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Cannabis-Legalisierung lässt auch in Görlitz die Justiz aufstöhnen

3.000 Akten könnten Staatsanwälte allein in Görlitz neu wälzen. Auch bei Unternehmer Nick Kullak, der einen Cannabis Club gründen wollte, hält sich Vorfreude in Grenzen - aus anderen Gründen.

Von Marc Hörcher
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Die Ampel will Grünes Licht für Cannabis geben. Das soll die Justizbehörden eigentlich entlasten. Doch die sehen, auch in Görlitz, zunächst mal rot.
Die Ampel will Grünes Licht für Cannabis geben. Das soll die Justizbehörden eigentlich entlasten. Doch die sehen, auch in Görlitz, zunächst mal rot. © Martin Schneider

Der Weedmob tobt. Eigentlich hätten sich Cannabis-Freunde, deren Selbstbezeichnung im Internet so lautet, wohl gerne in reichlich zwei Wochen legal einen Joint angezündet. Entweder zum Monatsanfang oder vielleicht zum 20. April, der weltweit als Aktionstag der Legalisierungs-Befürworter gilt. Doch es wird immer wahrscheinlicher, dass diese Vorstellung verpufft wie eine Rauchwolke - so mancher Anhänger ist darüber erbost. Das Inkrafttreten des Gesetzes zur Teil-Legalisierung von Cannabis könnte sich verzögern.

Ein Kritikpunkt ist die Amnestie, also das rückwirkende Erlassen von Strafen für bereits begangene Straftaten wegen Besitz, Anbau und Handel von Cannabis. Justizministerien der Länder fürchten eine Überlastung. Geht es nach der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), soll das Gesetz nicht mehr 2024 umgesetzt werden. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) möchte es über den Vermittlungsausschuss gänzlich verhindern. Die sächsischen Bündnisgrünen schlagen einen Kompromiss vor, nämlich die rückwirkende Amnestie zu entkoppeln und zum 1. Oktober in Kraft treten lassen, die übrigen Teile wie geplant Anfang April.

Bei der Staatsanwaltschaft Görlitz hält sich aufgrund der anstehenden Mehrarbeit durch die Amnestie die „Vorfreude auf das neue Gesetz in Grenzen“, wie es deren Sprecher Christopher Gerhardi lakonisch formuliert. Allein bei der Staatsanwaltschaft Görlitz müssten, wie es derzeit aussieht, zwischen circa 1.700 und circa 3.000 Verfahren „händisch“ erneut geprüft werden. „Neues Personal wird es für diese Aufgabe nicht geben, es entstehen also keine zusätzlichen Personalkosten. Die sonstigen Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden werden von der mit dem neuen Gesetz verbundenen Mehrbelastung freilich eher nicht profitieren“, sagt Gerhardi. Der Verlust für die Staatskasse in Form von entgangenen beziehungsweise zurückzuzahlenden Geldstrafen und Verfahrenskosten lasse sich im Moment nicht abschätzen.

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Eine Verschiebung des Gesetzes in seiner jetzigen Form würde nichts daran ändern, sagt Ulrich von Küster, Richter am Amtsgericht Görlitz. Der „erhebliche Aufwand für die Justizbehörden“ wegen der dann wohl erforderlichen Überprüfung der Altfälle bleibe. Am Amtsgericht würden Verfahren mit Cannabis-Straftaten „derzeit weiter betrieben, allerdings vorrangig die Fälle mit Taten, die unzweifelhaft auch künftig strafbar sein werden.“ Im sächsischen Justizministerium sieht man das anders, sagt deren Pressesprecher Alexander Melzer. Die Behörde würde eine Verschiebung um einige Monate „sehr begrüßen“ und erhofft sich davon eine Entlastung der Justiz.

Nick Kullak führt seit Sommer 2022 den CBD-Laden "Das grüne Gold" am Demianiplatz.
Nick Kullak führt seit Sommer 2022 den CBD-Laden "Das grüne Gold" am Demianiplatz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Jemand, der in Görlitz für die Legalisierung bislang immer die Fahne hochgehalten hatte, ist Nick Kullak. Der Inhaber des CBD-Shops „Das grüne Gold“ am Demianiplatz hatte eigentlich einen „Cannabis-Social-Club“ gründen wollen. So werden die Vereine, die Anbau und Abgabe ermöglichen, landläufig genannt. Zwei vorbereitende Sitzungen habe es gegeben, Mitstreiter für den Verein hatte er. Doch von denen sei niemand so richtig bereit gewesen, in den Club zu investieren, erzählt Kullak. Und als einziger Geld reinstecken in das Projekt - nein, so weit reichte seine Liebe für die Cannabis-Pflanze dann doch nicht.

THC-Richtwerte im Straßenverkehr noch nicht angepasst

Deswegen verfolgt der Unternehmer nun eine andere Strategie und möchte sich für die Gründung eines solchen Clubs mit einem bundes- und europaweit tätigen Unternehmen zusammentun. Damit sei jedoch nicht vor Oktober zu rechnen. Auf die Umsetzung der Legalisierung blickt er ansonsten mit Skepsis, weil manches noch ungeregelt sei. Etwa wurde bislang noch kein Kompromiss gefunden über einen möglichen neuen THC-Grenzwert im Straßenverkehr, dazu müsste das Straßenverkehrsgesetz angepasst werden.

Ansonsten laufen seine Geschäfte gut, erzählt Kullak - und zwar beide. Zusätzlich zum CDB-Laden eröffnete er in der Adventszeit den Süßigkeiten-Shop „Rizzi Wonka“ an der Steinstraße. Bei der Eröffnung sagte er noch, er wolle aus Gründen des Jugendschutzes diese beiden beruflichen Engagements strikt voneinander trennen, weil die Naschereien nun mal Kinder als Hauptzielgruppe haben. Bonbons und Co. sollten nur seine Angestellten verkaufen, nicht er selbst. Entwickelt hat es sich anders: Der Inhaber steht regelmäßig in beiden Läden hinter der Verkaufstheke. Auch dreht er schon mal ein Werbe-Video für den Instagram-Account von „Rizzie Wonka“, das er im „Grünen Gold“ filmt und umgekehrt. Sieht er heute ein Problem darin? Kullak winkt ab. Sein Büro sei eben im Süßwarenladen untergebracht, und ein bekanntes Gesicht im Stadtbild sei er ja ohnehin, mittlerweile auch bei den jüngeren Kunden. Die dürften den CDB-Shop sowieso nicht betreten. Dennoch, so berichtet er aus Kundengesprächen, wüssten manche Kinder genau Bescheid, dass „Das grüne Gold“ früher die mexikanischen Taki-Chips im Angebot hatte.

Ob sich beim zweiten Görlitzer CBD-Shop, dem „Gruenhaus“ an der Hospitalstraße, durch die Legalisierung etwas ändert oder wie die beiden Verkäuferinnen auf das neue Gesetz blicken, kann die Redaktion nicht in Erfahrung bringen. Die Inhaberin lehnt ein weiteres Gespräch mit Sächsische.de ab. Sowohl an der Hospitalstraße als auch am Demianiplatz gibt es neben CDB auch das umstrittene, aber noch legale Cannabinoid HHC zu kaufen. Das Bundesministerium für Gesundheit prüft derzeit ein mögliches HHC-Verbot. Kullak rechnet, wie viele in der Cannabis-Szene, mit einem baldigen HHC-Verbot, deswegen habe er das Sortiment hier etwas zurückgefahren.

Der Bundesrat wird am 22. März über das geplante Cannabisgesetz abstimmen. Egal, ob es im April in Kraft tritt oder später: Das Gesundheitsamt des Landkreises Görlitz rechnet damit, dass es nach der Legalisierung mehr Cannabis-Konsumenten und einen erhöhten Bedarf an Prävention und Beratung geben wird.

Ob und in welchem Ausmaß langfristig Cannabis-Suchtprobleme zunehmen, sei sorgfältig zu beobachten. Das Gesetz sehe zumindest vor, die Prävention zu stärken und konsumierende Minderjährige gezielter in vorhandene Präventionsangebote zu vermitteln.

Ob und in welcher Höhe es für die Präventionsarbeit mehr Geld vom Bund geben wird, zusätzliche Mittel des Bundes dafür vorgesehen sind, sei „aktuell nicht bekannt“, sagt Landkreis-Sprecher Kevin Schlei.