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Görlitz: Als die Straßenbahn im Fünf-Minuten-Takt fuhr

Seit Dezember 1897 fährt die Görlitzer Straßenbahn mit Strom. Oft sollte sie weg, doch sie fährt noch immer.

Von Ralph Schermann
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Auch auf dem Mühlweg fuhr einst die elektrische Straßenbahn, hier ein Rückblick auf das Jahr 1905. Repro: Sammlung Ralph Schermann
Auch auf dem Mühlweg fuhr einst die elektrische Straßenbahn, hier ein Rückblick auf das Jahr 1905. Repro: Sammlung Ralph Schermann © Repro: Sammlung Ralph Schermann

In diesen Tagen feiern die Görlitzer Verkehrsbetriebe ein Jubiläum: Seit 125 Jahren fährt die hiesige Straßenbahn mit elektrischem Strom. Man kann nur hoffen, dass die Straßenbahner nicht so feiern wie beim 50. Jubiläum im Jahr 1947: Damals wurde, damit auch alle Mitarbeiter schön feiern konnten, am Sonnabend, dem 6. Dezember, ab 18 Uhr der Fahrbetrieb komplett eingestellt. Kaum zu glauben, war aber so.

Und wie war das 1897? Da hatte die Görlitzer Straßenbahn schon 15 Sommer und Winter lang ihre Runden gedreht – mit Pferden als Antrieb. Nun sollte ein neuer Fortschritt einziehen, denn seit es in Frankfurt/Main (1884), Halle (1891) und Gera (1892) mit elektrischem Strom vorwärtsging, war das neue Straßenbahn-Zeitalter nicht mehr zu bremsen.

Statt Masten wurden viele Haltedrähte der Oberleitung zwischen die Häuser gespannt und an Wandrosetten befestigt. Noch heute findet man einige an den Görlitzer Fassaden.
Statt Masten wurden viele Haltedrähte der Oberleitung zwischen die Häuser gespannt und an Wandrosetten befestigt. Noch heute findet man einige an den Görlitzer Fassaden. © Ralph Schermann

Bereits 1896 war die Görlitzer Zuckelbahn von der Berliner Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft gekauft worden, und beim Namen AEG ahnte jeder, warum: Mit einer elektrischen Bahn erhoffte sich damals jeder Profit, denn die Fahrgastzahlen stiegen parallel zum Anstieg der Einwohnerzahl. Dank Industrialisierung entstanden Arbeits- und Industriegebiete, die untereinander erreichbar sein sollten. Zunächst wurde vor 125 Jahren die Spur gewechselt. Die breiten Gleise der Pferdebahn (1.435 mm) verschwanden, die noch heute verwendete Meterspur hielt auf den Straßen Einzug. Das erschien ob der engen Straßen günstiger. Völlig neu für Görlitz aber waren die Oberleitungen. Der Fahrdraht bekam 500 Volt Gleichspannung aus der städtischen Stromversorgung. Erst später baute der Verkehrsbetrieb auch eigene Görlitzer Umspannwerke.

Aus alten Pferdebahnwagen wurden Anhänger. Neue Triebwagen lieferte die Görlitzer Waggonbaufabrik Lüders. Für die Erprobung gab es schon ein halbes Jahr vor Inbetriebnahme ein Gleis am Obermarkt. Der erste Wagen kostete 4.158 Reichsmark, 29 weitere sollten bis 1899 folgen. Einer von ihnen ist, wenn auch leicht angepasst, noch heute zu bewundern – als historischer Wagen Nummer 29.

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Offiziell begann das neue Straßenbahnkapitel am 1. Dezember 1897. Die Ringbahn umrundete den Stadtkern, und schnell nannten die Görlitzer das neue Vehikel „Elektrische“. Schon am 5. Dezember ging die Linie 1 auf Fahrt, damals vom Untermarkt über Postplatz und Bahnhof zum Schützenhaus. Weitere vier Tage darauf fuhr die Linie 3 von der Rauschwalder Straße zur Stadthalle und von dort weiter über die Brücke bis zum Gasthof „Stadt Prag“. In den ersten acht Monaten wurden bereits 1,2 Millionen Fahrgäste registriert. Bald wurde auch noch eine Linie 4 eingerichtet, die zum Jüdischen Friedhof unterwegs war. Insgesamt fuhren in den Anfangsjahren täglich 21 Triebwagen, fast jeder zweite mit Anhänger. Und die Lage der Ausweichen gestattete einen 5-Minuten-Takt. Zweite Gleise folgten ab 1898 in der Innenstadt. 1898 beschäftigte der Verkehrsbetrieb 41 Mitarbeiter, ein Jahr später bereits 71. Die „Elektrische“ fuhr durch Kriege und verschiedene politische Systeme. Oft wollte man sie einstellen, immer wieder aber gab es grünes Licht für sie. Manche Strecke verschwand, andere kamen dazu. Heute setzt sie sich mit ihrem Jubiläum selbst ein technisches Denkmal.