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Freikirchen-Pastor wettert gegen "totes Christentum"

Der Görlitzer Eugen Böhler kritisiert das Verhalten von evangelischer und katholischer Kirche in Corona-Zeiten. Das rührt an alte Fragen über das Verhältnis zur Obrigkeit.

Von Susanne Sodan
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Anfang 2020 war noch alles gut: Die Corona-Pandemie war noch weit weg, Eugen Böhlers Predigten noch unbekannt.
Anfang 2020 war noch alles gut: Die Corona-Pandemie war noch weit weg, Eugen Böhlers Predigten noch unbekannt. © Nikolai Schmidt

Es geht auf Mission. Am vergangenen Sonnabend dürften viele Görlitzer Post bekommen haben von der Freien Evangelischen Gemeinde Görlitz (FEG), ob sie wollen oder nicht. Eine Zeitungs-Verteil-Aktion kündigte Pastor Eugen Böhler jüngst an. Allerdings ist die FEG umstritten.

Nicht zuletzt, weil Böhler in seinen Predigten häufig austeilt, gegen alles, was seines Erachtens - oder wie er meint, Gottes Willen nach - antichristlich sei und dabei gern das Nahen der Endzeit verkündet. Deren Hauptkennzeichen sei der Abfall von Christus, und dafür sieht Böhler viele Anzeichen.

Böhler: Kirchen zersetzt von Zeitgeist

So forderte der Pastor jüngst etwa den Regenbogen zurück, denn er gehöre zu Gott und niemandem sonst. "Ihr könnt eure Perversionen ausleben, wie ihr wollt", rief er seiner Gemeinde zu. "Aber ich möchte einfach den Regenbogen zurück haben." Der sei ein Zeichen gewesen "gegen Sodomisten, Perverse und Kranke".

Die Regenbogen-Flagge gilt als Zeichen gegen Diskriminierung homosexueller und transsexueller Menschen. Dass sie in letzter Zeit so häufig zu sehen ist, hat mit einer neuen Gesetzgebung Ungarns zu tun, die die Aufklärung über Homosexualität an Schulen verbietet. Mehrere EU-Staaten hatten sich dagegen ausgesprochen. Der Protest, für Böhler ein Zeichen gegen das Familienbild Mama, Papa, Kind. "Sexualität war nie frei von Gottes Willen."

Auch anderen Kirchgemeinden wirft er vor, dem Zeitgeist nachzulaufen, dem Abfall zu unterliegen. Immer mehr Kirchen seien komplett losgelöst von der Schrift und damit planlos. Die liberale Theologie bezeichnete er jüngst etwa als antichristlich, "weil sie die Hülle von Christus behalten und einen komplett neuen Inhalt hineingefüllt haben." Als "bunte Allerweltgemeinden" hatte Böhler andere Gemeinden schon bezeichnet, als Regenbogenkirche, als totes Christentum, durchwebt von Zeitgeist. "Ich meine nicht nur die großen Landeskirchen, das ist schon, boah, krass", so Böhler. "Aber die evangelikale Bewegung ist komplett zersetzt."

FEG soll in christlicher Arbeitsgemeinschaft bleiben

Dabei arbeitet die FEG in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Görlitz gerade mit diesem "toten Christentum" zusammen. Trotz dieser Kritik hält Albrecht Bönisch nichts davon, Böhlers Gemeinde nun aus der ACK zu werfen. Bönisch ist evangelischer Pfarrer an der Kreuzkirche in Görlitz und leitet seit Kurzem die ACK, die vor einigen Jahren als Zusammenschluss evangelischer, katholischer und freikirchlicher Gemeinden gegründet wurde. Die FEG gehörte zu den Gründungsmitgliedern. Ziel sei es damals gewesen, alle Gemeinden - auch unterschiedliche theologische Positionen - an einen Tisch zu holen.

Albrecht Bönisch ist Pfarrer der Kreuzkirche in Görlitz und leitet die ACK.
Albrecht Bönisch ist Pfarrer der Kreuzkirche in Görlitz und leitet die ACK. © SZ-Archiv

Persönlich getroffen hätten ihn abwertende Aussagen Böhlers aber doch, vor allem zur Ökumene, also der Zusammenarbeit verschiedener Konfessionen und Richtungen im Christentum. Auch andere Pfarrer hätten sich ein persönliches Gespräch mit Böhler gewünscht, "es sind schon einige Fragezeichen entstanden", sagt Bönisch.

Ihn nicht aus der ACK auszuschließen, aber mit ihm zu diskutieren, das empfiehlt auch der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises schlesische Oberlausitz, Thomas Koppehl. Er ist leitender Theologe der Landeskirche für das Gebiet zwischen Görlitz und Hoyerswerda.

"Wir haben uns in der Corona-Krise nicht gedrückt"

Persönlich kenne er Eugen Böhler nicht. Aber zum Beispiel dessen Auftritt bei Gegnern der Corona-Maßnahmen am Pfingstmontag auf dem Görlitzer Lutherplatz werfe Fragen auf, die auch in der Evangelischen Kirche derzeit diskutiert würden. So hatte Böhler am Pfingstmontag etwa von einer sich im gegenwärtigen Zeitgeist wegdrückenden Theologie gesprochen.

Superintendent Thomas Koppehl sagt, die Debatte um den Umgang der Kirche mit den Corona-Maßnahmen gibt es nicht nur bei der FEG.
Superintendent Thomas Koppehl sagt, die Debatte um den Umgang der Kirche mit den Corona-Maßnahmen gibt es nicht nur bei der FEG. © André Schulze

"Wir haben uns nicht gedrückt und nicht geschwiegen", sagt Koppehl dazu, "sondern wir haben in der Corona-Krise verantwortlich die Maßnahmen mitgetragen, die gesellschaftlich verabredet waren, um die Schwächeren mit zu schützen", so Koppehl. "Und wer das verunglimpft, muss sich fragen lassen, wie er zu dieser Verantwortung steht."

Kirche zwischen Selbstbestimmung und Verantwortung

Tatsächlich gebe es die Diskussion innerhalb der Kirche: "Die Frage ist natürlich berechtigt: Wie stark darf die Selbstbestimmung von Menschen eingeschränkt werden." So gebe es emotionale Debatten, ob es nötig war, Pflegeheime so stark abzuschotten, dass zum Beispiel keine Sterbebegleitung möglich war. Koppehl vermutet, dass Böhlers Haltung in evangelischen Kreisen auch auf Zustimmung trifft. "Wir sehen das jetzt zum Beispiel auch beim Impfen. Wir kommen an eine Stelle, an der wir bemerken, dass es auch Impfverweigerer gibt. Deshalb halte ich die Debatte für so wichtig: Um zu überprüfen, ob denn wirklich 'böse Mächte' am Werk sind. Skeptische Menschen müssen sich überzeugen können, dass es nicht so ist."

Die Aufarbeitung von Fehlern sei für ihn jetzt das Entscheidende, "weil es zeigt, wir leben nicht in einer Zeit, die mit der Reformationszeit vergleichbar wäre, wo die Gewissenentscheidung des Einzelnen nicht respektiert wurde, oder wie im Dritten Reich, wo Andersdenkende ins KZ gesteckt wurden, und auch nicht in einer Zeit, wo uns gleich Polizeimaßnahmen drohen", so Koppehl. "Sondern wir leben in einer Zeit, wo wir gemeinsam von einer Pandemie bedroht sind. Dann müssen sich andersherum Personen, die Selbstständigkeit und Freiheit verteidigen wollen, fragen, wie verantwortlich sie noch handeln. Denn was passiert, wenn in diesem Pathos der Selbstbestimmung Menschen immer misstrauischer werden gegen staatliche Maßnahmen? Tut man damit der Gesellschaft einen Dienst?"

Kritik an Kirchen für Unterstützung des Staates

Eine Haltung, für die die Kirche auch Kritik erhalten habe. "Es ist für Kirchen nicht populär, in bestimmten Situationen auch mal dem Staat zuzustimmen und ihn mitzutragen." Koppehl habe großen Respekt vor Lokalpolitikern, "sie haben immer wieder Entscheidungen getroffen, mussten ob neuer Entwicklungen immer wieder umsteuern, sich abstimmen mit Berlin und Dresden. Das war eine große Leistung. Wenn man selber mal in einer solchen Entscheiderposition gesessen hat, weiß man, wie schnell Kritik kommt, gerade wenn sich Probleme zeigen."

Die Endzeit sieht Koppehl jedenfalls nicht gekommen. Dass diese in Böhlers Predigten öfter Thema ist, wundert ihn jedoch nicht. "Die ethischen Spannungen der aktuellen Zeit spiegeln sich in gewisser Weise in religiösen Betrachtungen", erklärt Koppehl. "Es gibt ganz viele Bibelstellen, die sich kritisch mit der Welt und der Situation, wie wir Menschen leben, auseinandersetzen", sagt er. "Auf der einen Seite wollen wir Christen sagen, dass Gott sich den Menschen zuwendet, ein Gott der Liebe ist, gütig ist und verzeiht." Auf der anderen Seite sei Gottes Zuwendung darauf gerichtet, die Lieblosigkeit der Menschen zu überwinden - also viele gesellschaftliche Zustände zu verbessern. "Da befinden wir uns in einer klar kritischen Haltung."

Koppehl für Solidarität

Entscheidend ist aber die Intention, mit der über die Endzeit gesprochen wird. "Die, die schnell im Anklagen sind, müssen sich auch fragen, ob sie selber sich denn in die Kritik auch mit einbeziehen." Auch bei der Frage wolle er abrüsten. "Wer die Bibel kennt, weiß, dass sich viele Stellen finden, die auf den ersten Blick anstößig wirken. Wenn man sie in den Horizont setzt, dass jeder Satz, den wir Christen sagen mit der Liebe Gottes in Übereinstimmung stehen muss, weiß man, dass das nicht bösartig oder drohend gemeint ist, sondern eine gute Botschaft ist. Deshalb heißt es Evangelium."

Zugute hält er Böhler sein Naturell. "Ich vermute, als Prediger sieht er es als Aufgabe, die Menschen ermutigen zu müssen, dass sie sich nicht bevormundet fühlen und frei ihre Meinung sagen." Böhler wolle offensichtlich bewusst die unselige Tradition in den Diktaturen seit 1933 durchbrechen, der Obrigkeit zu ängstlich gegenüberzutreten. "Aber in der jetzigen Situation betone ich eher die Solidarität, auch mit Politikern."