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"Katastrophale Folgen": Görlitzer Chefarzt warnt vor Cannabis-Legalisierung

Bei Dr. Dirk Schmoll überwiegt Skepsis. Der Psychatrie-Chefarzt im Görlitzer Klinikum sagt im Interview, wie viel die Einrichtung bereits mit Geschädigten mit Psychosen zu tun hat.

Von Marc Hörcher
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Dr. med. Dirk Schmoll, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Görlitz
Dr. med. Dirk Schmoll, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Görlitz © Martin Schneider

Der neue Gesetzesentwurf muss noch durch den Bundestag. Vorgesehen hat die Ampel-Regierung unter anderem, dass sich jeder bis zu drei Cannabis-Pflanzen auf dem Balkon und 50 Gramm Cannabis im Monat erlauben dürfte. Bestrebungen für die Gründungen erster Cannabis-Anbaugenossenschaften in der Region gibt es bereits jetzt, in Görlitz und in Reichenbach. Dr. Dirk Schmoll ist seit reichlich zwei Jahren Chefarzt der Psychiatrie am Städtischen Klinikum Görlitz. Er warnt vor den Entwicklungen, die das nehmen könnte. In seiner Einrichtung landen bereits jetzt immer häufiger Patienten, die der Droge zum Opfer fallen. Im Interview spricht er darüber und über mögliche Chancen einer Legalisierung.

Herr Dr. Schmoll, wie sehen Sie als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie die Vorhaben der Bundesregierung zur Cannabis-Legalisierung?

Wir erleben in unserer täglichen Arbeit mit Patienten, dass der Anteil an THC-hochprozentigen Züchtungen, die Konsumenten zu sich nehmen, eine immer größere Rolle spielt. THC ist für die Rauschwirkung verantwortlich. Diese ist mittlerweile wesentlich stärker als noch in Zeiten der "Flower-Power"-Bewegung der 70er Jahre. Damals enthielt ein Joint einen Anteil von etwa 3 Prozent THC. Heute sind 18 bis 20 Prozent üblich, sogar ein Anteil über 30 Prozent kann vorkommen. In dem Gesetzesentwurf liegt tatsächlich die Chance, den THC-Anteil besser kontrollieren zu können. Dennoch überwiegt bei mir persönlich die Skepsis gegenüber der geplanten Legalisierung.

Warum?

Je leichter man Cannabis besorgen kann, desto niedriger wird die Hemmschwelle, die Droge zu nehmen. Das wissen wir aus Ländern wie Kanada, wo der Anteil der Leute, die konsumieren, nach der Legalisierung innerhalb von zwei Jahren gestiegen ist von 22 auf 27 Prozent. Ich sorge mich vor allem um den Jugendschutz.

Könnte bald legal werden: Ein Patient rollt einen Joint.
Könnte bald legal werden: Ein Patient rollt einen Joint. © Archiv: Philipp von Ditfurth/dpa

Den möchte die Bundesregierung ja gewährleisten, indem sie den Konsum für Minderjährige weiterhin verbietet. Für Heranwachsende bis 21 soll der THC-Gehalt auf 10 Prozent begrenzt werden. Aber das reicht nicht, meinen Sie?

Die Freigabe ab 18 Jahren ist bereits kritisch zu sehen. Das jugendliche Gehirn ist in diesem Alter noch nicht voll ausgereift, der Prozess ist erst mit etwa 25 richtig abgeschlossen. Wir wissen, dass das Kiffen insbesondere bei Heranwachsenden bleibende psychische Schäden hinterlassen kann. Folgen eines regelmäßigen Konsums können anhaltende IQ-Minderung, Kraftlosigkeit und Gleichgültigkeit sein. Es wird dann schwierig, die Betroffenen zu Alltäglichem zu motivieren - etwa dazu, eine Berufsausbildung anzugehen. Das erleben mein Team und ich immer wieder in unserer Arbeit. Die im Entwurf vorgesehenen Mengen sind ebenfalls nicht ohne. Angedacht ist eine Maximalgrenze von 30 Gramm pro Monat für Heranwachsende. Diese Menge ist sehr hoch und geht weit über einen "Feierabendjoint" hinaus. Je nach Dosierung kämen sie auf etwa drei Joints pro Tag. Wenn Sie einige Male an einem Joint ziehen, kann das bereits für eine Rauschwirkung reichen, die nicht zu unterschätzen ist.

Wie häufig werden Patienten mit THC-Psychosen im Städtischen Klinikum Görlitz behandelt?

In den Jahren 2013 bis 2018 hatten wir immer mal wieder einen solchen Fall hier oder gar keinen. 2018 gab es einen Ausreißer nach oben mit vier Fällen. Seit 2020 erleben wir im Grunde einen stetigen Anstieg. Im vergangenen Jahr waren es fünf Fälle, in diesem Jahr gehen wir von vier Fällen aus - aber abgeschlossen ist das Jahr ja noch nicht. Wenn die Legalisierung Anfang 2024 kommt, rechnen wir mit einem weiteren Anstieg. Zudem sind Psychosen ja nicht das einzige Risiko, welches der Cannabis-Konsum mit sich bringt. Erst vor Kurzem hatten wir ein größeres Festival in der Region, bei dem viel konsumiert wurde. Die Rettungsstelle lief an diesem Wochenende förmlich über mit Leuten, die bekifft eingeliefert wurden. Die Patienten litten an Wahnvorstellungen und plötzlichen Angstzuständen. Erschwerend hinzu kommt das steigende Unfallrisiko im Straßenverkehr. Nicht zu vergessen und in der Diskussion oft übersehen ist, dass Cannabis-Konsum neben den psychosomatischen Schäden auch körperliche Schäden mit sich bringen kann.

Am Städtischen Klinikum Görlitz werden jetzt schon immer mehr Patienten mit THC-Psychosen behandelt.
Am Städtischen Klinikum Görlitz werden jetzt schon immer mehr Patienten mit THC-Psychosen behandelt. © Archiv: Städtisches Klinikum Görlitz

Welche sind das?

Nachgewiesen ist, dass die Droge Bronchitis, Durchblutungsstörungen am Herzen, Entzündungen der Mundschleimhaut, Erbrechen und Beeinträchtigungen der Potenz auslösen kann.

Neben THC ist CBD ein Inhaltsstoff der Cannabis-Pflanze. Es gibt Hinweise, dass dies auch als Medikament gegen Psychosen hilfreich sein könnte. Haben Sie selbst es schon mal verschrieben?

Nein, ich wüsste nicht, warum. Es gibt für meinen Fachbereich andere Mittel, die als Medikament wesentlich besser erforscht sind. Zugelassen sind Cannabispräparate zur Behandlung der Spastik und von Schmerzen, die mit anderen Therapien nicht behandelbar sind. Es muss eine begründete Aussicht auf Erfolg bestehen. Das muss zuvor bei der Krankenkasse beantragt werden, bevor diese die Kosten übernimmt. Die Präparate enthalten THC und CBD in unterschiedlichem Mischungsverhältnis. Auch wenn es einigen Patienten helfen mag, ein Allheilmittel ist es gewiss nicht.

Derzeit legal verkauft werden darf sogenanntes Hexahydrocannabinol (HHC), ein halb synthetisches, meist im Labor hergestelltes Cannabinoid. Wie ist dessen Gefährlichkeit einzuschätzen?

Auch wenn dieses Mittel aufgrund einer Gesetzeslücke legal ist, kann ich vor dem Konsum nur warnen. Das zeigen zwei aktuelle Fälle, die wir hier auf der Station behandeln. Bei einem Patienten hat der Konsum von HHC, das er sich während unserer stationären Behandlung legal im Internet bestellt hat, gravierende psychotische Symptome ausgelöst. Der andere Patient litt ebenfalls an Wahnsymptomen, hat nach eigenen Angaben unregelmäßig Alkohol konsumiert und gekifft, der Konsum belief sich auf etwa 4 Gramm pro Woche. Das HHC verstärkte seine Psychose. Das endete schließlich in einem Sturz aus dem vierten Stock - wie, ist dem Patienten selbst nicht ganz klar. Er hatte sich das HHC völlig legal in einem Laden gekauft. Es ist für einen Verkäufer eben nicht erkennbar, ob er seinen Kunden gefährdet, da er deren Krankheitsgeschichte nicht kennt.

Was müsste denn aus Ihrer Sicht passieren, um die Gefahren, die die Legalisierung birgt, einzudämmen?

Eine gute Aufklärungsarbeit bereits im Jugendalter ist wichtig, ebenso Präventionsarbeit an Schulen und eine Stärkung der Suchtberatungsstellen. Außerdem wäre es sehr wünschenswert, die Zugänglichkeit nicht zu einfach zu machen. Alkoholische Getränke bekommen Sie an jeder Tankstelle, auch bei unserer Klinik liegt die nächste Möglichkeit nur wenige Gehminuten entfernt. Wenn es sich bei Cannabis in eine ähnliche Richtung entwickelt, hätte das katastrophale Folgen. Wie die Abgabe über die Cannabis-Clubs gehen soll, ist für mich nicht klar. Besser wären staatlich kontrollierte Stellen oder Apotheken. Zudem ist es wichtig, dass es Begleitforschung gibt. Im Entwurf vorgesehen ist ein Etat von einer Million Euro pro Jahr für die Jahre 2024 bis 2027. Es ist gut, dass die Studien stattfinden. Die Summe hört sich allerdings erstmal relativ gering an, wenn ich sie mit anderen Forschungsvorhaben vergleiche - hier wäre noch Luft nach oben.