbedingt bei Lebzeiten besprochen und möglichst schriftlich fixiert werden.

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage für die Techniker Krankenkasse waren in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt 54 Prozent der Befragten bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden, nur 21 Prozent haben es in einem Organspendeausweis dokumentiert. Deshalb begrüßen es die Ärztinnen, dass der Bundesgesundheitsminister einen erneuten Anlauf für die sogenannte Widerspruchslösung unternimmt.

Die Widerspruchslösung sieht vor, dass jeder prinzipiell Organspender ist, der nicht ausdrücklich widerspricht. Unabhängig davon wird ein bundesweites Organspenderregister eingeführt. Dort kann jeder eintragen, was mit seinen Organen nach einem Hirntod geschehen soll. Auf dieses Register sollen alle der rund 1300 deutschen Entnahme-Krankenhäuser zugreifen können. In Sachsen sind das 64 Krankenhäuser. Angehörige müssen nur befragt werden, wenn kein Eintrag vorhanden ist. Das Register soll Ende dieses Jahres nutzbar sein.

Problem 5: Die Beratungsmöglichkeiten

Mandy Olbrecht und Anne Trabitzsch wünschen sich mehr unkomplizierte Möglichkeiten der Beratung für Fragen der Patientenverfügung und der Organspende. "Der Ausschluss lebensverlängernder Maßnahmen muss nicht das Aus für die Organspende bedeuten. Denn die Lebensverlängerung gilt allein für den Verfasser der Vollmacht. Sie schließt nicht aus, als Hirntoter Organe zu spenden", so die Ärztinnen. Da Hausärzte in Deutschland großes Vertrauen genießen, möchten beide diese Arztgruppe in die Beratung einbeziehen. Erste Anfänge sind gemacht: Im seit März geltenden Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft sollen Hausärzte ihre Patienten alle zwei Jahre zur Organspende beraten. Diese Zeit soll gesondert vergütet werden. Denn bis bei den Menschen ein Umdenken stattfindet, wird viel Aufklärung nötig sein.